Auf eben dieses Gesetz hat sich der gebürtige Lahnsteiner Michel nach dem Krieg immer wieder berufen. Die Taten selbst hat er nie geleugnet, sah sich aber dennoch nicht als Täter. Er habe nur Befehle ausgeführt. Doch seit einigen Jahren wird der Gynäkologe und Heimatforscher anders bewertet. Sichtbares Zeichen davon ist jetzt nach der Rücknahme der Ehrenbürgerwürde der Städte Koblenz und Lahnstein im Jahr 2020 auch die neue Stele mit einem Erklärtext, die neben dem Denkmal vor dem Stift aufgestellt wurde.
Doris Schneider zum Fritz-Michel-DenkmalRZ-Kommentar: Wenn man es erklärt, bleibt die Erinnerung wach
Das Ethikkomitee der Klinik hat den Text entworfen, ein Arbeitskreis unter der Leitung der Kulturdezernentin Margit Theis-Scholz hat ihn finalisiert. Für die Klinik ist die Auseinandersetzung mit der Geschichte sehr, sehr wichtig, betont die kaufmännische Geschäftsführerin Alexandra Kiauk. Den Stein ins Rollen gebracht hat im April 2021 ein Antrag der Fraktionen von Grünen, SPD und der Linken im Koblenzer Stadtrat, die die Entfernung oder Umgestaltung des Denkmals forderten.
Clara Jung von der Koordinierungs- und Fachstelle „Demokratie leben“ beleuchtete in Vertretung der erkrankten Dezernentin kurz Leben und Wirken von Michel und erklärte, warum das Denkmal nun nicht entfernt, sondern um Erklärungen ergänzt wird: „Es geht darum, nicht wegzuschauen, sondern im Gegenteil hinzusehen.“
Die Aufstellung der Stele soll in den kommenden Jahren begleitet werden von Vorträgen und Diskussionen. Den Anfang dazu machte der Historiker Uwe Kaminsky, der in seinem spannenden und detailreichen Vortrag am Donnerstagabend schilderte, wie die „Rassengesundheit“ der Nazizeit ihre Vorläufer schon in der Weimarer Republik hatte – seinerzeit aber ohne die zwangsweise Sterilisation.
Und er beschrieb auch, wie die Bewertung der Zwangssterilisationen nach 1945 erst keine große Rolle spielte. Zwar hatten Opferverbände schon früh darauf gedrängt, dass es Entschädigungen für Opfer geben müsste, aber das war weitgehend ungehört verhallt. Erst 1974 wurde in der Bundesrepublik das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses förmlich außer Kraft gesetzt. Und bemerkenswert: Das Denkmal vor dem Stift ist überhaupt erst 1989 aufgestellt worden.
2017 gab es die Zäsur: In einer Ausstellung des Landeshauptarchivs Koblenz wurde die Beteiligung Michels an den Zwangssterilisationen mehr als deutlich. „Jeder Arzt konnte damals auch Nein sagen“, resümiert Kaminsky. Zudem wurde ein Fall öffentlich, bei dem Michel von sich aus beantragte, nach einer Abtreibung bei einer Frau, die als „schwachsinnig“ galt, in einem eine Sterilisation vorzunehmen. Seitdem ist der Umgang mit dem Andenken an den Arzt und Heimatforscher viel diskutiert worden, die Aufstellung der Stele seit Donnerstagabend das sichtbare Resultat.
Während die Grünen laut einer Pressemitteilung weiterhin die Entfernung der Skulptur fordern, da es sich nach wie vor um eine Ehrung Michels und nicht um ein Mahnmal handele, kritisiert Kevin Wilhelm von der Fraktion „Die Linke-Partei“ vor allem die mangelnde Verhältnismäßigkeit der Größe. Denn das Denkmal überragt die schmale Stele um Längen. Mit der Idee der Zusatzerklärung zeigt sich Wilhelm recht zufrieden: „Es ist auf jeden Fall viel besser als keine Erinnerungskultur.“