Kinder und Jugendliche von süchtigen oder psychisch kranken Eltern haben Video gedreht
Video gedreht: Aktionswoche in Mayen gibt Kindern sucht- und psychisch kranker Eltern eine Stimme
Alkoholkonsum
Eine junge Frau sitzt hinter leeren Bierflaschen. In Deutschland leben nach Angaben des Gesamtverbands für Suchthilfe und der Caritas rund 2,65 Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern unter einem Dach. Eine Aktionswoche soll von Sonntag bis Samstag auf das Problem aufmerksam machen und Kindern aus suchtbelasteten Familien eine Stimme geben.
Alexander Heinl. picture alliance/dpa/Alexander H

Mayen. Junge Menschen aus sucht- und/oder psychisch belasteten Familien aus der Region haben im Zuge der bundesweiten Aktionswoche Nacoa unter dem Motto „Vergessenen Kindern eine Stimme geben“ mit Unterstützung von Sarah Krämer (Caritasverband) und Pastoralreferent David Morgenstern (Pastoraler Raum Mayen) ein Video aufgenommen.

Alkoholkonsum
Eine junge Frau sitzt hinter leeren Bierflaschen. In Deutschland leben nach Angaben des Gesamtverbands für Suchthilfe und der Caritas rund 2,65 Millionen Kinder mit alkoholkranken Eltern unter einem Dach. Eine Aktionswoche soll von Sonntag bis Samstag auf das Problem aufmerksam machen und Kindern aus suchtbelasteten Familien eine Stimme geben.
Alexander Heinl. picture alliance/dpa/Alexander H

Nacoa steht für National Association for Children of Alcoholics. In einem Schattenspiel machen die Kinder und Jugendlichen aus den Gruppen Lapislazuli, Helianthi und Palisander die Öffentlichkeit auf ihre Situation aufmerksam. Dieses wird in den nächsten Tagen in den sozialen Netzwerken veröffentlicht.

Das Video soll andere Betroffene erreichen und ihnen mitteilen: „Du bist nicht allein!” Die Kinder und Jugendlichen schildern im Video in kurzen Sätzen ihre Erlebnisse, was sie in den Gruppen machen und was die Gruppe für sie bedeutet. Sie treten nacheinander hinter einem weißen Bettlaken vor die Kamera und sagen ihren Satz auf, erklärt Sarah Krämer, Leiterin der Kindergruppe Helianthi und der Jugendgruppe Palisander.

Ergänzt werden die Statements von den Gruppenleitungen zwischendurch mit Fakten zur Situation von Kindern und Jugendlichen aus sucht- und/oder psychisch belasteten Familien. Den Spruch „Du bist nicht allein“ hatten die Jugendlichen als Mutmacher vor einigen Jahren als Graffiti auf die Wand neben dem Eingang der Begegnungsstätte Café Cati (gehört zum Mehrgenerationenhaus) für jeden gut sichtbar mit bunten Farben gesprüht.

Millionen sind in Deutschland betroffen

Wenn die eigenen Eltern sucht- oder psychisch krank sind, ist es für Kinder ein Albtraum. In Deutschland leben laut Bundesgesundheitsministerium aktuell etwa 2,65 Millionen Minderjährige aus suchtbelasteten Familien sowie schätzungsweise drei Millionen Kinder mit einem psychisch kranken Elternteil. Hinzu kommt die Dunkelziffer betroffener Kinder, deren Eltern unter Süchten leiden, die nicht an einen Stoff gebunden sind, oder aus anderen Gründen statistisch nicht erfasst werden.

Das bedeutet, dass etwa jedes sechste Kind in Deutschland betroffen ist. Lange Zeit wurden sie von der Politik und der Gesellschaft nicht gesehen. Tabu, Scham, Vorurteile, Unwissen und Nichthandeln sorgen dafür, dass diese Kinder ein großes Risiko haben, später in ihrem Leben selbst eine Sucht- oder andere psychische Erkrankung zu bekommen. „Sie werden wieder Eltern – und so wiederholen sich die Geschichte und das Leid“, erklärt Suchttherapeutin Natalie Pauls.

Kinder fühlen sich gesehen und verstanden

In der Stadt Mayen konzentriert sich die Suchtberatungsstelle der Caritas auf diese Kinder. Mittlerweile bestehen schon drei Gruppen. „Hier fühlen sich die Kinder gesehen und verstanden. Hier dürfen sie wieder Kinder sein“, sagt Koordinatorin Pauls. Keines der verletzlichen Kinder soll in Isolation und ohne Unterstützung aufwachsen. In Mayen ist die Jugendgruppe Palisander ein Angebot für ältere Kinder im Alter von 13 bis 16 Jahren. Palisander besteht seit 2019 und bietet Raum für bis zu zwölf Kinder.

Drei Teilnehmer der Jugendgruppe Palisander stehen im Mehrgenerationenhaus hinter einer Stellwand. Davor sind David Morgenstern (von links), Hannah Koll, Natalie Pauls, Sarah Krämer und Swenja Dünchel zu sehen.
Elvira Bell

Kürzlich hatte unsere Zeitung im Zuge der alljährlichen bundesweiten Aktionswoche „Kinder Suchtkranker“ Gelegenheit, im geschützten Raum mit jungen Betroffenen im Mehrgenerationenhaus St. Matthias zu sprechen. Die betroffenen Kinder und Jugendlichen sind bemüht nicht aufzufallen, sodass man ihnen außerhalb der Familie nichts von ihren Problemen anmerkt. Sie haben viel zu tragen. „Nur ihre allerbesten Freunde wissen davon, jedoch ohne nähere Details“, berichten die Jugendlichen.

Für alle drei ist die Erfahrung wichtig, dass sie kein Einzelfall sind, sie mit ihren familiären Problemen nicht allein sind und sie in der Gruppe gemeinsam nach Lösungen suchen können. Eine 15-Jährige aus der Verbandsgemeinde Mendig berichtet von ihrer Botschaft, die im Video zu hören ist und die alle eint: „Du bist nicht allein.“ Sie freut sich auf die wöchentlichen Treffen. „Wir tauschen uns untereinander aus. Allerdings wissen unsere Eltern nicht, worüber wir hier im Einzelnen reden.“

Probleme in Theaterstück aufgegriffen

Die 15-Jährige berichtet auch von der Theateraufführung „Der Elch im Wohnzimmer“, die sie vor einigen Jahren mit der Kindergruppe im Beisein ihrer Mutter mit aufgeführt hatte. Im Mittelpunkt stand ein ausgewachsener, streng riechender, dicker, fetter Elch im Wohnzimmer. Er macht auf den Boden. Die Geschichte erzählt von dem Dauergast und der Familie, in der es eine geheime Vereinbarung gibt, dass niemand darüber sprechen darf, dass da ein Elch im Wohnzimmer steht.

Niemand darf von ihm erfahren. Alle müssen so tun, als wäre er gar nicht da. Jeder tut so, als wäre alles in Ordnung. Mit der Teilnahme in der Gruppe haben diese Jugendlichen den „Elch“ für sich sichtbar gemacht. Und der Mutter der 15-Jährigen wurde erst bei diesem Spiel bewusst, was das Ganze für ihre Familie bedeutet.

Darüber reden, was Betroffene bewegt

Wichtig ist es für die betroffenen Jugendlichen, die Elchregel zu verlernen. Das geht am besten mit Menschen, zu denen sie Vertrauen aufgebaut haben, mit denen sie über alles reden können, über das, was sie fühlen und was sie auch bewegt.

Das ist auch einer 16-Jährigen aus der Region wichtig. „Es ist schön, dass ich in der Gruppe, über meine Probleme reden und mir so geholfen werden kann.“ Besonders freuen sich die Jugendlichen in jedem Jahr auf die Aktion vor den sechswöchigen Sommerferien. Unter anderem ist ihnen der Besuch einer Sommerrodelbahn in bester Erinnerung.

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