„Der Mai ist gekommen, die Bäume schlagen aus, da bleibe, wer Lust hat, mit Sorgen zu Haus“, dichtete Emanuel Geibel 1841. Der Aufforderung des Lübecker Lyrikers, der seine Studienjahre in Bonn verbachte, kamen die Koblenzer im Frühling 1925 wohl zum ersten Mal nach dem Kriegsende 1918 wieder in größerem Umfang nach. In den Zeitungsausgaben für den Mai finden sich jedenfalls häufig Notizen, die auf Ausflüge sowohl in die nahe, als auch in die „weite, weite Welt“ hinweisen.
R omfahrt: 1925 ist für Katholiken ein Heiliges Jahr, und entsprechend groß ist die Nachfrage für Fahrten nach Rom. Auch aus Koblenz machten sich zahlreiche Pilger auf den Weg in die „Ewige Stadt“. So schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“ Mitte Mai, dass sich Pilger, deren Sonderzug nach Rom um 21.55 Uhr vom Hauptbahnhof abfuhr, noch um 19 Uhr zu einer Andacht in der Jesuitenkirche getroffen hätten. Die Sonderzüge kamen zumeist aus Köln und fuhren den Rhein hinauf nach Basel und von dort durch den Gotthardtunnel nach Italien. Im Mai 1925 berichtet die „Coblenzer Volkszeitung“ gleich von zwei Sonderzügen, einer für Frauen am 16. und einer für Männer am 17. Mai, die in Koblenz Station machten. Die Kosten für eine solche Pilgerreise lagen für eine Fahrt dritter Klasse bei 320 Mark, für eine Fahrt zweiter Klasse bei 440 Mark. Unklar ist hierbei, ob Unterbringung und Verpflegung in Rom in dem Preis inbegriffen waren. Zum Vergleich: Eine Ausgabe der „Coblenzer Volkszeitung“ kostete damals 10 Pfennige. In den Zeitungsausgaben erschienen zudem auch Tipps für die Romfahrt. So schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“, dass Pilger für eine Audienz beim Papst einen dunklen Straßenanzug tragen müssten und Sportanzüge nicht zugelassen seien. Für Frauen war ein dunkles, geschlossenes Straßenkleid mit langen Ärmeln sowie ein schwarzer, langer Schleier vorgeschrieben. „Dieser Schleier kann auch überall in Rom gekauft oder geliehen werden“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Außerdem rät das Blatt dazu, für die Fahrt immer „etwas Mundvorrat im Gepäck zu haben, zumal es nicht ratsam ist, auf den italienischen Bahnhöfen etwas zu kaufen“. Und auch wollene Unterwäsche sowie einen leichten Mantel sollte der Pilger trotz der warmen Jahreszeit immer dabeihaben, rät die „Coblenzer Volkszeitung“. Die Pilgerfahrt dauerte in der Regel 10 bis 14 Tage.
S onderzüge: Die Pilgerzüge bieten allerdings nicht die einzigen Bahnfahrten in die Ferne. Anzeigen warben auch für Feriensonderzüge zur Nordseeküste, nach Italien generell oder in die Schweiz sowie nach Konstanz an den Bodensee. Für Fahrkarten an den Bodensee oder in die Schweiz gewährte die Reichsbahn an bestimmten Tagen sogar eine Reduktion des Fahrpreises von einem Drittel für Fahrten der dritten Klasse.
Globetrotter: Und mancher, den das Fernweh plagt, nimmt nicht die Bahn, sondern schnürte Schusters Rappen. So berichtet die „Coblenzer Volkszeitung“, dass drei Männer aus dem westfälischen Ort Wanne in Koblenz Station gemacht hätten auf ihrer Reise zu Fuß über alle Erdteile. „Die drei Globetrotter beabsichtigen durch das Rheingebiet, Bayern, Österreich, Italien, Griechenland, Türkei, Persien, Indien, China, Japan, Australien, Süd- und Nordamerika nach Europa zurückzukommen. Sie denken innerhalb von acht Jahren wieder Deutschland zu erreichen“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Ob diese Reise wirklich geglückt ist, lässt sich heute kaum herausfinden. In Koblenz hatten sie jedenfalls nur ein Minimum ihrer Strecke bewältigt, denn der Ort Wanne, der 1926 mit Eickel zu Wanne-Eickel verbunden wurde und der seit 1975 Teil der Stadt Herne ist, ist gerade mal rund 160 Kilometer von Koblenz entfernt.

A usflüge: Wer nicht über das nötige Geld für größere Reisen, die damals sowieso die Ausnahme darstellen, verfügt, hat natürlich noch die Möglichkeit, sich bei Ausflügen in die nähere Heimat zu entspannen. Gerade an freien Tagen, zu denen neben den Sonntagen nur noch die Feiertage zählten, wird davon reger Gebrauch gemacht. So berichtet die „Coblenzer Volkszeitung“: „Der Verkehr am Feste Christi Himmelfahrt war wieder einmal ganz außerordentlich stark. Ganze Scharen von Wandervögeln und sonstigen Reisenden belebten überall das Bild. Der Verkehr mit den Autos und Krafträdern, nicht minder mit den Fahrrädern war oft unheimlich groß. Die Konzerte in der Trinkhalle in den Rheinanlagen waren nachmittags und abends ebenfalls stark besucht, ebenso die Ausflugsorte und Lokale. Die Königsbach war ausverkauft, ein Sitzplatz war für etwas später Kommende nicht mehr zu haben.“

Jugendherberge: In Koblenz finden Wandervögel sowie jüngere Reisende 1925 seit ein paar Monaten auch in der neuen Jugendherberge eine preisgünstige Übernachtungsstelle. So schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“: „Schon mehrere Hundert haben bereits in der Jugendherberge genächtigt: Schüler aller Art, Studenten, Arbeiter – hier trennt kein Stand.“ Und zur Einrichtung der Jugendherberge, die in der Altstadt, in der Nagelsgasse unweit des Görreshauses ihren Sitz hatte, bemerkt das Blatt: „Es gibt einen Tagungsraum und eine große Küche mit zwei Gasherden. Die Schlafsäle sind groß, luftig und hell – in jedem stehen zirka 24 Betten. Die Mädchen haben auch zwei Säle mit jeweils 20 Betten.“

S tolzenfels: So wie es manchen Koblenzer im Mai 1925 in die Ferne zieht, so lockt es viele Fremde aus der Ferne in die Rhein-Mosel-Stadt. Vor allem der Rheintourismus steht hoch im Kurs. Davon profitiert nicht zuletzt Stolzenfels, das damals noch selbstständig ist. So schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“: „Unser malerisch am Fuße des Schlosses Stolzenfels gelegener Luftkurort erfreut sich eines von Tag zu Tag zunehmenden Fremdenbesuches. Besonders stark ist der Besuch von Koblenz an den Nachmittagen und Sonntagen, sowohl von Fremden wie auch von Einwohnern der Stadt. Ziel der Besucher ist vor allem das Schloss Stolzenfels, aber auch die Hotels und Restaurants mit ihren schattigen Gärten bieten in den heißen Tagen einen selten angenehmen Aufenthalt.“ Stolzenfels zählt damals 553 Einwohner und kann unter anderem eine Schule, eine Poststation, eine Eisenbahnstation, einen Bürgermeister sowie einige Restaurants und Hotels vorweisen, darunter Cron’s Hotel sowie das Schloss Hotel Bellevue. Im Mai 1925 können sich die Stolzenfelser dabei nicht nur über den regen Fremdenverkehr freuen, sondern auch über eine neue Glocke für ihre Pfarrkirche St. Menas. Wie sehr viele andere Kirchenglocken so war auch die Glocke von St. Menas im Ersten Weltkrieg für die Rüstungsindustrie abgegeben worden. „Auf reich verziertem Festwagen wurde die Glocke bereits einige Tage vorher zur Kirche gebracht und dort im Blumenschmucke aufgestellt. Zur Weihe erschien die ganze Pfarrgemeinde und der Männer- und Frauenchor umrahmten sie mit passenden Gesängen: die Weihe nahm der Pfarrer von Stolzenfels, Nikolaus Kockelmann, vor“, berichtet die „Coblenzer Volkszeitung“. Die nach Plänen des Koblenzer Baumeisters Johann Claudius von Lassaulx errichtete Stolzenfelser Kirche, die 1833 fertiggestellt wurde, ist dem heiligen Menas geweiht, der im Zuge der Christenverfolgungen unter dem römischen Kaiser Diokletian im dritten Jahrhundert in Ägypten hingerichtet wurde. Es ist die einzige Kirche nördlich der Alpen, die unter dem Patrozinium (Schutzherrschaft) des heiligen Menas steht.
Baden: Mit dem Wonnemonat Mai beginnt die Badesaison. Nicht wenige Koblenzer suchen vor 100 Jahren bei sommerlicher Hitze eine Erfrischung in den Fluten von Rhein und Mosel – oftmals mit tödlichem Ausgang. Da allein in Koblenz damals jeden Sommer mehrere Menschen ertranken, erlässt die Stadtverwaltung deshalb Anfang Mai eine Verordnung, dass jenseits der öffentlichen Flussschwimmbäder, die mit Holzbalken ein Bassin im Fluss abtrennten, nur noch an zwei Stellen im Stadtgebiet gebadet werden dürfe. Doch viele Badefreunde halten sich nicht an das Verbot. So meldet die „Coblenzer Volkszeitung“ bereits Mitte Mai, dass trotz des Verbots Menschen beim Baden am Deutschen Eck gesehen wurden. „Es kann wegen der großen Gefahr nur begrüßt werden, wenn die Polizei streng hiergegen vorgeht. Vor allem hüte man sich an den besonders gefährdeten Stellen zu baden, im Rhein hinter den Brücken, wo die Wirbel selbst den tüchtigsten Schwimmer in die Tiefe ziehen können. Und in der Mosel ist es vor allem die ,Pferdekaul‘ gegenüber der Falckensteinkaserne, die schon so viele Todesopfer gekostet hat“, schreibt die „Coblenzer Volkszeitung“. Die hier erwähnte Falckensteinkaserne ist nicht mit der heutigen Falckensteinkaserne, die sich in Lützel nördlich der Maria-Hilf-Kapelle neben der B9 befindet und erst 1936 errichtet wurde, zu verwechseln. Die damalige Falckensteinkaserne befand sich zwischen Altstadt und Rauental auf der Höhe der Rampe zur heutigen Europabrücke und beherbergte zwischen 1898 und 1918 das 1. Rheinische Pionier-Bataillon Nr. 8. Die Mahnungen, die das Koblenzer Blatt ausgestoßen hatten, fallen allerdings nicht überall auf fruchtbaren Boden. Bereits wenige Tage später meldet die „Coblenzer Volkszeitung“, dass ein 19-Jähriger bei Vallendar beim Baden im Rhein an einer verbotenen Stelle ertrunken sei.
S Einen seltenen Fund machen die Koblenzer Mitte Mai in Lützel an einem Pfeiler der alten Moselbrücke. „In dem grünen Wasser des Floßhafens war eine Schlange zu sehen. Das seltene Reptil stammt wahrscheinlich von einer der Messebuden, die kürzlich auf dem Frühjahrsmarkt in Lützel waren“, mutmaßt die „Coblenzer Volkszeitung“. Das Blatt kann das Reptil auch direkt einordnen. „Es ist eine Boa constrictor, die eine Länge von etwa drei Metern hat. Die schon in Verwesung übergegangene Schlange verbreitet einen entsetzlichen Gestank. Bei der jetzigen Tropenglut ist die sofortige Beseitigung der Schlange, die von der Moselbrücke gut zu sehen ist, eine unerlässliche Notwendigkeit. Außerdem ist die Stelle, an der sie gelegen ist, mit Chlor zu übergießen“, meint die „Coblenzer Volkszeitung“.
Wetter: Der Mai 1925 entpuppt sich als vorgezogener Sommermonat. Sind die ersten zehn Tage des Wonnemonats mit teilweise kräftigen Gewittern noch recht stürmisch, so steigen die Temperaturen in der zweiten Monatshälfte in sommerliche Bereiche. Die „Coblenzer Volkszeitung“ spricht am 21. Mai davon, dass die Tropenglut sich mittlerweile „an der Grenze zum Angenehmen befände“.