Für die Freunde des rheinischen Frohsinns hätte das Jahr 1925 nicht besser beginnen können: Zum ersten Mal seit 1914 wurde in Koblenz wieder Karneval gefeiert. Allerdings war es ein Karneval mit angezogener Handbremse, denn närrisch durften die Koblenzer nur in Sälen und Gaststätten sein. Dennoch war es ein Zeichen dafür, dass der Alltag sich nach dem Weltkrieg, den darauffolgenden politischen Unruhen und der Inflation wieder normalisierte. Ende Februar 1925 ereilte die Republik allerdings eine neue Hiobsbotschaft: Reichspräsident Friedrich Ebert starb mit 54 Jahren.
Karneval: Anfang Januar 1925 gaben die preußische Regierung sowie die Interalliierte Rheinlandkommission bekannt, dass „in geschlossenen Räumen wieder öffentliche karnevalistische Tanzlustbarkeiten und karnevalistische Vorträge zugelassen sind“. Weiterhin untersagt blieben jedoch sowohl Umzüge als auch Maskierungen und Verkleidungen im Freien. Von der wieder erlaubten fünften Jahreszeit machten die Koblenzer schnell reichlich Gebrauch. Bereits Mitte Januar, einen Monat vor Rosenmontag, meldete die „Coblenzer Volkszeitung“: „Jetzt sieht man wieder in den Geschäften die bunten Kostüme, Kopfbedeckungen, Larven und was sonst noch alles dazu gehört, um ein lustiges Leben und Treiben in der Karnevalszeit auch nach außen hin Ausdruck zu verleihen. Sogar die Luftschlangen flattern überall herum.“ Ebenfalls Mitte Januar erschien auch eine Koblenzer Karnevalszeitung „Alaaf Schlawina“, die für 50 Pfennig, den fünffachen Preis einer damaligen Tageszeitung, in Buchhandlungen, Schreibwarengeschäften und durch Straßenhändler vertrieben wurde. Die vom Koblenzer Künstlers Heinrich Zernack herausgegebene Zeitung zeigte auf dem Titelbild in humoristischer Weise die amerikanische Besatzungszeit – von trinkenden und torkelnden US-Soldaten bis zur klassischen Verbindung zwischen einer Koblenzerin und einem amerikanischen Soldat.
Federführend bei den Karnevalssitzungen, die zumeist mit Tanz und einem Maskenball einhergingen, waren der 1903 gegründete „Närrische Reichstag“, der in der Burg Hohenzollern in der Vorstadt tagte, der Karnevalsverein Iwwerfiehrte, der in Lützel in der Gaststätte „Zum Hähnchen“ feierte, sowie die Große Coblenzer Karnevalsgesellschaft. Letztere veranstaltete an Rosenmontag um 20 Uhr einen Maskenball in der Festhalle, zu dem nur Mitglieder und „eingeführte Gäste“ Zutritt hatten. „Masken sind nur im Saal erlaubt, und anstößige Verkleidungen werden ohne Weiteres aus dem Saal entfernt“, schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“. Wem dies zu exklusiv war, der fand allerdings in den Lokalen der Koblenzer Altstadt reichlich Alternativen, wie die zahlreichen Anzeigen in der „Coblenzer Volkszeitung“ beweisen, die für Maskenbälle, Bockbierfeste oder sonstiges „Karnevalsvergnügen“ von Fastnachtssonntag bis Aschermittwoch werben.
Maskenverbot wurde oft missachtet
Und je mehr sich Rosenmontag näherte, umso mehr wurde auch das Maskenverbot missachtet. An Rosenmontag schien es keinen mehr zu kümmern, wie ein Bericht aus der „Coblenzer Volkszeitung“: „Schon in den frühen Mittagsstunden wogten viele Menschen in den Straßen so hin und her und als erst die Schulen aus waren, da hielt es die Kinder nicht mehr. In Scharen kamen sie, um in grotesken Kostümen und originellen Verkleidungen durch die Straßen zu ziehen.“ Letztere waren dabei passend zur fünften Jahreszeit geschmückt. „Die Luftschlangen hingen in einzelnen Straßen zu Tausenden aus den Häusern oder waren über dieselben gespannt“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“. Und auch einen improvisierten Rosenmontagszug gab es in der Altstadt. „Die Fruchtmärker Kinder-Schar hat ihn veranstaltet, und tausende Erwachsene schauten zu“, schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“. Mit der „Fruchtmärker Kinder-Schar“ waren die Kinder rund um den Florinsmarkt gemeint, der damals der Marktplatz für den Verkauf von Obst und Früchten war. Auch das Stadttheater versagte sich dem Rosenmontagspektakel nicht. Mit Jacques Offenbachs Operette „Orpheus in der Unterwelt“ brachte man nicht nur leichtere Kost, man reicherte die Aufführung auch mit „karnevalistischen Einfällen“ und „sonstigem lustigen Unfug“ an. So war es an Fastnacht 1925 wie fast immer im Rheinland und „kein Deuwel gearbeitet had“, wie der Mundartdichter „Andun“ im „Coblenzer Generalanzeiger“ schrieb. Und weiter dichtete er dort: „Off alle Bürros, doh war Roh/ Die Werkstätte die wore zo/ Kein ebbes dahn, kein Mensch gedaacht/ Weil et heißt: Heit hann mer Fasennacht“.
Z ugüberfall: Einen Paket- und Güterzug überfiel eine Bande auf der Strecke von Koblenz nach Boppard. „Die Diebe sprangen auf den fahrenden Zug, brachen verschlossene Wagen auf und warfen die Güter die Böschung herunter. Dort wurden sie von den Mitgliedern der Bande aufgesammelt. Mit einem Kahn fuhr die Bande mitsamt Diebesgut auf die andere Rheinseite, wo die Beute zunächst unter einem großen Haufen Rüben vergraben wurde“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“. Die Beute bestand vor allem aus Damenunterwäsche, Schuhen, Zigaretten, Wolle, Seide und Leder. Allerdings hatten die Diebe nicht lange Freude daran. „Zwischen sechs und acht Uhr rückten 40 Polizeibeamte mit zwei Autos an und umstellten in Niederlahnstein das Häuserviertel zwischen Lahn und Emserstraße, um die Personen festzunehmen, die in den Überfall eines Güterzuges auf der anderen Rheinseite verwickelt waren“, meldete die „Coblenzer Volkszeitung“. Festgenommen wurden zwölf Männer und vier Frauen, allesamt aus Niederlahnstein. „Von der Festnahme einer weiteren Frau sah man wegen deren Kinder ab“, so die „Coblenzer Volkszeitung“.

S chritttempo: Die wachsende Anzahl von Autos führte immer häufiger zu schlimmen Verkehrsunfällen. So kam es im Koblenzer Stadtgebiet allein in den ersten beiden Monaten 1925 zu zwei tödlichen Unfällen. So hatte die Stadt sowohl in der Firmungstraße als auch in der Rheinstraße Schilder anbringen lassen, die die Autofahrer zum Langsamfahren ermahnten. „Die Schilder sind gelb und tragen sowohl in Deutsch als auch in Französisch die Worte ,Schritt fahren´ beziehungsweise „Allez au pas‘“.

Gemüsegasse: Rund 60.000 Einwohner zählte Koblenz 1925, wobei die gesamte rechte Rheinseite ebenso nicht zur Stadt gehörte wie Metternich, Kesselheim, Bubenheim, Lay, Güls, Rübenach und Stolzenfels. Und die Karthause war noch kaum besiedelt. Die meisten Koblenzer wohnten damals in der Innenstadt, vor allem in der Altstadt. Dort waren die Wohnverhältnisse extrem eng und die hygienischen Bedingungen äußerst bescheiden, oft gab es keine Bäder, mitunter sogar keine Toiletten. So berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“: „Eine hässliche Unsitte hat in der Gemüsegasse Platz gegriffen. Es schütten gewisse dortige Einwohner in rücksichtsloser Weise die Toiletteneimer einfach in die Straßenrinne, und dann bleibt der Inhalt tagelang stehen, was gewiss der öffentlichen Gesundheit nicht dienlich ist.“

Schlachthof: 1890 wurde in Koblenz der Schlachthof eröffnet. Er war gebaut worden, um die bisherige Praxis der Hausschlachtungen, die als Herd für Infektionskrankheiten galten, zurückzudrängen. Allerdings wurden dort nicht nur Tiere aus Koblenz und der näheren Umgebung getötet. So berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“ im Januar 1925: „Ein großer Transport fetter Schlachtochsen aus Argentinien ist hier eingetroffen. Die Tiere wurden direkt auf dem Schlachthof geschlachtet.“ Insgesamt wurden im Januar 1925 in der Halle im Rauental 3002 Tiere geschlachtet, davon 1168 Kälber, 968 Schweine, 414 Schafe, 259 Kühe, 137 Ochsen, 48 Stiere und 8 Ziegen. Wie verbreitet Viehhaltung auch im eher städtischen Gebiet war, zeigt übrigens eine Viehzählung für die Stadt Bendorf, die die „Coblenzer Volkszeitung“ veröffentlichte. Demnach lebten in Bendorf, das damals die Stadtteile Sayn, Mülhofen und Stromberg noch nicht eingemeindet hatte, in 509 Haushalten: 4167 Federvieh, 411 Ziegen, 378 Schweine, 246 Stück Rindvieh, 179 Schafe und 91 Pferde.
Pazifismus: Die deutsche Friedensgesellschaft war nicht die einzige Organisation, die sich in den 1920er-Jahren in Koblenz für pazifistische Ideen einsetzte. So lud die Ortsgruppe Coblenz-Andernach des Friedensbundes Deutscher Katholiken zu einer Mitgliederversammlung ins Görreshaus, um sich mit einem Rundschreiben des verstorbenen Papstes Benedikt XV. (1854-1922) zu befassen. Und auch die Ortsgruppe Coblenz der Deutschen Friedensgesellschaft war weiterhin recht aktiv. So sprach der Sekretär der Deutschen Friedensgesellschaft, Gerhart Seger, im Realgymnasium, dem heutigen Eichendorff-Gymnasium, über das Thema „Was soll Deutschland im Völkerbund?“. Acht Jahre später, im März 1933, wurde Seger, der für die SPD im Reichstag saß, von den Nazis inhaftiert und ins KZ Oranienburg deportiert. Von dort gelang ihm im Dezember 1933 die Flucht ins Ausland, wo er eine Reportage über die dortigen unmenschlichen Zustände verfasste. Der Augenzeugenbericht über Grausamkeit und Terror in Nazideutschland erregte internationales Aufsehen. Aus Rache inhaftierten die Nazis daraufhin dessen Ehefrau und kleine Tochter. Erst nach internationalen Protesten wurden sie freigelassen und konnten ausreisen.
Friedrich Ebert: Am 28. Februar 1925 starb der erste deutsche Reichspräsident Friedrich Ebert an den Folgen einer Blinddarmentzündung. Der Tod des 54-jährigen Sozialdemokraten löste auch in Koblenz große Trauer aus. So wurden unter anderem am Todestag die Abendvorstellung im Stadttheater sowie andere Vergnügungsveranstaltungen abgesagt. Der dem katholischen Zentrum angehörende Oberbürgermeister Karl Russell sandte an die Witwe ein Beileidstelegramm, in dem er im Namen der Stadt Koblenz schrieb: „Mit ihm ist einer der treuesten deutschen Männer hinweggerafft, der stets aller Anfeindungen in schwerer Zeit ausharrte. Sein Glaube an Deutschlands Zukunft, seine unermüdliche Sorge um sein Vaterland und das bedrückte Rheinland sichern ihm auch in unseren Reihen eine bleibende dankbare Erinnerung.“ Am Tag der Überführung von Eberts Leichnam, die mittels eines Sonderzugs von Berlin nach Heidelberg, seiner Geburtsstadt, am 4. März geschah, kam es in ganz Deutschland zu Trauerbekundungen. So fiel wie im gesamten Preußen auch in Koblenz der Schulunterricht an diesem Tag für Trauerfeiern aus. Auch die Stadtverordnetenversammlung, wie in den 1920er-Jahren der Stadtrat genannt wurde, kam in der Festhalle zu einer Trauerfeier zusammen. Und um 11 Uhr läuteten zum Gedenken an den Verstorbenen in ganz Koblenz die Kirchenglocken.
Wetter: Die Wintermonate Januar und Februar waren 1925 ausgesprochen mild, Frost und Schnee waren seltene Gäste. Am 28. Januar meldete die „Coblenzer Volkszeitung“ den ersten Schnee in diesem Jahr. Ein paar Tage später war er allerdings schon wieder weg, und Ende Februar genoss man bereits in der Stadt frühlingshafte Temperaturen.