Ampelstreit in Berlin
Das sagen Politiker aus Koblenz zum Koalitionsbruch
Von links: Christian Lindner (FDP), Robert Habeck (Grüne) und Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD).
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Die Rhein-Zeitung hat bei Abgeordneten und Kommunalpolitikern in Koblenz und dem Landkreis Maye-Koblenz nachgefragt: Wie bewertet man die Ereignisse in Berlin rund um Rhein und Mosel?

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Nachdem am Mittwochabend der Streit in der Berliner Ampelkoalition eskaliert war, geht es um Schuld, um die Vertrauensfrage, die der Kanzler zu stellen gedenkt - und darum, wieder Regierungsfähigkeit für das Land herzustellen. Die Debatten um den Koalitionsbruch spiegelt sich natürlich in den politischen Umfeldern auf lokaler und regionaler Ebene. Die Rhein-Zeitung hat bei Abgeordneten und Kommunalpolitikern in Koblenz und dem Landkreis Mayen-Koblenz nachgefragt: Wie bewertet man die Ereignisse in Berlin rund um Rhein und Mosel?

Der CDU-Bundestagsabgeordnete und Koblenzer Stadtrat Josef Oster hat die Geschehnisse am Mittwochabend in Berlin im Kollegenkreis verfolgt. „Das Überschlagen der Ereignisse am Mittwochabend hat mich tatsächlich etwas überrascht“, gesteht er auf Anfrage. „Doch: Ich bin froh, dass diese Hängepartie damit vorbei ist, und ich persönlich bin auch gut darauf vorbereitet, dass die Bundestagswahl jetzt schneller ins Haus steht.“

Historische Stunde

Nachgerade schockiert habe ihn indes das Verhalten des Bundeskanzlers. „Dass er in dieser historischen Stunde in seinem Statement in erster Linie seinen bislang wichtigsten Minister persönlich angreift, war in jeder Hinsicht unangemessen und zeugt von keinem guten politischen Charakter“, sagt Oster. Scholz solle die Vertrauensfrage jetzt schnell stellen, am besten in der nächsten Woche. „Damit könnte Mitte oder Ende Januar die Bundestagswahl stattfinden“, rechnet Oster vor. Dass Neuwahlen die politischen Ränder stärken könnten, sieht er so nicht. „Wir werden in den nächsten Wochen einen sehr, sehr schnellen, heftigen und knackigen Wahlkampf erleben, der vor allem auf die beiden Protagonisten Friedrich Merz und Olaf Scholz zugespitzt sein wird“, analysiert Oster. „Ich hoffe, dass in der Konzentration auf Merz und Scholz die Wahrnehmung für die politischen Ränder geringer sein wird.“

Josef Oster
L. Chaperon

Anders sieht der Sozialdemokrat Thorsten Rudolph , wie Oster Stadtrat in Koblenz und Bundestagsabgeordneter für den Wahlkreis Koblenz, die Causa Lindner. „Seit dem Wochenende habe ich mehr und mehr Signale erhalten, dass für Christian Lindner der Koalitionsbruch beschlossene Sache ist“, berichtet er aus seinen politischen Umfeldern. „Ich hatte gehofft, dass die Verhandlungen der letzten Tage das noch einmal ändern können und Lindner aus Verantwortung für unser Land doch noch zu einem Kompromiss bereit ist.“ Er bedauere das Ampel-Aus, so Torsten Rudolph, gerade vor dem Hintergrund der weltpolitischen Lage verdiene Deutschland eine stabile Regierung. Er erwarte, dass es „in einem geordneten Verfahren zu vorgezogenen Neuwahlen im Frühjahr“ komme, sagt der Sozialdemokrat. Die Vertrauensfrage jetzt sofort halte er für völlig unrealistisch, so Rudolph, der dafür nicht zuletzt organisatorische und rechtliche Gründe anführt. Er ergänzt: „Ich befürchte, dass gewisse radikale Parteien mit Unterstützung ihrer russischen Bots und Trolle versuchen werden, die Bürgerinnen und Bürger auch mit massiven Desinformationen zu verunsichern. Ich hoffe sehr, dass es den demokratischen Kräften trotzdem gelingen wird, einen fairen Wahlkampf um den besten Weg für unser Land zu führen.“

Es war abzusehen, dass die Koalition nicht mehr lange hält, sagt der Koblenzer SPD-Vorsitzende Detlev Pilger . Im Moment bringe dies in den derzeit ohnehin instabilen Zeiten eine weitere Instabilität hinzu, „das ist natürlich nicht gut“. Aber das Hin und Her der jüngsten Vergangenheit sei nun beendet, und das berge eben auch die Chance, in Zukunft wieder eine stabilere Situation herbeizuführen. Wichtig ist es aber, dass die demokratischen Parteien sich zusammenraufen, sagt Pilger. „Denn es kann natürlich sein, dass die extremen Kräfte sich jetzt hinstellen und sagen: ,Die anderen haben es nicht geschafft‘ und damit Punkte sammeln können.“ Da sei es wichtig, dass die Demokraten ihre Verantwortung sehen und ernst nehmen: „Wir müssen wieder eine stabile Regierung bilden, wer auch immer.“ Als geeigneten Kanzlerkandidaten sieht Detlev Pilger für die SPD den derzeitigen sozialdemokratischen Verteidigungsminister Boris Pistorius.

Stadtpolitische Stimmen

Eine weitere stadtpolitische Stimme aus Koblenz: Christoph Schöll , Vorsitzender der FDP-Fraktion im Koblenzer Stadtrat, war wenig überrascht, dass es zum Bruch der Koalition kam. Die Streitigkeiten hätten wirklich lang genug angedauert, findet er, er sei auch selbst nie ein Freund der Ampel gewesen. „Es ist gut, dass es jetzt beendet ist“, sagt Schöll.  Nun gehe es darum, so schnell wie möglich zu Neuwahlen zu kommen, um eine stabile Regierung zu bilden –„mit wem auch immer“. Die wirtschaftliche Situation in Deutschland sei im Moment wirklich enorm schwierig, da müsse etwas passieren. Dass Verkehrsminister Volker Wissing die FDP verlassen hat und Minister bleibt, findet Christoph Schöll enttäuschend. Wissing habe seine Karriere dank der Partei gemacht – ihr nun den Rücken zu kehren, findet Schöll nicht in Ordnung.

Für die Mayen-Koblenzer FDP war der Bruch der Berliner Koalition unvermeidlich. „Denn es wurde von Finanzminister Christian Lindner ein Verfassungsbruch verlangt“, sagt die FDP-Kreisvorsitzende Judith Lehnigk-Emden . Es hätten sich die anderen Partner nicht an die in der Verfassung verankerten Schuldenbremse halten wollen – und vom liberalen Bundesminister ein Abrücken davon ultimativ gefordert. „Baldmöglichst brauchen wir eine neue, stabile Regierung“, betont die FDP-Kreisvorsitzende. Dies würden die internationalen Partner, die heimische Wirtschaft und auch die Bürger so verlangen. „Als Fazit sehen wir das Ende der Ampel-Koalition als wirkliche Chance, um die politischen Weichen neu zu stellen“, erläutert die Liberale. Wie soll die Rolle der FDP künftig sein? „Wir benötigen eine neue Epoche, in dem Wachstum, Wohlstand und Innovation keine Fremdworte sind“, sagt Lehnigk-Emden. Die FDP sowohl im Bund als auch hier an Ort und Stelle sei weiterhin bereit, Verantwortung zu tragen.

Der Bruch der Ampelkoalition sei erwartbar gewesen, findet auch Mechthild Heil , CDU-Bundestagsabgeordnete für den Wahlkreis Ahrweiler, zu dem weite Teile des Landkreises Mayen-Koblenz gehören. Sie führt den Bruch auf „Egoismus sowie Mangel an Kompetenz und Kompromissbereitschaft“ zurück. Auf die Ankündigung von Bundeskanzler Olaf Scholz, im Januar die Vertrauensfrage zu stellen, erklärt die Politikerin: „Er muss die Vertrauensfrage jetzt stellen. Die Menschen haben überhaupt kein Verständnis dafür, dass sich das so lange hinzieht.“ Es dauere mindestens 81 Tage, bis eine neue Regierung gewählt werden könne, und die Regierungsbildung brauche auch etwas Zeit. In dieser Phase gebe es Stillstand, der für die Wirtschaft schwer auszuhalten sei. Die Stimmung in Berlin beschreibt sie als „fast turbulent“, so wie sich die Ereignisse überschlügen.

Mechthild Heil
Rico Rossival

Auf Kim Theisens persönliche Zukunft könnte die großpolitische Wetterlage sich kurzfristig auswirken: Die junge Grüne Fraktionsvorsitzende aus Koblenz könnte sich schon bald im Bundestagswahlkampf wiederfinden. Sie kandidiert zum ersten Mal für den Wahlkreis. Als sie am Mittwochabend vom Bruch der Koalition erfuhr, sei sie schockiert gewesen, sagt sie – und ist es noch. „Ich hätte nicht gedacht, dass man sich genau zu diesem Zeitpunkt vor der Verantwortung drückt“, sagt sie im Hinblick auf die FDP. Denn es gebe noch wichtige Entscheidungen, die die Regierung in die Wege leiten müsse, auch für die Ukraine beispielsweise. Vor diesem Hintergrund favorisiert Theisen auch den Vorschlag von Kanzler Scholz, Neuwahlen im März anzustreben, um noch ein paar Dinge zu Ende zu bringen. Sie ist nicht für Neuwahlen so bald wie möglich.

Kim Theisen
Jil Hoppe

Ob die Instabilität der Ampel den extremen Kräften Zulauf beschere, könne sie nicht beurteilen, „ehrlicherweise haben ja die Europa- und die Kommunalwahl gezeigt, dass es sowieso einen Rechtsruck gibt“.

Der AfD-Landtagsabgeordnete und Stadtrat Joachim Paul hat damit gerechnet, dass „die Ampel in der vagen Hoffnung auf bessere Umfragewerte noch aus Opportunismus zusammenhalten würde“. Nun spiele die FDP - aus Pauls Sicht die große Verliererin, was die Durchsetzung eigener Positionen angeht - um ihre bloße Existenz. „Das Ampel-Aus ist natürlich zunächst einmal eine große Erlösung für unser Land“, findet Paul. „Wir brauchen einen grundsätzlichen Neuanfang.“ Neuwahlen sollten so schnell wie möglich stattfinden, „damit das Rumpfkabinett der Gescheiterten unter Scholz, das nur noch dem eigenen Machterhalt dienlich ist, so schnell wie möglich vor den Wähler tritt.“ Die AfD sei als zweitstärkste Partei im Bund und stärkste in einigen Ländern fest in der politischen Landschaft verankert. „Die CDU muss wissen: mit Schwarz-Grün ist keinerlei Wende in der Einwanderungspolitik möglich, schon gar nicht die Rettung unserer Industrie. Sie sollte auf uns gerade jetzt zugehen”, so Paul.

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