Männliche Küken dürfen nach dem Schlupf nicht mehr getötet werden - Die RZ hat mit zwei Hühnerbauern über die Folgen gesprochen
Die Kehrseite der Bruderhahnaufzucht: Wie zwei Hühnerbauern aus dem Kreis MYK auf das Gesetz blicken
Wenn die Brüder der künftigen Legehennen nicht schon vor dem Schlupf aussortiert werden, müssen diese seit diesem Jahr aufgezogen werden.
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Seit Anfang dieses Jahres dürfen die männlichen Brüder der Legehennen in Deutschland nicht mehr getötet werden. Auf den ersten Blick beruhigt diese Gesetzesnovelle das Gewissen der Verbraucher. Doch welche Konsequenzen ergeben sich durch die verpflichtende Bruderhahnaufzucht? Die RZ hat bei Guido Andres vom Geflügelhof Andres in Mendig und Wolfgang Bartmann vom Geflügelhof Bartmann in Spay nachgefragt.

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Wenn die Brüder der künftigen Legehennen nicht schon vor dem Schlupf aussortiert werden, müssen diese seit diesem Jahr aufgezogen werden.
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Durchschnittlich isst laut Bundesministerium für Ernährung jeder Deutsche 238 Eier pro Jahr. Eier, die von knapp 50 Millionen in Deutschland lebenden Legehennen gelegt werden. Alle zusammen legen, hochgerechnet aufs Jahr, mehr als 14,5 Milliarden Eier. Doch diese schier unvorstellbare Zahl nur am Rande. Seit Anfang dieses Jahres gibt es das Gesetz, dass die Brüder der Legehennen entweder ebenfalls aufgezogen oder durch Früherkennung des Geschlechts im Ei aussortiert werden müssen. Bei einer Lebenserwartung einer Legehenne von 13 bis 14 Monaten betrifft dies alljährlich rund 42 Millionen Hähne, überschlägt Guido Andres.

40 Millionen Legehennen werden ersetzt

Er besitzt rund 150.000 Legehennen in vier Betrieben in der Region. Die Legehennen zieht er nicht selbst auf, schon im Frühjahr 2021 hat er sich dafür entschieden, sie aus einer Brüterei zu kaufen, die ihm ein Zertifikat für die Bruderhahnaufzucht ausstellt. Mit einem Alter von 18 Wochen werden die Hennen bei ihm eingestallt, die nächsten neun bis zehn Monate legen sie Eier, bis sie im Alter von 13 bis 14 Monaten ersetzt werden, erläutert er. Deutschlandweit werden jährlich rund 40 Millionen Legehennen ersetzt, rechnet er hoch.

Das muss mir mal jemand erklären, warum wir gezwungen sind, Millionen Tiere zu mästen, die keiner haben möchte.

Wolfgang Bartmann

Und Andres nennt weitere Zahlen: Da statistisch gesehen 53 Prozent der Küken Hähne seien, müsse sich allein für Deutschland um 42 Millionen Bruderhähne gekümmert werden – entweder durch Aussortieren in der Früherkennung oder eben durch die Bruderhahnaufzucht. Für Andres bedeutet dies, dass er sich für seinen Betrieb um die Aufzucht von 130.000 Hähne kümmern muss oder eben jemanden dafür bezahlt, der dies für ihn übernimmt: „Dafür haben wir schlichtweg keine Platzkapazitäten.“ Der größte Teil der Tiere werde im Ausland aufgezogen, berichtet er.

Das Fleisch der Bruderhähne schmeckt den Deutschen nicht

Wolfgang Bartmann vom Geflügelhof Bartmann in Spay hält derzeit rund 900 Legehennen in Kleingruppenhaltung, dazu noch mal 800 Masthähnchen – männliche wie weibliche – mit eigener Futterproduktion. Direkt betroffen war Bartmann von der Bruderhahnaufzucht bislang noch nicht. Seine Legehennen leben schon länger, als es das Gesetz gibt. Eine Meinung hat er dennoch zu dem Thema: „Man glaubt nicht, wie verrückt eine Idee ist, die unausgegoren in die Öffentlichkeit gelangt!“ „Wir haben keine kompetenten Politiker an den passenden Stellen“, stimmt auch Guido Andres ein.

Wolfgang Bartmann vom Geflügelhof Bartmann in Spay
Mira Zwick

Bartmann indes feilt derzeit an der Perspektive für seinen Betrieb und will künftig einen ganz anderen Weg als das Gros der Geflügelbauern einschlagen. Die Kleingruppenhaltung ist nur noch bis 2025, in Ausnahmefällen bis 2028 erlaubt, Bartmann wird seinen Stall umbauen müssen. Bis dahin wird er seine Legehennen alljährlich in die Mauser schicken und weitere Legeperioden anschließen. Gleichzeitig will er in den nächsten Jahren seinen Stall so umbauen, dass er dort drei Altersgruppen unterbringen kann, seine Hennen also drei Jahre bei ihm Eier legen, und die Bruderhähne selbst aufziehen und nach rund 22 Wochen Mast als Suppenhahn verkaufen. Auch die Idee, auf eine Zweinutzungsrasse umzustellen, spielt bei ihm eine Rolle, „aber es hängt auch davon ab, wie sich all das auf den Preis fürs Ei niederschlägt. Die große Frage ist: Geht der Endverbraucher diesen Weg mit, oder lässt er uns hängen?“

Für einen kleinen Betrieb wie seinen, der seine Produkte überwiegend direkt vermarktet, sieht er eine Chance für die eigene Bruderhahnaufzucht, denn er hofft auch, das Plus an Suppenhühnern beziehungsweise -hähnen verkaufen zu können. Doch für große Betriebe sieht er diese Möglichkeit nicht. Er rechnet vor: „Angenommen, alle Bruderhähne würden aufgezogen werden, müsste jeder Bundesbürger – vom Säugling bis zum Greis – 1,25 Suppenhühner pro Jahr verwerten.“ Doch für den Verbraucher ergeben sich noch andere Konsequenzen aus der Bruderhahnaufzucht.

Guido Andres, Geschäftsführer des Geflügelhof Andres in Mendig
Mira Zwick

Direkt betroffen von der Bruderhahnaufzucht sind die Bürger durch Preiserhöhungen. Die setzt sich laut Andres wie folgt zusammen: ein Plus von 3 Cent pro Ei, die Andres für das Zertifikat der Bruderhahnaufzucht umlegt. Hinzu kommen weitere Preisaufschläge, weil sich die Preise für das hochwertige Hühnerfutter nicht zuletzt auch durch den Ukraine-Krieg verdoppelt haben. Dies summiere sich auf 6 Cent pro Ei plus Aufschlag des Handels, überschlägt Andres. Dafür müssen nun Millionen männliche Küken aufgezogen werden – eine wahnsinnige Flächenverschwendung, prangern Andres und Bartmann unisono an, alte Ställe müssten umgebaut oder gar neue gebaut werden. Und Futterverschwendung noch dazu.

Da die Legehennen zu Eierlege-Hochleistungen gezüchtet worden sind, brauchen sie zum einen besonders hochwertiges Futter, zum anderen setzen sie anders als Masthähnchen nur wenig nutzbares Fleisch an – was natürlich auch auf die Brüder der Legehennen zutrifft. Im Laufe ihres dennoch nur wenige Wochen dauernden Lebens fressen die Bruderhähne rund sechs Kilo Futter. Heraus kommen circa 250 Gramm nutzbares Fleisch, berichtet Andres. „Und der Verbraucher möchte es nicht“, weiß er, „wir kennen es vom Geschmack her nicht, es ist sehr festes Fleisch, und es kann nicht gegrillt werden.“ „Wir haben schon ein Problem, Suppenhühner loszuwerden“, stimmt Wolfgang Bartmann in die Kritik ein. „Bruderhähne sind im Grunde nichts anderes. Keiner weiß, wo die hinsollen. Das muss mir mal jemand erklären, warum wir gezwungen sind, Millionen Tiere zu mästen, die keiner haben möchte.“

In Nachbarländern gibt es keine Pflicht zur Bruderhahnaufzucht

Eine weitere Folge, dass Hühnerküken nach dem Schlupf nicht mehr getötet werden dürfen, ist, dass diese nicht mehr in Zoos oder Tieraufzuchtstationen verfüttert werden können. „Dieser Markt wird mittlerweile aus Polen und Tschechien bedient“, berichtet Andres, und Bartmann ergänzt, dass für diese Zwecke außerdem nun extra Mäuse und andere Tiere gezüchtet würden.

Und ein weiteres Ärgernis nennt Andres in Bezug auf die Gesetzesnovelle: „Andere Länder haben sich nicht drangehangen – außer mit einem Lächeln. Ganz Europa lacht sich tot darüber“, sagt er zynisch. Er sieht darin eine echte Wettbewerbsverzerrung – auch für die Brütereien: „Von sechs großen Brütereien gibt es jetzt noch zwei, der Rest hat Deutschland verlassen.“

Der Verbraucher erzählt viel, dass ihm das Tierwohl wichtig ist, aber er ist nicht bereit, dafür auch mehr zu bezahlen.

Guido Andres

Und: „Bis heute hat noch kein Kreisveterinär gefragt, was wir mit den Bruderhähnen machen. Ich würde mir wünschen, dass deutsche Gesetzgeber nicht nur Gesetze machen, sondern sich auch über deren Umsetzung Gedanken machen“, sagt Andres. Auch bei den Verbrauchern sei das Thema nicht zuletzt wegen Ukraine-Krieg und Energiekrise weitestgehend aus dem Fokus geraten. „Im Moment schaut keiner mehr auf Regionalität und Tierwohl, sondern nur auf den Preis“, beobachtet der Mendiger Hühnerbauer.

Dies hat bei Andres auch eine weitere Folge: Er hält derzeit nicht nur weniger Tiere, zudem hat er die Bemühungen, die Freilandhaltung und die Biosparte weiter auszubauen, mangels Nachfrage und wegen ungewisser Zukunftsprognosen vorerst eingestellt und bedauert dies auch: „Der Verbraucher erzählt viel, dass ihm das Tierwohl wichtig ist, aber er ist nicht bereit, dafür auch mehr zu bezahlen.“ Bartmann pflichtet ihm bei: „Wenn ein tierhaltender Landwirt über Geld klagt, ist die Antwort, dass es ethisch und moralisch verwerflich ist. Aber: Man ist dem Markt unterworfen.“

Doch was könnte die Lösung sein? Ein weiterer Stichtag wird der 1. Januar 2024 sein. Ab dann müssen männliche Küken bereits vor dem siebten Bruttag aussortiert werden, da im Raum steht, dass Küken ab dem siebten Bruttag ein Schmerzempfinden haben. Bislang sei die Früherkennung im Ei in großer Zahl aber erst ab dem neunten Bruttag möglich und – dank einer Übergangsfrist – auch erlaubt.

Andres schlägt daher vor: „Man müsste dafür plädieren, die Früherkennung weiter zu ermöglichen, selbst wenn es über den siebten Tag hinausgeht.“ Denn er ist skeptisch, dass es bis dahin in dieser großen Zahl die Möglichkeit geben wird, das Geschlecht der Küken vor dem siebten Bruttag zu bestimmen: „Forschungsteams forschen schon seit mehr als zehn Jahren an der Früherkennung.“

In Bezug auf das Schmerzempfinden ergänzt er: „Wenn das so ist, dann müssen die Embryos betäubt werden, bevor sie abgekühlt werden.“

Zukunftsperspektive ist für die beiden Hühnerbauern ungewiss

Aber auch das Thema Zweinutzungshuhn haben Andres und Bartmann im Blick, eine Rasse, die sowohl zum Eierlegen als auch zum Schlachten gehalten werden kann. Doch die Hühnerbauern erwidern: „Der Hahn kann Fleisch ansetzen, aber im Vergleich zum Masthahn hängt er weit hintendran. Er braucht länger und mehr Futter“, erklärt Andres. „Und die Hennen legen 60 bis 70 Eier weiniger im Jahr“ – sie legen etwa 230 im Jahr. „Außerdem legt ein Zweinutzungshuhn Eier mit einem Gewicht von durchschnittlich 62 bis 63 Gramm, also an der Grenze zur Größe L“, ergänzt Bartmann.

„Man muss den Kunden dazu bringen, ein XL-Ei liegen zu lassen, um ein kleineres Ei zu kaufen – und das für den doppelten Preis. Je größer der Betrieb, desto schwerer ist es, dieses zu vermarkten.“ „Zurzeit gibt es absolut keine Möglichkeit, darauf auszuweichen. Eier und Fleisch würden viel teurer werden“, ist auch Andres überzeugt. Die beiden Hühnerbauern blicken gespannt in die Zukunft, wie es für sie und ihre Tiere weitergehen wird.

Die rechtliche Lage
Mit dem Verbot des Kükentötens wird unter anderem dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts von Juni 2019 Rechnung getragen. Das hatte nämlich entschieden, dass das Töten männlicher Küken nur noch übergangsweise erlaubt ist.

Das Gesetz sieht nun folgende stufenweise Regelungen vor: Seit dem 1. Januar dieses Jahres ist das Töten von geschlüpften Eintagsküken verboten. Ab dem 1. Januar 2024 wird zudem das Töten von Hühnerembryonen im Ei nach dem sechsten Bebrütungstag untersagt. Nach dem gegenwärtigen wissenschaftlichen Erkenntnisstand ist der Hühnerembryo vor dem siebten Bebrütungstag noch nicht in der Lage, Schmerzen zu empfinden. Ab dem siebten Bebrütungstag ist dagegen die beginnende Entwicklung des Schmerzempfindens nicht auszuschließen. (Quelle: www.bundesregierung.de/breg-de/suche/kuekentoeten-wird-verboten-1841098).

Derzeit ist die Früherkennung des Geschlechts des Hühnerembryos im großen Stil ab dem neunten Tag möglich. zwi

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