Bekommt Mayen auf Sicht eine vierte Städtepartnerstadt? Die Bande zur ukrainischen Stadt Tschyhyryn, 200 Kilometer südöstlich von Kiew gelegen, werden immer enger – und für Oliver Schick ist es eine logische Folge, wenn aus der zwei Jahre jungen Solidaritätspartnerschaft eine dauerhafte Verbindung wird. „Dann würde bald die ukrainische Flagge über dem Oktogon wehen“, sinniert der Vorsitzende des Freundeskreises. Auch OB Dirk Meid (SPD) ist nicht abgeneigt. Kürzlich haben sich beide Seiten getroffen – virtuell am Videobildschirm. Aber unter welchen Bedingungen ist eine Partnerschaft mit einer Stadt, deren Land im Krieg ist, machbar?
1 Wann können sich beide Freundeskreise mal besuchen? Mit Besuch und Gegenbesuch ist das so eine Sache. Zwar liegt die Stadt Tschyhyryn rund 300 Kilometer vom Kriegsgeschehen entfernt, hat aber trotzdem einiges an Leid erfahren müssen: Mehr als 50 ihrer Einwohner sind an der Front als Soldaten gefallen, oft meldet sich der Luftalarm. Allerdings ist die 18.000-Einwohner-Stadt, die reizvoll an dem zu einem Stausee geweiteten Dnipro gelegen ist, bislang nur ein einziges Mal direkt von Russland angegriffen worden. Ob eine Reise von Mayen dorthin sicher ist? Oliver Schick und einige Mitstreiter würden liebend gern in den Oblast Tscherkassy fahren, doch das Risiko ist unkalkulierbar. So bleibt die Hoffnung, dass man sich mit Bürgermeister Viktor Khatschenko aus Tschyhyryn und seinem Stadtvorstand nochmals in Mayen trifft wie anno 2023 beim Stein- und Burgfest.
2 Ist so etwas wie Annäherung spürbar? Positiv überrascht ist Oliver Schick gewesen, dass bei der Liveschaltung im Rathaus in die Ukraine „einige Menschen von der ukrainischen Community in Mayen“ mit dabei waren. Das Interesse sei groß, beide Seiten haben jüngste Informationen ausgetauscht. „Es ist eine Verbindung, die nicht auf dem Papier existiert, sondern in den Herzen von Menschen auf beiden Seiten gelebt wird“, sagte OB Dirk Meid. Sein Kollege Viktor Khatschenko entgegnete: „Die Zusammenarbeit zwischen unseren Gemeinden begann erst vor Kurzem, ist aber bereits zu einer Quelle der Hoffnung für uns geworden. Dank Ihrer Hilfe konnten wir wichtige Bedürfnisse unserer Bewohner, Vertriebenen, Krankenhäuser, Bildungseinrichtungen und kommunalen Unternehmen decken.“ Apropos Hilfe: „Ein schönes Beispiel für Passgenauigkeit“ (Schick) sei zu sehen, als die Ukrainer ein Fahrzeug mit Laderampe, von Mayen geliefert, im Film darstellten. Ein Mann, der im Krieg ein Bein verloren hat, kann damit im Rollstuhl ohne Probleme aufgeladen werden – das erhöht dessen Mobilität. Insgesamt sind rund 250.000 Euro an praktischer Hilfe in die 2000 Kilometer entfernt gelegene Solidaritätsstadt gebracht worden, 90 Prozent werden von Bundesmitteln finanziert, 10 Prozent faktisch durch Spenden aus Mayen. So sind drei Generatoren für Rathaus und Schule auf die Reise gegangen, ferner eine mobile Sportanlage, ein Ultraschallgerät und Medikamente. Da die Stadt Tschyhyryn kein Geld für die Transportkosten zweier Feuerwehrfahrzeuge hatte, flossen auch in diesem Punkt Fördermittel. „Die menschlichen Kontakte wachsen auch, es gibt Einsichten in Situationen, die durch eine enge Verbindung entstanden sind“, betont Schick.

3Wie sehr beherrscht der Krieg den Alltag? Plastische Beispiele liefert Oliver Schick, wie sehr der Krieg das tägliche Leben am Dnipro bestimmt. „Viele Frauen nähen Tarnnetze, zumal die Stadt seit drei Jahren keine Investitionen mehr tätigt, denn alles Geld braucht man für die Kriegsanpassung.“ Einmal in der Woche werden Pakete mit allem, was an der Front gebraucht wird, geschnürt und abgeschickt. Mittlerweile halten sich rund 3000 Binnenflüchtlinge in Tschyhyryn auf, was die Lage nicht einfacher macht.

4 Was sind die nächsten Schritte in der Partnerschaft? Schulklassen haben sich auf beiden Seiten kennengelernt, aus der Ukraine kam gar ein nettes Video zum Schulalltag. „Jetzt wünscht man sich den Austausch von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, dies könnte sich im Idealfall verselbstständigen“, hofft Oliver Schick. Auch Kooperationen zwischen Feuerwehr, THW und Bürgern seien wünschenswert – zumal es Schick „für schlau hält, sich mit den Problemen dort zu beschäftigen, beispielsweise, wenn fünf bis sechsmal am Tag der Strom weg ist.“ Er bewundert den Durchhaltewillen. Aufgeben sei keine Option. „Viele sagen: ,Wir haben keine andere Wahl.‘“ Der Druck aus dem Westen müsse wachsen, nur so sei Russland zu Friedensgesprächen zu bewegen. Zumal sich, so Schick, „Völkermord an Völkermord, Kriegsverbrechen an Kriegsverbrechen reiht.“ Und in puncto Bande nach Deutschland? Eine echte Städtepartnerschaft wäre für Schick „ein schönes Ziel“, aber die Politik entscheide. Dirk Meid stellt fest, dass „die Menschen auf beiden Seiten mitziehen müssten“. Er sei sehr froh, dass der Freundschaftskreis existiere und Arbeitsleistungen erbringe. Dass man sich physisch näherkommt, ist so geplant: Am 16. Juni treffen sich Meid und Schick in Münster mit den ukrainischen Partnern – und weiteren 250 Kommunen hierzulande sowie 300 Kommunen aus der Ukraine und Polen. Es geht um die engere Vernetzung, das, was die Bundesregierung will. Im vorigen Jahr mit prominenter Unterstützung: Präsident Wolodymyr Selenskyj schaltete sich per Video zu.