Seine eigenen Hühner leben so, wie man es artgerecht nennt: in einem umzäunten Freilaufgehege mit Bäumen und Büschen. Es gibt einen überdachten Teil und einen Stall. Die einst fünfköpfige Scharr ist mittlerweile auf 13 Hennen angewachsen. Wenn sich der 39-Jährige dem Gehege nähert, kommen sie angelaufen. „Die denken, es gibt Futter“, sagt Kai Sistenich und lächelt. Er nimmt eines auf den Arm – es ist ein glückliches Huhn, das viel Platz zum Laufen und Picken hat, das frische Luft atmet und Tageslicht bekommt.
Das genaue Gegenteil passiert dort, wo Legehennen in der Massentierhaltung zusammengepfercht etwa 18 Monate lang tagtäglich Eier produzieren müssen – bis sie ausgewechselt werden. Jede Kalorie, die ihr Körper aufnimmt, wird in die Eierproduktion gesteckt. Sie leben zu Hunderten auf dem Boden in dunklen Ställen, laufen über Gitter, durch die der Kot fällt. „Und wenn sie nach anderthalb Jahren ausgedient haben, weil sie statt sieben nur noch sechs Eier in der Woche legen, werden sie ausgetauscht und geschlachtet“, berichtet der Familienvater. Er mache den Bauern keinen Vorwurf. „Die bekommen pro Ei 4 oder 5 Cent“, das lasse wohl keine besseren Verhältnisse zu. Sistenich appelliert deshalb an die Verbraucher: „Alle fordern immer, es soll mehr bio geben.“ Aber wenn eine Zehner-Packung 4 Euro kosten soll, greifen viele eben doch zum Billigangebot.
Der deutschlandweit agierende Verein „Rettet das Huhn“ hat es sich zum Ziel gemacht, möglichst viele der Kreaturen aus den Ställen zu retten und ihnen für den Rest ihres Lebens, etwa drei bis vier Jahre, ein schönes Zuhause zu schenken. Mittlerweile haben auf diese Weise schon knapp 100.000 Legehennen überlebt.
Der Vereinsvorstand arbeitet deutschlandweit mit Bauern zusammen, die den ausgedienten Tieren ein freies Leben ermöglichen möchten. Zu diesen gehört auch ein Bauer aus dem Westerwald. Drei Mal im Jahr, wenn dort eine Generation Legehennen ausgetauscht wird, kommen verschiedene Retter-Teams aus der Großregion und holen die etwa 900 ausgedienten Hennen aus dem Stall. Die Hühner sind allesamt vorher vermittelt.
Kai Sistenich und seine Frau sind Ansprechpartner und Vermittler für den Raum Koblenz. Ihr Team rettet von den 900 Kreaturen 100 bis 200 Hennen. Die anderen werden von anderen Gruppen rausgeholt. Wenn der 39-Jährige in den großen dunklen Stall geht, trägt er einen Schutzanzug mit Atemschutz und Handschuhe.
Die Rettung läuft so: Ein Teil des Teams geht rein und fängt die Tiere im Stall, draußen nimmt der andere Teil die Hühner in Empfang und guckt, ob sie relativ fit sind, oder ob sie zu speziellen Pflegefamilien müssen, weil sie gebrochene Beine, feststeckende Eier oder ähnliche Beschwerden haben. „Aber auch die, die wir zu normalen Familien geben, sehen anfangs wüst aus“, betont Sistenich. Einige haben keine Federn mehr und sehen ausgemergelt aus. „Die erholen sich aber gut, wenn sie bei den Abnehmern sind.“
Die Tiere werden in Transportboxen gesetzt und auf einen eigens mit Spenden angeschafften Anhänger gestellt. Damit fahren die Koblenzer die Tiere dann zum großen Übergabeort. Die Fahrtzeit dauert knapp eine Stunde. Für Kai Sistenich und sein Team steht die nächste Rettung am kommenden Wochenende bevor. „25 Familien werden ihre Hühner dann von uns in Koblenz in Empfang nehmen“, erklärt der Tierfreund. Die kommen aus Koblenz und dem Umland. Die neuen Besitzer mussten sich vorab bei Kai Sistenich bewerben und einige Voraussetzungen erfüllen, etwa genügend Auslauf und einen Stall haben. Die Tiere werden nur an Menschen abgegeben, die bereit sind, sich gut um sie zu kümmern und mit ihnen bei Bedarf zum Tierarzt gehen.
Abnehmer sind meist Familien, die Hühner halten möchten und sich auf den Familienzuwachs freuen. Die Vermittlung sei ein Selbstläufer, sagt Sistenich. „Bekannte, Nachbarn, Mitschüler und Kollegen bekommen es mit, erzählen es weiter, überlegen selbst.“ Jeder muss angegeben, wie viele Hühner er mindestens und maximal aufnehmen würde. „Denn wenn wir in einen Stall reingehen, wissen wir nie genau, ob es nicht doch 20 weniger oder 30 mehr sind, als gedacht.“
Wer sich für die Hühnerrettung interessiert, findet Ansprechpartner und alles, was es bei einer Abnahme zu beachten gilt, auf der Internetseite des Vereins www.rettet-das-huhn.de