Wahlkampf: Knapp 60.000 Einwohner zählte Koblenz im April 1924. Die rechtsrheinischen Stadtteile gehörten damals noch genauso wenig zu Koblenz wie Metternich, Güls, Rübenach, Lay, Kesselheim, Bubenheim und Stolzenfels. Trotz der schwierigen wirtschaftlichen und politischen Situation 1923 hatte Koblenz dennoch einen demografischen Aufschwung. Innerhalb eines Jahres war die Stadt um gut 1000 Einwohner gewachsen, wobei die Eingemeindung von Wallersheim mit 770 Neubürgern den Löwenanteil zum Bevölkerungszuwachs beisteuerte. Am 4. Mai 1924 waren alle Koblenzer nunmehr aufgerufen, einen neuen Reichstag sowie ein neues Stadtparlament zu wählen. Voraussetzung war, dass sie 20 Jahre alt waren. Um als Kandidat sich für ein politisches Mandat zu bewerben, mussten sie sogar 25 Jahre alt sein.
Stärkste Partei in Koblenz in den 1920er-Jahren war das katholische Zentrum. Es positionierte sich als Partei der Mitte und versuchte einen Wahlkampf gegen die beiden Extreme zu führen. So erschien in der dem Zentrum nahestehenden „Coblenzer Volkszeitung“ folgende Anzeige: „Krieg? Deutschnationale und Völkische rasseln mit dem Säbel. Kommunisten erwarten die rote Armee. Willst du Frieden und Verständigung, dann wähle Centrum“. Das Zentrum hielt vor der Wahl zwei Großveranstaltungen ab, eine im Görreshaus und eine in der Festhalle. Es sprachen dabei die Reichstagsabgeordneten Ludwig Kaas aus Trier und Theodor von Guérard, der Ende der 1920er-Jahre Reichsminister für Verkehr sowie für Justiz war.
Heftige Zusammenstöße verschiedener Parteien
Auch die rechtsliberale Deutsche Volkspartei (DVP) sowie die SPD luden Ende April 1924 Reichstagsabgeordnete zu Wahlkampfveranstaltungen ein. So sprach für die SPD in der Festhalle der in Ediger an der Mosel geborene ehemalige Innenminister Eduard David. Und für die DVP redete der Kölner Jurist, Professor Paul Moldenhauer, in der Aula des damaligen Kaiser-Wilhelm-Realgymnasiums. Der Wahlkampf verließ dabei keineswegs reibungslos, auch wenn es unter den Augen der französischen Besatzungsmacht wohl etwas ruhiger zuging als im unbesetzten Deutschland.
Mitte April schrieb die „Coblenzer Volkszeitung“: „In Güls kam es zu heftigen Zusammenstößen mit aus dem weiten Umkreis zusammengezogenen Kommunisten, die förmliche Sprengkommandos aufboten, um die sozialdemokratische Versammlung zu stören. Nach einem Referat und nachfolgender Aussprache wurde dem Sozialdemokraten gewaltsam das Schlusswort vereitelt. Dasselbe Manöver wurde in Horchheim angewandt.“ Anfang April hatten in Köln die Parteiführer eine Vereinbarung geschlossen, der sich die Kommunisten aber nicht angeschlossen hatten.
Die Vereinbarung sah vor, dass alle Störungen öffentlicher Versammlungen des Wahlgegners zu unterbleiben hätten. Des Weiteren durften Plakate nur mit Zustimmung des Hauseigentümers angeklebt werden. Und darüber hinaus sollte die Karwoche bis einschließlich Ostersonntag möglichst frei von politischen Versammlungen sein.
Kandidaten: Um die 44 Sitze in der Koblenzer Stadtverordnetenversammlung bewarben sich sechs Gruppierungen: SPD, Zentrum, Kommunisten, eine Beamtenliste, eine freie Bürgervereinigung und eine bürgerliche Arbeitsgemeinschaft. Letztere war ein Zusammenschluss der eher links ausgerichteten DDP und der rechts ausgerichteten DVP sowie der weit rechts stehenden, monarchisch gesinnten Deutschnationalen Volkspartei (DNVP). Die freie Bürgervereinigung war eine Abspaltung von der Zentrumspartei um den damals noch katholischen Pfarrer Johannes Greber. Allen politischen Gruppierungen gemeinsam war ihr geringer Frauenanteil.
Beim Zentrum kandidierten die Hausfrau Maria Stern auf Listenplatz zwei und die Lehrerin Helene Rothländer auf Platz 13. Für die SPD kandidierten Eva Hausmann (Platz 9) und Josefine Becker (Platz 13). Und für die bürgerliche Arbeitsgemeinschaft bewarben sich Carola Schüller (Platz 7), Witwe des 1900 verstorbenen Koblenzer Oberbürgermeisters Emil Schüller, und Emma Sehmer (Platz 10). Die Beamtenliste, die freie Bürgervereinigung und die Kommunisten stellten auf ihren vorderen zehn Plätzen keine Frauen auf.
Soziologisch betrachtet fällt auf, dass die SPD unter den ersten 15 Listenplätzen nur vier Personen hatte, die Arbeiter waren oder einem klassischen Handwerk angehörten: ein Maschinist, ein Schuhmacher, ein Zimmermann und ein Buchdrucker. Als klassische Partei der Arbeiter und Handwerker präsentierten sich hingegen die Koblenzer Kommunisten. Auf den ersten acht Plätzen kandidierten ein Metall- und ein Bauarbeiter, zwei Schneider, ein Schmied, ein Bauschreiner, ein Graveur und ein Buchdrucker. Für das Zentrum, dessen Liste von Rechtsanwalt Georg Loenartz angeführt wird, kandierte auf Platz vier mit Johannes Metzdorf ein Pfarrer.
Neuendorfer Pfarrer unterstützt bei Wohnungssuche
Rückkehr: Die Franzosen wiesen 1923 nach Schätzungen rund 1500 Koblenzer ins unbesetzte Deutschland aus. Damit wollte die Besatzungsmacht gegen Arbeitsniederlegungen in der Beamten- und Arbeiterschaft, vor allem bei den Eisenbahnern, vorgehen. Nachdem im Herbst 1923 der passive Widerstand gegen die französisch-belgische Besetzung des Ruhrgebiets von der deutschen Regierung eingestellt worden war, entspannte sich die politische Lage. Ergebnis war, dass zu Ostern 1924 rund 350 Koblenzer mit ihren Familien wieder zurückkehren konnten.
Da vielfach die Wohnungen der Ausgewiesenen direkt nach der Ausweisung neu belegt worden waren, bat der Neuendorfer Pfarrer Johannes Metzdorf um Unterstützung: „Es wäre dankbar, wenn manche Familie das eine oder andere Zimmer zur Verfügung stellte, damit Rückkehrende dort einige Wochen untergebracht werden könnten. Gott lohne allen, die mithelfen, ihre im Augenblick dringend notwendige Caritas“, schrieb Metzdorf in der „Coblenzer Volkszeitung“.
Unter den Ausgewiesenen befand sich seit dem 23. Oktober 1923 auch der Koblenzer Oberbürgermeister Karl Russell. Er war allerdings nicht wegen des passiven Widerstands ausgewiesen worden, sondern weil er sich stark gegen die rheinischen Separatisten positioniert hatte. Karl Russell gehörte jedoch nicht zu den Osterheimkehrern, er musste noch bis zum 10. Juli 1924 warten.
Nibelungen: Rund zwei Monate nach seiner Premiere in Berlin wurde auch in Koblenz der erste Teil von Fritz Lang Filmepos „Die Nibelungen“ gezeigt. Die Aufführungen des ersten Teils ,Siegfried‘ haben begonnen und sind bis Ende dieser Woche verlängert worden“, hieß es in einer Anzeige des Kinos „Apollo-Theater“ in der „Coblenzer Volkszeitung“. „Kriemhilds Rache“, der zweite Teil des knapp 300-minütigen Filmepos, feierte zu diesem Zeitpunkt gerade in Berlin seine Premiere. „Die Berliner Uraufführung gestaltete sich zu einem gesellschaftlichen Ereignis ersten Ranges. Zahlreiche Vertreter der deutschen Regierung, der ausländischen Gesandtschaften, der in- und ausländischen Presse nahmen daran teil“, schreibt der „Coblenzer Generalanzeiger“.
Regisseur Fritz Lang emigrierte 1933 nach der Machtergreifung der Nazis ebenso aus Deutschland wie Erich Pommer, der jüdische Produzent des Films. Der jüdische Schauspieler Georg John, der in den Nibelungen unter anderem in der Rolle des Schmieds Mime und in der des Alberichs zu sehen ist, wurde 1941 ins Getto Litzmannstadt nach Lódz verschleppt, wo er, gesundheitlich angeschlagen, infolge der unmenschlichen Bedingungen noch im selben Jahr starb.
Markt: Die im November 1923 eingeführte neue Währung, die Rentenmark, gewann rasch das Vertrauen der Bevölkerung. Und dieses Vertrauen brachte es mit sich, dass allerorts wieder Waren angeboten wurden, so auch auf dem Wochenmarkt am Münzplatz. Am 26. April berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“: „Der Wochenmarkt beginnt ein freundlicheres Aussehen zu gewinnen. Viele landwirtschaftliche Produkte von hier, sind trotz der wenig milden Tagen auf den Markt gebracht.
Dazu kommen Unmengen ausländischer Waren wie gewisse Salatsorten, Maltakartoffeln, Blumenkohl, Apfelsinen, Zitronen, Bananen, Feigen, Datteln, spanische Nüsse, Kokosnüsse, Erdnüsse. Und schon wird der erste Rhabarber angeboten und auch der erste Spargel ist da. Schwarzwurzeln, Radieschen, Spinat und andere Frühgemüse werden feilgeboten. Auch Landbutter und holländische Süßrahmbutter werden angeboten. Die Zeiten, in denen man für gutes Geld gar nichts bekommen konnte als höchstens ,so hinten herum‘, die haben aufgehört.“
Und auch die Situation auf dem Milchmarkt hatte sich verbessert. Generell durfte Milch nur in dafür autorisierten Geschäften auf eine Art Lebensmittelkarte abgegeben werden. Dadurch sollten vor allem Kinder, ältere Personen und Kranke Milch erhalten. Die Milch wurde dabei entweder in Pfandflaschen abgegeben oder, was für den Kunden noch günstiger war, in eine mitgebrachte Milchkanne gefüllt. Ende April ist die Situation in den Ausgabestellen recht gut, „so dass sehr viel Milch übrig bleibt, die dann an jedermann ohne Karte abgegeben werden kann“, so die „Coblenzer Volkszeitung“.
Ein Leiterwagen von beträchtlicher Größe
Krankenwagen: Dass täglich „Tatütata“ der Martinshörner hörte man in 1920er-Jahren noch nicht auf den Koblenzer Straßen. Aber es gab ein Krankenauto für den Notfall. Allerdings fuhren nicht Rettungssanitäter vom Roten Kreuz oder anderen Hilfsorganisationen raus, um Verletzte schnellstmöglich ins Krankenhaus zu bringen, sondern die Koblenzer Berufsfeuerwehr. Und sie erhielt im April 1924 ein neues Krankenauto. „Das Fahrzeug ist ein Leiterwagen von beträchtlicher Größe. Es enthält zwei schwebende Liegestellen und drei Sitzplätze sowie einen Behälter für Verbandszeug.
Die Liegestellen sind außerordentlich komfortabel“, schrieb der „Coblenzer Generalanzeiger“. Das Blatt gab im Zusammenhang mit der Vorstellung des neuen Autos auch gleich noch eine Anweisung zum richtigen Verhalten. „Bei dieser Gelegenheit sei das Publikum gebeten, bei Abholung von Kranken nicht durch neugieriges Ansammeln lästig zu fallen“, so der „Coblenzer Generalanzeiger“.
Gasvergiftung: Gekocht und geheizt wurde vielfach mit Gas. Immer wieder kam es hierbei zu Unfällen, so unter anderem im „Lützelhof“ in Lützel. „Als die Mutter in das Zimmer ihres 22-jährigen Sohnes kam, strömte ihr starker Gasgeruch entgegen und sie fand ihn besinnungslos im Bette liegend vor. Auf irgendeine Weise muss die Leuchtgasleitung undicht geworden sei. Das schnell herbeigerufene Krankentransportauto der Coblenzer Berufsfeuerwehr brachte den Wiederbelebungsapparat mit, wodurch es nach einstündiger Arbeit gelang, den jungen Mann wieder zum Bewusstsein zu bringen“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“.
Wetter: „Der April macht, was er will“, sagt der Volksmund. Und 1924 wollte er den Winter nicht lassen. In den ersten beiden Dekaden berichteten die Koblenzer Gazetten immer wieder von Schneegestöber. Erst ab dem 20. April drehte sich das Wetter, und der Frühling war mit milden Temperaturen da. „Sommerlich warm, so dass viele helle Sommerkleider auftauchen, die Vögel jubilieren und die Schwalben durch die Lüfte fliegen, war es am Wochenende“, berichtete die „Coblenzer Volkszeitung“ Ende April.