1972, als die Rhein-Mosel-Werkstatt (RMW) gegründet wurde, da hieß sie noch „Behindertenwerkstatt“. Diejenigen, die heute hier ein Beschäftigungsangebot aber auch begleitende Angebote aus Bildung und Qualifizierung finden, die nannte man noch „die Sorgenkinder“, sagt Geschäftsführer Thomas Hoffmann.
Im Interview mit der RZ skizziert er gemeinsam mit Michaela Steffens, Vorsitzende des Gesamtwerkstattrates, und Alfred Langen, Projektverantwortlicher des Polytec-Jobservices der RMW-Tochter „Polytec Integrative gGmbH“ was die Rhein-Mosel-Werkstatt überhaupt ist und wie sich die Angebote der Werkstätten und das Bild in der Öffentlichkeit in den vergangenen 50 Jahren verändert haben.
Herr Hoffmann, wenn Sie jemanden in einem Satz erklären wollen, wofür die Rhein-Mosel-Werkstatt da ist, was sagen Sie dann?
Thomas Hoffmann: Viele Menschen, die Werkstätten nicht kennen, denken, dass wir hier die Menschen mit Beeinträchtigung nur beschäftigen. Aber Werkstatt ist mehr, wir bieten hier Teilhabe am Arbeitsleben und noch vieles darüber hinaus.
Was steckt genau dahinter?
Thomas Hoffmann: Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung und Arbeit. Für die, die von den allgemeinen Formen der Ausbildung und des Arbeitslebens überfordert sind, schaffen wir alternative Angebote. Das gehört zur Teilhabe am Leben dazu, das ist ein Menschenrecht. Wir bieten den Menschen an, dass sie ihre Persönlichkeit entwickeln. Und wir haben den gesetzlichen Auftrag, die Mitarbeiter so zu fördern, dass sie möglichst auf dem ersten Arbeitsmarkt Fuß fassen können.
Michaela Steffens: Jeder will doch das Gefühl haben, gebraucht zu werden, etwas zu leisten. Jeder möchte doch stolz sein, dass er was geschafft hat. Und jeder will doch irgendwo dazugehören. Ich habe in der Hauswirtschaft gelernt und arbeite jetzt in der Werbeabteilung, das hätte ich nie gedacht, dass ich das hinkriege. Aber ich hatte die Möglichkeit, mich weiterzuentwickeln. Das geht in der Werkstatt.
Sicher ist die Schar der Mitarbeiter sehr heterogen, können Sie das ein bisschen beschreiben?
Thomas Hoffmann: Wir betreuen und fördern seit 50 Jahren rund 900 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, das sind für uns die Menschen mit Beeinträchtigungen. Der klassische Weg ist, dass jemand wegen einer Beeinträchtigung schon die Förderschule besucht, dann zu uns in den Berufsbildungsbereich kommt und danach einen Arbeitsbereich findet, der zu ihm passt. Etwa ein Drittel unserer Mitarbeiter hat aber keine körperliche oder geistige Beeinträchtigung, sondern eine psychische, und da läuft es oft anders. Die kommen oft erst im Laufe eines „normalen Arbeitsleben“ zu uns, dann sind die Abläufe manchmal anders. Allen gemeinsam ist das Ziel, dass jeder den Platz findet, der zu ihm passt und zu dem er passt. Egal ob in der Werkstatt oder außerhalb.
Welche Plätze gibt es denn, um in diesem Bild zu bleiben?
Thomas Hoffmann: Wir unterscheiden zuerst einmal in den Berufsbildungs- und Arbeitsbereich. Im Berufsbildungsbereich bleiben die Teilnehmer bis zu 27 Monate, hier werden ihre Kompetenzen erfasst und gefördert. Und dann steht die Entscheidung an, in welchem Arbeitsbereich sie arbeiten wollen. Wir haben so etwas wie einen Bauchladen.
Es gibt die unterschiedlichsten Arbeitsbereiche. Angefangen von einfachen Verpackungsarbeiten bis zu hochtechnischen Bereichen, in denen komplexe Baugruppen montiert oder Maschinen nicht nur bedient, sondern von unseren Mitarbeitern auch programmiert werden. Darüber hinaus bieten wir Einsatzbereiche in Landschafts- und Gartenpflege, Wäscherei, Metallverarbeitung, Schreinerei, Lager, Küche sowie EDV-gestützte Arbeitsplätze zum Scannen und Archivieren, im Lagerwesen und bei Bürodienstleistungen.
Und wie kann ich mir einen Arbeitstag vorstellen? Läuft das wie in anderen Betrieben auch?
Thomas Hoffmann: Auch das ist total unterschiedlich. Es gibt Arbeitsbereiche, da läuft es wie in anderen Betrieben auch. Die Mitarbeiter haben aber außerdem auch Zeit, pädagogische und psychologische Beratungsangebote zu nutzen, Sport zu machen oder an Bildungsangeboten teilzunehmen, es gibt keinen Akkord. Und dann gibt es andere Bereiche, in denen in kleineren Gruppen die Mitarbeiter intensiver gefördert, gepflegt und betreut werden, die das aufgrund ihres erhöhten Hilfebedarfes brauchen. Und es gibt auch für alle die Möglichkeit, den geschützten Bereich der Werkstatt zu verlassen.
Wie kann das laufen?
Thomas Hoffmann: Das ist die Aufgabe unseres Integrationsmanagements. Wir qualifizieren, fördern und vermitteln Mitarbeiter für Praktika oder Außenarbeitsplätze in Firmen des ersten Arbeitsmarktes. Manche verlassen die Werkstatt irgendwann ganz und wechseln in einen Betrieb, in dem sie zunächst einen Praktikumsplatz oder vielleicht sogar einen Außenarbeitsplatz hatten. Für Firmen, die sich für Werkstattmitarbeiter öffnen, ist dies neben dem Gewinn eines wertvollen Mitarbeiters durchaus lukrativ. Durch entsprechende Modelle können bis zu 70 Prozent Lohnkostenzuschuss unterstützt werden.
Alfred Langen: Uns ist wichtig, dass jeder die Möglichkeit bekommt, das zu machen, was für ihn das Richtige scheint. Manche brauchen das geschützte Umfeld der Werkstatt, wollen nicht raus, andere trauen sich den Schritt aber zu. Die Antwort auf die Frage, wie die berufliche Zukunft aussieht, muss nicht sein, dass ausschließlich die Werkstatt der richtige Platz ist.
Wir wollen, dass die Frage nach den Wünschen, Möglichkeiten und Rahmenbedingungen gestellt wird. Die Antwort kann ein Arbeitsplatz innerhalb der Strukturen der Werkstatt sein. Sollte aber die Antwort sein, dass der erste Arbeitsmarkt passend ist, unterstützt und begleitet die Werkstatt die Mitarbeiter umfassend von der Arbeitsplatzsuche über Bildungsangebote und Begleitung der Unternehmen bis hin zur Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen mit aller Kraft.
Ihr Credo ist, der Mensch mit Beeinträchtigung steht im Mittelpunkt. Welchen Einfluss haben die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter denn selbst?
Michaela Steffens: Wir haben an allen Standorten einen gewählten Werkstattrat. Das ist vergleichbar mit einem Betriebsrat. Die Werkstatträte haben Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechte. Diese sind in der Werkstattmitwirkungsverordnung gesetzlich geregelt. Das wird in der Rhein-Mosel-Werkstatt sehr ernst genommen und gelebt.
Nach den UN-Konventionen sind die Werkstätten eigentlich ja Sonderwelten, die abgeschafft werden müssten ...
Michaela Steffens: Prost Mahlzeit! Ich bin froh, dass ich in der Werkstatt bin. Hier fühle ich mich wohl, hier bin ich wer.
Thomas Hoffmann: Es sind bundesweit rund 320.000 Menschen in Werkstätten, in Rheinland-Pfalz sind es 14.000 bis 15.000. Wenn die Werkstätten zumachen, wo sind diese Menschen dann?
Alfred Langen: Für die Rhein-Mosel-Werkstatt ist klar, dass wir – wie im Moment eigentlich alle – in stetiger Veränderung leben. Für uns als „Arbeitgeber mit besonderem Auftrag“ stehen wir in der Verantwortung, sich der Veränderung und der Diskussion zu stellen und aktiv an der Gestaltung der Zukunft im Kontext der Gesellschaft mitzuarbeiten.
Michaela Steffens: In England wurden die Werkstätten geschlossen. Und was passiert? Die Leute hängen zu Hause. Das ist doch das Gegenteil von dem, was wir wollen.
Ich bin gern hier, weil mich die Leute hier so akzeptieren, wie ich bin, ich hier Hilfe und Unterstützung bekomme, ich gefördert werde und mich entfalten kann.
Ein Mitarbeiter fasst zusammen, warum er gern hier ist, zu finden auf der Homepage der Rhein-Mosel-Werkstatt.
Zum Abschluss noch: Die Werkstatt wird 50, wird das auch gefeiert?
Alfred Langen: An jedem Standort werden die Mitarbeiterschaft und das Personal im Laufe des Jahres einen Tag feiern und die unterschiedlichsten Aktivitäten sowie Überraschungen erleben. Es werden Ausflüge gemacht, Luftballonwettbewerbe, Fotoboxtermine und Street Food Aktionen organisiert. Künstler und Zauberer werden auftreten und vieles mehr.
Thomas Hoffmann: Es wird aber auch eine offizielle Feier geben, bei der Vertreter der Mitarbeiterschaft und des Personals gemeinsam mit Vertretern der Politik, der kommunalen Leistungsträgern, unseren Gesellschaftern sowie viele weiteren Unterstützern unserer Einrichtung eine gemeinsame Schiffsrundfahrt um das Deutsche Eck erleben werden.
Das Gespräch führte Doris Schneider
Das ist die Rhein-Mosel-Werkstatt
Im Jahr 1972 gründeten der Caritas-Verband Koblenz, der evangelische Kirchenkreis Koblenz, die Lebenshilfe Koblenz und die Lebenshilfe Neuwied-Andernach die Rhein-Mosel-Werkstatt für behinderte Menschen gGmbH Koblenz. Heute gibt es fünf Standorte, an denen insgesamt rund 1200 Menschen arbeiten und betreut werden – etwa 900 Menschen mit Beeinträchtigungen, die hier „Mitarbeiter“ genannt werden, gut 300 Stellen „Personal“, die sich um die Mitarbeiter kümmern. Auch Mitarbeitenden mit sehr hohem Unterstützungsbedarf kann die bedarfsgerechte Teilhabe am Arbeitsleben ermöglicht werden.
Der größte Standort ist in der Ernst-Sachs-Straße, hier sind neben der Verwaltung rund 15 unterschiedliche Arbeits- und Dienstleistungsgruppen, unter anderem die Küche, die rund 3000 Essen jeden Tag kocht, Holz- und Metallverarbeitung und vieles mehr.
In der Theo-Mackeben-Straße in Koblenz-Lützel sind vor allem Menschen mit psychischer Beeinträchtigung beschäftigt. Sie arbeiten unter anderem in der Industriemontage oder Werbetechnik. In diesem Gebäude ist auch ein Tochterunternehmen, die Blindenwerk-Polytec gGmbH, untergebracht. Gegenüber befindet sich ein Wohnhaus der Rhein-Mosel-Werkstatt mit 24 Wohneinheiten.
In der 1998 erbauten Betriebsstätte in Weißenthurm werden fast 150 Menschen mit einer psychischen Erkrankung betreut. An diesem Standort gibt es unter anderem eine öffentliche Elektroschrott-Annahmestelle.Außerdem ist dort das Tochterunternehmen Polytec Integrative gemeinnützige GmbH mit seiner Abteilung Packaging.
Mit aktuell rund 290 Plätzen für Menschen mit Beeinträchtigungen ist die Betriebsstätte Kastellaun die zweitgrößte Einrichtung der Rhein-Mosel-Werkstatt. In den vergangenen Jahren wurden hier der Berufsbildungsbereich und verschiedene Arbeitsbereiche als eigenständige Einrichtungen ausgelagert.
Die modernste Betriebsstätte wurde im August 2019 in Simmern nach einem Um- und Neubau neu eingeweiht. Sie bietet in ihrem modernen Gebäude Arbeitsplätze nach dem Stand der neuesten Technik und im Sinne der Beschäftigten, heißt es auf der Homepage. Derzeit finden hier rund 80 Menschen mit einer psychischen Beeinträchtigung einen wohnortnahen Werkstattplatz sowie eine Tagesstätte. dos