„Der 8. Mai war ein Tag der Befreiung. Er hat uns alle befreit von dem menschenverachtenden System der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.“ Auf keine Gruppe trifft diese Aussage des ehemaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, die der CDU-Politiker in seiner historischen Rede zum 40. Jahrestags des Kriegsendes im Bundestag tätigte, so zu wie auf die Millionen Verfolgten des NS-Regimes. Denn für sie bedeutete der 8. Mai schlichtweg „Leben“. An das Schicksal des Metternicher SPD-Politikers Johann Dötsch erinnerte Joachim Hennig, stellvertretender Vorsitzender des Fördervereins Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus, in einem bewegenden Vortrag im Festsaal der Struktur- und Genehmigungsdirektion (SGD) Nord im Rahmen der Veranstaltungsreihe „80 Jahre Kriegsende und Befreiung“.
Zeitgleich zum Überfall auf Polen im September 1939 startete das NS-Regime in seinem Herrschaftsgebiet auch eine weitere Verfolgungswelle gegen politische Gegner. Inhaftiert und in Konzentrationslager gebracht wurden damals mehr als 1600 Personen. Einer der Verfolgten war der Koblenzer Sozialdemokrat Johann Dötsch.

„Er wurde in Koblenz von der Gestapo verhaftet und danach in das KZ Sachsenhausen verschleppt“, teilt Joachim Hennig mit. Für den damals 49-jährigen Johann Dötsch war es nicht die erste Verhaftung durch die Nazis. Bereits im Sommer 1933 hatte ihn, wie Hennig berichtet, die Gestapo in Koblenz inhaftiert. Dass der engagierte Sozialdemokrat den Nazis ein Dorn im Auge war, überrascht nicht. Denn in der Weimarer Republik hatte sich der ehemalige Berufssoldat vielfältig für die Demokratie eingesetzt. So war Johann Dötsch, der 1919 in die SPD eingetreten war, für die Sozialdemokraten im Rat der damals noch selbstständigen Gemeinde Metternich gewesen, und er hatte den Vorsitz der Koblenzer Ortsgruppe des Reichsbanners „Schwarz-Rot-Gold“, einer von SPD, Zentrum und DDP gegründeten Schutztruppe zur Verteidigung der Republik, inne. Außerdem war Johann Dötsch, der in Metternich auch den Arbeiterwassersportverein gegründet hatte, jahrelang für die SPD hauptamtlicher Parteisekretär und Mitglied im preußischen Provinziallandtag gewesen. Wurde der engagierte Sozialdemokrat nach der ersten Verhaftung 1933 nach einigen Wochen wieder entlassen, so konnte ihn nach seiner Verschleppung ins KZ Sachsenhausen erst die Niederlage des Deutschen Reichs vom Terror des NS-Staates befreien. Auch alle Gnadengesuche, die seine Frau Anna nicht zuletzt mit dem Hinweis auf den vierjährigen Einsatz und die schwere Verwundung ihres Mannes im Ersten Weltkrieg eingereicht hatte, blieben ohne Erfolg.

In den letzten Kriegstagen musste Johann Dötsch auch noch auf den Todesmarsch aus dem KZ Sachsenhausen. Am 20. April 1945, der Donner der Geschütze der Roten Armee war schon aus der Ferne zu hören, zwang die SS die verbliebenen rund 33.000 Gefangenen auf einen Marsch in Richtung Nordwesten. Dötsch hat seine Erinnerungen an diesen Marsch in einem unmittelbar nach der Befreiung verfassten Tagesbuch niedergeschrieben. Beim Vortrag im SGD-Gebäude in der Stresemannstraße spielte Joachim Hennig einen Radiobeitrag des MDR von 1995 ab, der sich detailliert mit den Tagebuchaufzeichnungen befasste. Sie schildern drastisch die Not der Gefangenen, die sich halb verhungert, unzureichend gekleidet und zu Tode erschöpft über die Straßen schleppten. Wer zurückblieb, der wurde mit einem Genickschuss hingerichtet. Nach Schätzungen von Historikern starben bei solchen Todesmärschen bis zur Hälfte aller Häftlinge, erläuterte Joachim Hennig.
Fünf Tage vor Kriegsende, am 3. Mai, war für Johann Dötsch das Grauen dann vorbei, er traf in Dümmer im westlichen Mecklenburg auf Truppen der US-Armee. Im Oktober 1945 kehrte Dötsch, Pate des ehemaligen SPD-Bundestagsabgeordneten Günter Pauli, nach Koblenz zurück, wo er die SPD mit neu begründete. Er starb am 2. Oktober 1946 an einer Herzerkrankung, eine Folge der unmenschlichen Haftbedingungen im KZ Sachsenhausen.