Nach Sturz des Assad-Regimes
Angst vor Ablehnung: Homam will in Deutschland bleiben
Homam floh vor anderthalb Jahren aus Syrien, weil er Angst um sein Leben hatte. Dort, wo der Informatikstudent arbeitete, wurden nach und nach junge Männer abgeholt, und niemand wusste, wo sie hingebracht wurden.
Katrin Steinert

Was macht der Sturz des brutalen Diktators Assad mit syrischen Flüchtlingen, die hier in Deutschland darauf warten, dass ihr Asylantrag genehmigt wird? Homam lebt in Koblenz. Er hat Angst davor, dass er zurück nach Syrien geschickt wird.

Koblenz. An jenem Sonntag im Dezember, als in Syrien die Schreckensherrschaft des Assad-Regimes endete, jubelte der 23-jährige Homam in seiner Flüchtlingsunterkunft in Koblenz. Endlich! Was für eine gute Nachricht für sein Land. Doch zugleich ahnte Homam, dass es für ihn nun schwierig werden könnte, in Deutschland bleiben zu dürfen. „Ich habe so viel riskiert, Gewalt erlebt, ich möchte nach vorne schauen.“ Nicht zurück.

Einer von 53 syrischen Flüchtlingen, die in der Schwebe sind

Homam ist einer von 53 Syrern, die aktuell in Koblenz darauf warten, dass über ihren Asylantrag entschieden wird – und die damit nun weiter in der Schwebe hängen (Stand: Ende Januar). Die Integrationsbeauftragte der Stadt Koblenz, Beate Oster, erklärt, dass bundesweit die Entscheidung über die laufenden Asylverfahren ausgesetzt wurde. Dies als Folge der veränderten Machtverhältnisse in Syrien.

Warum? Weil das Nahostland unter den neuen Machthabern irgendwann als sicheres Herkunftsland eingestuft werden könnte – wonach es nach den neuesten Vorfällen aber vorerst nicht aussieht.

Homam hat Sorge, dass sein Asylantrag abgelehnt werden könnte, weil die jahrzehntelange Schreckensherrschaft des Assads-Regimes vorbei ist.
Katrin Steinert

Homam fühlt sich unwohl mit der Situation: Muss er wieder zurück in das Land, aus dem er vor gut anderthalb Jahren geflohen war? „Ich habe Angst, was aus mir wird, dass ich wieder bei null beginnen muss.“ Er bemüht sich, die deutsche Sprache zu lernen, sich zu integrieren, sagt er. Nach fünf Monaten suchen hat er jetzt auch endlich eine Arbeitsstelle gefunden, „Vollzeit“, wie er einige Wochen später per Whatsapp berichten wird. Er sei bei fast allen Unternehmen in Koblenz gewesen, schreibt er mit einem Lach-Smiley.

Homam, 23 Jahre alt, schmale Statur, freundlicher Blick und ein zurückhaltendes Wesen, tritt an einem kalten klaren Februarmorgen aus seinem Wohnraum hinaus in den Innenhof der Gemeinschaftsunterkunft. Mit drei weiteren Flüchtlingen lebt er dort auf 36 Quadratmetern zusammen. Nicht optimal. Aber bislang kann er sich keine andere Unterkunft leisten. Nachrichten aus der Heimat verfolgen die jungen Männer online über einen syrischen Radiosender.

Der Innenhof der Gemeinschaftsunterkunft ist an diesem Morgen verwaist. Anderntags herrscht hier Betrieb, die Menschen tauschen sich aus, Kinder spielen auf dem kleinen Spielplatz. Es wird geredet, gelacht - und auch Trauriges aus dem Alltag oder von Verwandten aus der Heimat ausgetauscht.
Katrin Steinert

Einen moosgrünen Strickpulli trägt Homam an diesem Vormittag, sandfarbene Stoffhose und dazu passende Sneaker. Auch seine olivfarbene Jacke passt zum Outfit. Er legt Wert auf Stil. Grün, so erzählt er, ist seine absolute Lieblingsfarbe. „Ich liebe die Natur und fühle mich gut, wenn ich Grün trage.“

Das Redaktionsgespräch dolmetscht Karima Faddane, die als Integrationslotsin des Koblenzer Ordnungsamtes in der Gemeinschaftsunterkunft im Rauental eine „Mama für alle Fälle ist“, sagt sie. Sie spricht vier Sprachen, neben Deutsch sind dies Französisch, Arabisch mit all den verschiedenen Dialekten und Tamazight. Die sogenannte Berbersprache ist laut Faddane der verbindende Dialekt, die Umgangssprache der marokkanischen Bevölkerung.

Wegen ihrer Sprachexpertise wird die Integrationslotsin oft als Dolmetscherin gerufen, wenn die Verständigung in der Einrichtung nicht auf anderem Wege funktionieren will. „Oft reden wir mit Händen und Füßen, denn wir wollen, dass die Flüchtlinge lernen, Deutsch zu sprechen.“

Karima Faddane arbeitet als Integrationslotsin in der Gemeinschaftsunterkunft und nennt sich selbst "Mama für alle Fälle". Sie spricht vier Sprachen und alle zig Dialekte des Arabischen. Deshalb wird sie oft gebeten zu dolmetschen, wenn es darum geht, dass Inhalte korrekt weitergegeben und verstanden werden.
Katrin Steinert

In unserem Gespräch ist Karima Faddane auch eine interkulturelle Vermittlerin, sie fragt nach, was gemeint ist, erklärt, was Sprichwörter oder Gesagtes bedeuten. Sie und Homam gestikulieren beim Sprechen viel mit den Händen, während Fragen und Antworten über den Tisch fliegen. Manchmal lachen sie.

Homam hat die Beine überschlagen, malt mit seinen Handkanten das Bild einer Treppe in die Luft. „Ich habe mittlerweile in Deutschland Stufe drei oder vier erreicht, ich lerne die deutsche Sprache, wie man Müll trennt, was höflich ist, ich suche Arbeit.“ Bei unserem Gespräch in der Unterkunft wartete er hoffnungsvoll auf Rückmeldung einer Firma, die immer mal wieder Personal sucht. Würde Homams Asylantrag irgendwann abgelehnt, „lande ich wieder unten auf der Treppe“. Seine Hand sinkt auf die andere.

In dem Gemeinschaftsraum steht noch Weihnachtsgebäck auf dem Tisch. Hier werden kleine Feiern abgehalten, Gespräche geführt und andere Zusammenkünfte organisiert. An diesem Morgen sprechen Homam und Karima Faddane mit unserer Redakteurin.
Katrin Steinert

Der 23-Jährige versucht, das Gefühl zu beschreiben, das ihn seit dem Sturz Assads umtreibt. „Es ist die gleiche Angst, die ich in Syrien hatte.“ Es war diese Angst, die ihn bewog, sich im August 2023 auf den gefährlichen Weg gen Westen zu machen. Im Gepäck eine kleine Umhängetasche, die ihm seine Mutter geschenkt hatte. Darin verstaute er eine Uhr, Geld und sein Handy. Fragt man Homam, warum er das Land verließ, sagt er: „Es gibt viele Gründe.“

Um die Gründe zu verstehen, muss man mit ihm zurückschauen: Homam studierte nach dem Abitur Informatik in Syriens Hauptstadt Damaskus und arbeitete in einem Hotel. Dort teilte er sich ein kleines Zimmer mit anderen Angestellten, in dem sie schliefen und aßen. Er arbeitete zehn Stunden am Tag, besuchte zudem zehn Stunden täglich die Hochschule. „Manchmal habe ich nur ein, zwei Stunden geschlafen“, erzählt er. Manchmal arbeitete er auch einfach durch.

 Angst vor Gewalt, kein Geld, keine berufliche Zukunft

Trotz aller Schufterei reichte das Geld nicht, um sich selbst zu versorgen. „Ich konnte mir gerade etwas zu essen und zu trinken kaufen.“ Glück war, dass ihn seine Eltern, ein Elektromechaniker und eine Grundschullehrerin im Ruhestand, unterstützen konnten. Karima Faddane übersetzt: „In dieser Zeit geschah etwas, das für ihn sehr wichtig war.“

Eines Nachts, Homam arbeitete noch, kam die „politische Polizei“ ins Hotel. Man könnte es mit „Verfassungsschutz“ oder „militärischem Geheimdienst“ übersetzen, meint Karima Faddane. „Die Polizisten nahmen zwei junge Männer mit“, schildert Homam. Keiner durfte fragen, was passiert war. „Sie waren einfach weg!“ Der junge Syrer wirkt immer noch fassungslos, als er dies schildert.

Im Schlaf schutzlos ausgeliefert

Wenige Tage später, Homam schlief schon, drangen fremde Männer in das Zimmer ein. Sie holten einen Mitbewohner raus. Homam wurde wach, und ein Polizist befahl: „Du drehst deinen Kopf wieder um und schläfst weiter!“ So erinnert Homam sich an diese Nacht.

Der Augenblick, als er schutzlos schlief und das nächste Opfer hätte sein können, brannte sich in ihm ein. „Ich war beunruhigt und bekam Angst.“ Er bat den Hotelchef um zwei Monate Urlaub, sagte, er müsse für die Diplomprüfung lernen. „Ich log, weil ich dachte: Wenn die Flucht nicht klappt, kann ich wenigstens weiter dort arbeiten.“ Lügen mag Homam nicht. Aus Angst um sein Leben tat er es dennoch.

„Ich werde nicht zurückgehen!
Der syrische Asylbewerber Homam

Der Informatikstudent fuhr zu seinen Eltern, die auch heute noch in Dar’r leben, einem recht sicheren Ort für Muslime nahe der jordanischen Grenze im Süden des Landes. Bis zur vierten Klasse hatte seine Familie in Jarmuk nahe Damaskus gelebt. Doch als im März 2011 der Bürgerkrieg in Syrien ausbrach, flüchteten Eltern und Kinder nach Dar’r, wo Homam bis zu seinem Abitur wohnte.

Nun, ein Dutzend Jahre später, beriet er sich mit der Familie, wie und wohin er flüchten konnte. Es gab zwei Möglichkeiten: zu seinem älteren Bruder nach Dubai. „Aber dafür hätte ich einen Reisepass beantragen müssen.“ Sein Name wäre erfasst worden, spätestens beim Flug hätte ihn der Verfassungsschutz finden können.

Mit dieser Tasche, die ihm seine Mutter schenkte, flüchtete Homam aus Syrien. Darin verstaute er ein Portemonnaie, Geld und sein Handy.
Homam

Deshalb entschied Homam sich für die zweite Idee: „Ich gehe nach Deutschland.“ Warum dorthin? „Ich habe im Internet recherchiert. Die beruflichen Perspektiven in der Technologie und Informatik sind in Deutschland weit entwickelt.“ Zudem gelten die Menschen als freundlich, er mag das freie Denken, die Demokratie, das Arbeitsklima. Wer schuftet, zahle Steuern, „aber dafür bekomme ich etwas, ich kann die Miete zahlen, Essen kaufen“. Man hat Rechte, ist versichert, sagt Homam.

Die deutsche Sprache lernt er in Koblenz vor allem im Selbststudium, nachdem er VHS-Kurse absolviert hat. „Ich will nicht den ganzen Tag irgendwo rumsitzen.“ Er will die Sprachprüfungen schneller absolvieren, um schneller voranzukommen, paukt oft abends, „weil ich mich da besser konzentrieren kann“.

In dem moosgrünen Pulli fühlt sich Homam wohl, auch wenn es aktuell etwas unruhig in ihm aussieht. Denn er weiß nicht, was aus seinem Asylantrag wird. Der liegt auf Eis.
Katrin Steinert

Seine Studiennachweise und sein Diplom hat er zur Anerkennungsstelle geschickt und hofft, sich hier in Deutschland beruflich weiterzuentwickeln. „Das war auch ein Grund für meine Flucht: In meinem Bereich Informatik ist die Chance in Syrien, sich weiterzuentwickeln, gleich null.“ Durch den Krieg sei die Hochschule immer mal offen und dann wieder geschlossen gewesen. Zudem lernte er dort mit der Windows-Version von 2002, sagt er. „Ein uraltes Programm!“ Homam meint: „Menschen haben dort keine Zukunft.“

Der junge Syrer hat sein Leben riskiert, um die Chance auf eine bessere Zukunft zu bekommen und Gewalt zu entgehen. Seit vergangenem Freitag arbeitet er für eine Leiharbeitsfirma in einer Schuhfabrik. „Das ist viel besser als nichts zu tun“, sagt er glücklich. Dass er diese Stelle gefunden hat, weil er hartnäckig blieb, schenkt ihm ein Stück Zuversicht und Ablenkung, während er weiter wartet, was aus seinem Asylantrag wird. Für Homam ist aber ohnehin klar: „Ich werde nicht zurückgehen.“ Natürlich wünscht er sich Frieden für Syrien, aber eben auch für sich selbst eine sichere und bessere Zukunft.

Vier Monate auf der Flucht – teils mit gefroren Füßen

Homams viermonatige Flucht begann im August 2023 in Damaskus, ging über Aleppo nach Idlib bis in die Türkei. Dort hielt er sich bis Anfang November auf, bis es mit einem Schlepper und anderen zu Fuß durch den Wald nach Bulgarien ging, was als gefährlich gilt. Homam gelangte nach Serbien, musste wegen Grenzschließungen einen Monat im Flüchtlingscamp ausharren, bis es weiter nach Bosnien und Kroatien ging, wo er zwei Tage inhaftiert war.

Seine Füße waren gefroren, sagt Homam. „Wir baten die Polizei, als wir frei kamen, uns irgendwo rauszulassen, wo es warm ist.“ Man brachte sie zum Hauptbahnhof. „Fahr, wohin du willst“, hieß es, sagt Homam. Er fuhr nach Zagreb, hatte ein Hotelzimmer gebucht, um einen Tag zu schlafen. Mit dem Zug fuhr er dann nach Italien und mit einem Schlepper weiter nach Frankreich. Zum Schluss saß er im Zug nach Deutschland – gelangte nach Trier in die Erstaufnahmeeinrichtung, die er am 23. Dezember 2023 erreichte. Per Verteilungsschlüssel wurde er Koblenz zugewiesen.

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