Vortrag in Winningen
Als der Wolf in der Region sein Unwesen trieb
Eine Wölfin hat vor gut 200 Jahren in der Region 13 Menschen an einem Tag angefallen. Ein Historiker erläutert die Hintergründe.
Julian Stratenschulte. dpa

13 Menschen an einem Tag angefallen: Ein heimischer Historiker wirft einen Blick auf eine tollwütige Wölfin, die 1815 zwischen Winningen, Güls und Rübenach unterwegs war.

Wo er auftaucht, ist er in aller Munde: Jäger, Naturschützer, Landwirte, selbst Wanderer und Spaziergänger machen sich ihre Gedanken, wenn sie einen Fuß in den Wald setzen. Könnte er in der Nähe sein? Vielleicht schon auf der Lauer liegend? Wer gemeint ist? Der Wolf. Das Tier, das einst heimisch hier war, wurde vertrieben und wird nun seit ein paar Jahren wieder angesiedelt – was nicht jedem gefällt. Doch wann wurde der Wolf eigentlich zum bösen Wolf? Ein historischer Vortrag wirft ein Licht auf die Thematik.

Wann wurde der böse Wolf böse, fragt unsere Zeitung den Geschichtsprofessor Wolfgang Schmid. Schmid ist zwar im Ruhestand, aber er hat weiter Lehraufträge an der Uni Trier und lebt seit einigen Jahren in Winningen, wo er am Freitag, 4. April, einen Vortrag in der Vinothek halten wird. Selbiger dreht sich unter anderem um einen „rasenden Wolf“, der im Juli 1815 sein Unwesen in der Region trieb. 13 Menschen – Frauen, Männer, Alte und Kinder – fielen der tollwütigen Wölfin zum Opfer, die sich zwischen Winningen, Güls und Rübenach bewegte – und das alles an einem Tag.

Böse, sagt Schmid, war der Wolf immer. Schon in der Bibel gibt es das Gleichnis vom guten Hirten, übersetzt mit dem Pfarrer, der seine Schäfchen führt, und dem Wolf, der diesen ans (Seelen-)Heil will. Ganz praktisch bedeutete es für Bauern den finanziellen Ruin, wenn Nutztiere gerissen wurden. Auch deswegen waren sie stets bestrebt, für ihre Steuern etwas vom Landesherrn zurückzubekommen: nämlich Schutz vor dem Räuber aus dem Wald.

Wolfgang Schmid ist Historiker an der Uni. In einem Vortrag Anfang April beleuchtet er die historische Rolle des Wolfs und einen Fall aus der Region.
Stephan Horch Photography. sparkasse koblenz // blz 570 501

Anfang des 19. Jahrhunderts ist die Stimmung dann endgültig gekippt, sagt Schmid, und der Wolf sollte ausgerottet werden. Ein letztes Glied einer langen Kette: Landwirtschaft wurde intensiver, Wälder wurden zurückgedrängt, der Wolf kam dem Menschen immer näher, und damit auch die Angriffe. Die „Bestie von Gévaudan“, die in Frankreich binnen drei Jahren mehr als 80 Menschen angefallen hat, setzt der Wolfsangst die Krone auf. Heute ist nicht ganz klar, ob es sich wirklich um einen Wolf gehandelt hat, sagt Schmid. Es hätte auch ein aus einem Privatzoo, den sich Adlige damals gerne hielten, entlaufener Tiger oder eine Hyäne sein können.

Ein Wolf greift normalerweise gar keine Menschen an, sagt Schmid. Doch die Umstände waren extrem: „Es gab ganz andere Winter, ganz andere Epidemien.“ Auch beim Rückzug von Napoleons Armee aus Russland blieben 1812 zahllose toten Soldaten und Pferde an der Straße zurück. Und der Wolf ist ein Aasfresser: „Deswegen ist er in der Natur ja so wichtig.“

Als es eine regelrechte Wolfsplage gab

Doch zu all diesen Problemen kam noch ein größeres. Denn zwischen einem Regierungswechsel weg von der französischen hin zur preußischen Regierung gab es in den Jahren 1814 und 1815 keine vernünftige Forstpolitik. Also auch niemanden, der sich um an Tollwut erkrankte Wölfe kümmerte – zwischen 1780 und 1820 kam es zu einer regelrechten Wolfsplage. Genau in diesen Zeitraum fällt das Wolfsunglück aus der Region, das ebenfalls seinen Beitrag zum Ende des Wolfes in Deutschland geleistet hat: Eine tollwütige Wölfin griff an einem einzigen Tag mehrere Feldarbeiter auf ihrem Weg von Winningen über Güls bis Rübenach an. Das rasende Tier konnte durch Feldarbeiter schließlich mit Sensen, Schlegeln und Hacken getötet werden, sagt Schmid.

Ebenso groß wie die Angst vor Wölfen war die vor der Tollwut, berichtet der Professor weiter, nicht umsonst sperrte man – auch nach dem Wolfsangriff in der Region – Betroffene in heimische Keller, um zu verhindern, dass sie andere Familienmitglieder anfielen. Sechs der Wolfsopfer infizierten sich, fünf überlebten den Angriff, ohne sich anzustecken, zwei starben an ihren Wunden.

„Wenn man nicht an Tollwut starb, dann an der Behandlung.“
Wolfgang Schmid

Die Fälle wurden von dem Gülser Pfarrer Alberich Kesten dokumentiert, der an medizinischen Fragen interessiert war und seine Schäfchen auch als Arzt betreute. Doch die Behandlung der Tollwut, für die erst 70 Jahre später Louis Pasteur eine Impfung entwickelte, war nicht weniger schlimm, als die Krankheit selbst: „Die damalige Auffassung war, dass das Gift aus dem Körper raus muss, also hat man die Wunde mit Schießpulver und dann mit glühenden Eisen ausgebrannt.“ Damit Gift und Eiter weiter rauslaufen können, wurde die Wunde daran gehindert zu heilen. Zum täglichen Verbandswechsel mussten die Patienten nach Koblenz ins Krankenhaus laufen. „Wenn man nicht an Tollwut starb, dann an der Behandlung.“

In der Nordeifel wurde der letzte Wolf 1873 bei Monschau geschossen

Erst die preußische Regierung beendete die Verhältnisse: Sie führte eine Verwaltung ein, Schulpflichten, baute Straßen und Eisenbahnen, führte medizinische Impfungen ein – und ließ systematisch den Wald bejagen. In der Nordeifel wurde der letzte Wolf 1873 bei Monschau geschossen, in der Südeifel 1888 in der Nähe von Gerolstein.

Interessant findet Schmid: Erst als der Wolf verschwindet, läuft er zu Hochkonjunktur auf. In Märchen und in der Kunst wird er verewigt, teils von Leuten, die noch nie einen Wolf gesehen haben. Bestes Beispiel ist das Märchen von Rotkäppchen, dessen Urversion von den Grimm-Brüdern stark entschärft wurde. Denn im Original liegt der Wolf nicht im Bett der Großmutter, sondern in dem von Rotkäppchen. Eine Warnung vor dem „bösen Wolf“ nur im symbolischen Sinne, dennoch wurden Wolf und Wald zu einer Projektionsfläche zum Gruseln.

Vortrag in der Vinothek Winningen

Unter dem Titel „Der rasende Wolf von Winningen“ hält Wolfgang Schmid am Freitag, 4. April, um 19.30 Uhr in der Vinothek Winningen einen Vortrag über Aberglaube, Medizin und Jagdpolitik zu Beginn der preußischen Herrschaft. Der Eintritt kostet 8 Euro.

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