St. Sebastian – Der heftige Widerstand einiger weniger Anwohner gegen das Wohnprojekt „Rheindörfer Platz„ für Behinderte in St. Sebastian stößt bei vielen Menschen in der Region auf großes Unverständnis.
„Eine Ablehnung von Nachbarn bloß aus dem Grund, dass diese behindert sind, ist ein Skandal und kann nicht hingenommen werden“, teilt der Verein Naturfreunde Kettig unter Vorsitz von Oliver Hartmann jetzt in einer Presseerklärung mit.
Diesen Standpunkt vertritt auch der Gemeinderat von St. Sebastian – „und zwar fraktionsübergreifend„. “St. Sebastian steht klar hinter dem Projekt und distanziert sich deutlich von der Gegenbewegung„, betont Ortsbürgermeisterin Martina Ehrlich im Gespräch mit unserer Zeitung.
Rein rechtlich verlaufe ohnehin alles ordnungsgemäß. „Es geht hier einzig darum, dass man jahrelang auf der grünen Wiese gelebt hat und jetzt Nachbarn bekommt, die einem nicht gefallen.“
Zwar haben die wenigen Anlieger der Nelkenstraße und des Tulpenwegs, die zur Nachbargemeinde Kaltenengers gehören, gegenüber der RZ versichert, dass sie nichts gegen behinderte Menschen haben, zugleich befürchten sie jedoch, durch Lautäußerungen der Behinderten auch „psychisch beeinträchtigt„ zu werden.
„Ich war fassungslos, als ich diesen Satz in der Zeitung gelesen habe“, sagt Ehrlich, die es schade findet, dass aus „Eigeninteresse so ein Sack aufgemacht„ wurde. „Das A und O ist doch das Zusammenleben.“
Dass genau das gelingen kann und andernorts bereits gelungen ist, merken auch die Naturfreunde Kettig an. „In Kettig ist seit Jahren eine gelingende Partnerschaft zwischen der örtlichen Bevölkerung und den Menschen mit Behinderung gewachsen„, sagt der Vereinsvorsitzende Hartmann.
Viele Kettiger würden sogar von einer wahren Bereicherung der örtlichen Kultur durch die Bewohner der Förder- und Wohnstätten (FWS) sprechen, die auch der Investor für die Wohnanlage für 24 behinderte Menschen in St. Sebastian ist.
Der Kettiger Ortschef kann das nur bestätigen. „Wir waren von Anfang an der FWS gegenüber positiv eingestellt, und viele Kettiger suchen den Kontakt dorthin“, sagt Peter Moskopp. Auch in Kettig betreibt die FWS inmitten eines Neubaugebietes eine – wenn auch kleinere – Anlage nach dem gleichen Betreuungskonzept. „Bis heute gab es da noch keine Beschwerden. Im Gegenteil„, betont Moskopp.
Aus seiner Sicht herrschen dort gute Beziehungen, und die beiden Häuser integrieren die Nachbarschaft. „Für mich ist es absolut unverständlich, was in St. Sebastian vorgeht. Alle reden vollmundig von Inklusion, aber bitte nicht vor der eigenen Tür. Da stellen sich mir die Nackenhaare auf.“
Auch in der Moselgemeinde Niederfell weiß man nur Gutes vom Zusammenleben mit behinderten Menschen zu berichten. Seit mehr als 140 Jahren ist dort das Herz-Jesu-Haus Kühr beheimatet. „Die Menschen sind total integriert. Auch in den Außenwohngruppen. Mit den Anwohnern im Umfeld gab es da nie Schwierigkeiten„, versichert Ortsbürgermeister Heinz-Jürgen Meidt .
Unabhängig von deren Beweggründen bringt der Kaltenengerser Ortschef aber auch etwas Verständnis für die protestierenden Anlieger auf. „Die erste Planung vor 20 Jahren sah noch eine normale Wohnbebauung vor, in der Garten an Garten stößt. Dass die Anwohner jetzt verstimmt sind, ist menschlich nachvollziehbar“, sagt Jürgen Karbach.
Letztlich liege die Organisation und Planungshoheit bei St. Sebastian. Ob jedoch der Gemeinderat Kaltenengers umgekehrt eine Wohnanlage dieser Größe so nah an die Gemarkungsgrenze gesetzt hätte, „wage ich zu bezweifeln".