Sie sind selten geworden in diesen Tagen, doch es gibt sie noch: Sozialdemokraten, die nach einer Wahl so richtig gut gelaunt sind, fast schon euphorisch. Einen solchen Moment intensiven Glücks erlebten die Genossen am Sonntagabend, und das ausgerechnet im strukturkonservativen Landkreis Mayen-Koblenz.
Mit 57,3 Prozent der Stimmen gewann in der Stichwahl der sozialdemokratische Bewerber Marko Boos gegen den Freien Wähler Christian Altmaier, letzterer erhielt 42,7 Prozent der Stimmen, wenn auch bei einer eher ernüchternden Wahlbeteiligung. Als Altmaier noch während der Auszählung seine Niederlage eingestand – „Demokratie tut manchmal weh“ – herrschte auf dem Hof vor dem Kreishaus bereits Machtwechselstimmung.
Führende Sozialdemokraten
Führende Sozialdemokraten aus dem Kreis scharten sich um Boos und seine Familie, um den künftigen Landrat schließlich in die Cafeteria des Kreishauses zu geleiten. Dort warteten Journalisten, Kommunalpolitiker anderer Parteien, Gratulanten. Ein zufriedener, wenn auch abgekämpfter Boos dankte seinem Team und seiner Familie für den Einsatz in den vergangenen Monaten. Vor Ort waren nicht zuletzt der noch amtierende Landrat Alexander Saftig und der Erste Kreisbeigeordnete Pascal Badziong, der im ersten Wahlgang überraschend aus dem Landratsrennen ausgeschieden war.
Was vergangenes Jahr in Cochem-Zell scheiterte, ist der SPD nun in Mayen-Koblenz gelungen: Mit Marko Boos hat sie einen Landrat in einem CDU-Landkreis untergebracht.Kommentar zur Wahl des neuen Landrates im Kreis MYK: SPD-Rezepte und die richtige Strategie
Dass Jahrzehnte der christdemokratischen Vorherrschaft im Kreishaus Mayen-Koblenz bald beendet sein würden, war schon vor gut zwei Wochen klar. Doch ob ein Freier Wähler oder ein Sozialdemokrat ins Kreishaus einziehen würde, da wagten die Wenigsten eine Prognose.
Netzwerke und Teamarbeit
Allgemein erklärte man sich Badziongs Misserfolg viel mit einer allgemeinen „Wechselstimmung“, einer gewissen CDU-Müdigkeit. Warum von dieser Wechselstimmung am Ende des Tages Sozialdemokrat Boos profitierte und nicht der Freie Wähler Altmaier, hat viel mit der Genossentruppe zu tun, die Boos zur Seite stand. Schützenhilfe gab es zwar auch aus Mainz. Sowohl die Noch-Ministerpräsidentin Malu Dreyer wie auch der Bald-Ministerpräsident Alexander Schweitzer stärkten Boos im Wahlkampf den Rücken.
Wichtiger noch dürften aber die regionalen Politikschwergewichte der SPD gewesen sein, die ihn unterstützten. Allen voran Maximilian Mumm, VG-Bürgermeister auf dem Maifeld und Boos' Wahlkampfleiter, sowie der Fraktionschef im Kreistag und Ex-Andernacher Oberbürgermeister Achim Hütten. Ebenfalls oft mit dabei: Marc Ruland. Er ist einerseits Generalsekretär der SPD im Land, andererseits aus Andernach stammend und in der Region verwurzelt. Er wirkte für Boos auf Landes- wie auch kommunaler Ebene.
Unter anderem die drei Genannten haben Boos politisch beraten, Netzwerke gesponnen, seine fehlende Erfahrung wohl auch hier und da ausgeglichen. Sie halfen dabei, die SPD-Wahlkampfmaschine auszusteuern – gewachsene Ressourcen, auf die die Freien Wähler trotz ihrer jüngsten Erfolge nicht zurückgreifen können.
Langjährige Akteure
Dass Bürgermeister und andere langjährige Akteure der Kommunalpolitik wichtige Querverbindungen auch über Parteigrenzen hinaus schaffen können, zeigte sich spätestens vergangene Woche, als ein breites Bündnis namens „Wir von hier“ auftauchte und für Boos warb. Mit dabei waren neben lokalen Promis auch namhafte Christdemokraten. Wichtiges Beispiel: der Andernacher Bürgermeister Claus Peitz, der lange Jahre lang im Rathaus mit Hütten zusammen wirkte. Gebildet wurde eine Art Personenkoalition, ohne dass Parteien direkt beteiligt waren.
Man darf davon ausgehen, dass Boos' Mitstreiter hinter den Kulissen so manches Gespräch im Sinne ihres Kandidaten geführt haben. Folgendes Narrativ war im Kreis nicht selten zu hören: Boos ist einer von uns, einer aus dem Landkreis, unabhängig vom Parteibuch. Den wollen wir doch alle im Kreishaus! Oder? Besser als Christian Altmaier, ein Koblenzer, hieß es, der halt unbedingt was werden will.
Offenbar funktionierte das. Besonders stark war Boos in den Hochburgen seiner Mitstreiter und außerhalb des Speckgürtels von Koblenz. In Andernach holte er fast 60 Prozent, ebenso in Mayen, wo mit Dirk Meid ein Genosse regiert. Auf dem Maifeld kam Boos auf 61,3 Prozent, in der VG Mendig auf 64 Prozent, in der Vordereifel auf fast 65 Prozent der Stimmen. In der VG Pellenz holte er starke 69,4 Prozent, in seiner Heimatgemeinde Nickenich überzeugte er sogar fast 80 Prozent der Wähler. Bendorf gewann Boos mit 53,5 Prozent.
Achtungserfolge schaffte Altmaier dort, wo er dank der Nähe zu Koblenz bekannter ist und die Freien Wähler ihm solide Unterstützung angedeihen lassen konnten. Er gewann knapp die Verbandsgemeinden Weißenthurm, Vallendar und Rhein-Mosel.
Christian Altmaier hatte Boos am Ende dennoch nicht genug entgegen zu setzen, obgleich er einen engagierten Wahlkampf focht, sehr präsent war, sich schnell in viele Kreisthemen einarbeitete und mit seinem „Ein-Landrat-für-alle“-Ansatz versuchte, zu belegen, dass er nicht nur polarisieren – ein Kritikpunkt an ihm – sondern auch Menschen zusammenbringen kann. Im Kreishaus am Sonntagabend gratulierte der 46-jährige Freie Wähler, obwohl ihn das Ergebnis offenbar mitnahm, dem 48-Jährigen Boos und bot sodann eine gute Zusammenarbeit in der Zukunft an. Als prägende Figur der Koblenzer Freiern Wähler im Stadtrat gibt es künftig wohl noch so manchen Berührungspunkt.
Großer Erfolg von Boos und der SPD
Reicht das alles, um den großen Erfolg des sozialdemokratischen Kandidaten zu erklären? Diesen überaus „glücklichen Tag“ wie am Sonntag ein sichtlich zufriedener Achim Hütten den Wahlsieg seiner Partei nannte. Boos und seine Mitstreiter, hier vor allem Mumm, haben darüber hinaus immer eines klar herausgestellt: Sie sind nicht zufrieden mit dem, was derzeit teils von ihrer Partei kommt. Vor allem die Bundes-SPD und Kanzler Scholz bekamen ihr Fett weg, Mumm ist dafür bekannt, hier auch mal drauf zu hauen.
Ein bisschen Opposition in der eigenen Partei, gegen einen SPD-Mainstream, der derzeit bei vielen Bürgern nicht gut ankommt. Boos war der passende Kandidat für diese Art Wahlkampf: Einer aus einer Winzerfamilie; ein bodenständiger, aber auch sozialer Typ; ein Familienmensch, aber auch ein Mann der klaren Worte. Einer, so wie es sie halt früher häufiger in der SPD gab. Einer, wie Genossen sein sollten. Es gelang offenbar, diesen Marko Boos vielen Wählern zu vermitteln, auch das ist Teil der Geschichte seines Wahlerfolges.
Für die Sozialdemokratie in Rheinland-Pfalz ist es ein großer Erfolg. Und das in Zeiten, in denen sie eher selten mit überraschenden Siegen verwöhnt wird. Mit dem 48 Jahre alten Marko Boos hat sich ein SPD-Mann bei der Stichwahl um den Posten des Landrates im Landkreis Mayen-Koblenz durchgesetzt.Klarer Sieg für Marko Boos: SPD-Mann wird Landrat im Kreis Mayen-Koblenz
„Das fühlt sich supertoll an, ich bin überglücklich, ich freue mich auf die nächsten acht Jahre“, sagte Boos am Sonntagabend. In den kommenden Monaten wird es nun unter anderem für ihn darum gehen, Mehrheiten auszuloten. Die SPD ist nur zweitstärkste Fraktion, für seine Themen wird der neue Landrat im Gremium Mitstreiter brauchen. CDU-Fraktionschef Georg Moesta betonte bereits, man respektiere das Wahlergebnis, wünsche sich eine sachliche Zusammenarbeit, erwarte aber auch vom neuen Landrat, zu respektieren, dass die CDU mit Abstand stärkste Fraktion im Kreistag sei.
Marko Boos sagte, er sei ein Teamplayer. Dazu gehöre eben nicht nur sein SPD-Team, sondern auch die anderen Fraktionen (die AfD nahm er aus) im Kreistag. „Ich hoffe, dass wir alle zusammen für die Menschen im Landkreis Mayen-Koblenz zusammenarbeiten können“.