Koblenz
Biologe zur Verbreitung der Nil- und Kanadagans: "Der Mensch spielt am Ökosystem rum"

Nil- und Kanadagänse (hier Nilgänse auf dem Oberwerth) sind vom Menschen nach Europa gebracht worden und setzen teilweise den heimischen Tieren zu. Biologe Christian Dietzen erklärt, wie die Tiere sich verhalten, sich vermehren und wie man sie vertreiben könnte.

Henry Tornow

Koblenz. Die Gänse am Freibad Oberwerth sorgen für Gesprächsstoff. Die RZ hat sich mit dem Vogelkundler Dr. Christian Dietzen von der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz über das Verhalten von Nil- und Kanadagänsen, ihre Ausbreitung und darüber, was sie letztendlich aus dem Freibad vertreiben könnte, unterhalten. Das Interview im Wortlaut finden Sie hier.

Lesezeit 5 Minuten

Nil- und Kanadagänse (hier Nilgänse auf dem Oberwerth) sind vom Menschen nach Europa gebracht worden und setzen teilweise den heimischen Tieren zu. Biologe Christian Dietzen erklärt, wie die Tiere sich verhalten, sich vermehren und wie man sie vertreiben könnte.

Henry Tornow


Wie kam es dazu, dass Tierarten wie die Kanada- und die Nilgans bei uns eingewandert sind?

Eingewandert sind sie nicht, sie wurden sozusagen „eingeschleppt“. Die Gänse wurden in städtischen Parkanlagen ausgesetzt – quasi zur Verschönerung des Stadtbildes – und sind teilweise auch aus Vogelparks und Zoos „ausgebüxt“. Das ging überwiegend von England, Holland und Schweden aus. Von dort haben sie sich dann über den Rest Europas ausgebreitet. Die ersten Kanadagänse haben 1982, die ersten Nilgänse 1985 in Rheinland-Pfalz gebrütet.

Das heißt, sie sind nicht auf natürlichem Weg „eingewandert“, es steckt schon der Mensch dahinter.

Genau.

Warum fühlen sich diese Tierarten so wohl bei uns?

Wenn man sich die heutigen Verbreitungsgebiete der Kanadagans anschaut: Nordamerika und Europa unterscheiden sich vom Klima her kaum. Diese Tiere kommen hier gut klar und konnten sich anpassen.

Wie reagieren die heimischen Tiere auf die „Einwanderer“?

Im Prinzip sind Nil- und Kanadagänse für andere Tiere erst mal normale Wasservogelarten, die im gleichen Raum vorkommen. Das Problem ist, dass gerade Nilgänse teilweise sehr aggressiv sind. Sie können anderen Arten zum Beispiel die Nistplätze streitig machen. Das ist aber nicht durchgängig so. Es gibt Gebiete, da gibt es überhaupt keine Konflikte. Aber es gibt auch Orte – gerade am Oberrhein -, da ist es heikel. Da verjagen Nilganspaare die anderen Vögel oder stören sie bei der Brut, und das hat durchaus negative Auswirkungen. Was Rheinland-Pfalz betrifft, sind diese noch überschaubar. Aber man weiß nie, wie sich das weiterentwickelt.

Also besteht ein Risiko, dass heimische Arten verdrängt werden?

Theoretisch besteht das Problem, vor allem für seltene Arten mit nur noch lokalen Vorkommen. In der Schweiz hat sich beispielsweise die Rostgans stark vermehrt. Das führte dort zu Beeinträchtigungen einheimischer Vogelarten. Das Problem entsteht immer, wenn der Mensch am Ökosystem „herumspielt“. Man sollte sich immer vorher überlegen, was man da eigentlich tut.

Es gibt Berichte, wonach die Gänse heimische Enten unter Wasser gedrückt haben sollen. Existiert dieses Phänomen?

Nilgänse können – gerade zur Brutzeit – recht aggressiv sein, aber das sind Schwäne und viele andere Arten auch. Schwäne können beispielsweise auch „Jagd“ auf Gänse machen, die hier herumschwimmen. Das ist normales Revierverhalten. Ich kann mir vorstellen, dass es durchaus passiert, dass eine Nilgans versucht, eine Stockente aus ihrem Territorium zu vertreiben. Aber dass sie zielgerichtet auf Jagd geht, um Enten umzubringen, ist mir nicht bekannt. Wozu sollte sie das auch tun? Sie kann sie ja nicht fressen.

Gehen grundsätzlich Gesundheitsrisiken von den Nil- oder Kanadagänsen aus, zum Beispiel durch deren Kot?

Regelmäßig werden Kotproben genommen. Soweit ich weiß, sind alle diesbezüglichen Untersuchungen negativ verlaufen. Man hat keine Krankheisterreger gefunden, auch nicht von der Vogelgrippe.

Nilgänse brüten in unseren Breitengraden bereits seit den 80er-Jahren.

aga


In Koblenz hat das Freibad Probleme mit der Kanada- beziehungsweise Nilganspopulation. Es wurden bereits Gänse geschossen, und Drohnen beziehungsweise Quadrokopter werden über die Wiese geflogen, um die Tiere zu vertreiben. Helfen diese Maßnahmen?

Drohnenflüge bringen wahrscheinlich wenig. Die Gänse gewöhnen sich sehr schnell an solche Störungen. Wenn sie erst einmal herausgefunden haben, dass der Quadrokopter ihnen nichts tut, stört sie das nach einer Weile nicht mehr. Das Abschießen hat sowieso keinen Sinn. Die abgeschossenen Tiere werden früher oder später von anderen ersetzt. Man hat in der Pfalz eine Bejagung der Gänse durchgeführt, aber dass das die Bestände reduziert oder die Tiere groß in ihrem Verhalten beeinflusst hätte, war nicht festzustellen. Letztlich führen alle Vergrämungsmaßnahmen nur zu einer Verlagerung des Problems. Man muss die Konflikte reduzieren, indem Gebiete für die Gänse räumlich von den Gebieten für die Menschen getrennt werden. Zudem kann man die Eier durch Attrappen austauschen. So lässt sich das Bestandswachstum reduzieren.

Vermehren sich die Gänse schneller als heimische Tiere?

Nein. Es gibt bei diesen Arten in der Regel eine Brut pro Jahr. Diese ist bei den Nil- oder Kanadagänsen längst nicht immer erfolgreich, die Verluste sind hoch. Es ist also nicht so, dass die Tiere sich über die Maßen vermehren. Sie brüten aber rund ums Jahr, gerade bei Nilgänsen sind regelmäßig im Winter Junge zu sehen. Aber das ist keine stärkere Vermehrung als bei einer Stockente oder bei anderen Gänsearten.

Welche weiteren Maßnahmen würden dem Freibad noch helfen?

Die Gänse mögen einen freien Zugang zum Wasser. Man könnte einen Schilfgürtel am Wasser anpflanzen. Oder auf den Wiesen niedrige Hecken anlegen oder Zäune aufstellen: Die Gänse mögen freie Sicht, sie gehen nicht in kleinräumiges, strukturiertes Gelände hinein. Damit kann man die Wiesen unattraktiver machen. Das Gras höher wachsen zu lassen, hilft bestimmt auch in gewissem Maße, aber das ist auf einer Liegewiese im Freibad vielleicht nicht die Lösung. Aber Strukturen in die Wiesen hineinbringen, damit die Tiere nicht so eine freie Fläche haben: Damit kann man einiges bewirken.

Ist Koblenz beziehungsweise Rheinland-Pfalz ein Hotspot der Nil- und Kanadaganspopulation?

Das kann man so nicht sagen. Ein Schwerpunktgebiet für die Kanadagans liegt am Oberrhein, um Ludwigshafen herum. Dann gibt es noch mal im Westerwald eine Häufung von Vorkommen, die am Rande Koblenz erreichen, sowie vereinzelt im Moseltal. Bei den Kanadagänsen ist das Gute, dass sie relativ ortstreu sind. Das bedeutet, dass die Ausbreitung relativ langsam voranschreitet. Bei der Nilgans ist es anders, da sind vor allem die Jungvögel sehr mobil und besiedeln so neue Gebiete. Bei den Nilgänsen ist es so, dass sie den kompletten Oberrhein abgedeckt haben, das Mittelrheinische Becken und die gesamte Mosel bis oberhalb von Trier. In der Eifel breiten sie sich ebenfalls aus, und auch im Westerwald sind sie gut vertreten.

Dr. Christian Dietzen, Jahrgang 1974, ist promovierter Biologe und hat in zahlreichen Projekten die hiesige wie auch internationale Vogelwelt erforscht. Er ist Mitglied der Gesellschaft für Naturschutz und Ornithologie Rheinland-Pfalz (GNOR) und ist Verfasser der dreibändigen Publikation „Die Vogelwelt von Rheinland-Pfalz“.

Das Gespräch führte Agatha Mazur

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