Mendiger Stadtrat beschäftigt sich mit dem ortsbildprägenden Baum in der Fallerstraße
Tauziehen um Mendiger Baumriese: Droht die Fällung der 300 Jahre alten Linde?
Um den Lindenbaum, der dem angrenzenden Gemeinschaftshaus seinen Namen gegeben hat, entwickelt sich derzeit ein Tauziehen. Der Investor möchte den Baum fällen lassen, ein Teil des Stadtrates macht sich für den Erhalt stark. Foto: Thomas Brost
Thomas Brost

Fast hätte es der steinalte Lindenbaum auf die Tagesordnung der Stadtratssitzung am Dienstag um 19 Uhr geschafft. Dass der ortsbildprägende Baumriese von Obermendig in seinem Bestand gefährdet ist, pfeifen die Spatzen in ganz Mendig von den Dächern. Obwohl die Öffentlichkeit von dieser Thematik nicht unterrichtet worden ist.

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Mehrmals ist das Ansinnen der Grünen-Fraktion im Stadtrat, über die Zukunft des Baumes und der ihn begrenzenden Mauer an der Fallerstraße öffentlich zu sprechen, mit Verweis auf Persönlichkeitsschutzrechte des neuen Eigentümers abgelehnt worden. Es wurde nicht öffentlich beraten.

Wie ist der Stand der Dinge in puncto Lindenbaum?

So viel sickerte durch: Im Frühjahr 2023 hat die katholische Kirchengemeinde St. Genovefa das Gelände mit dem Lindenbaum und dem früheren Pfarrhof an eine Interessentin verkauft. Die Investorin hat Pläne, die aber nur bruchstückweise dem Stadtrat bekannt sind. Möglicherweise will sie bauen. Im Dezember war Hals über Kopf die Fallerstraße komplett gesperrt worden, die alte Mauer des Grundstücks sei akut einsturzgefährdet, teilte die Kreisverwaltung mit. Aus der schweigenden Mehrheit des Stadtrates schwenkt ausgerechnet der städtische Beigeordnete Edgar Girolstein aus. „Leider geht hier alles nur in Salamitaktik, und niemand in der Stadt außer der Investorin kennt das endgültige Ziel“, sagt er verärgert – und kündigt politische Konsequenzen an.

Wie ist der Stand der Dinge in puncto Lindenbaum und Mauer? Im Herbst hat die neue Eigentümerin des Grundstücks eine statische Bewertung der uralten Wand aus Basalt-Bruchsteinmauerwerk von einem Ingenieur für Tragwerksplanung vorgelegt, wie der Kreis mitteilt. Dem Fachbüro zufolge habe die Mauer mit einer Schiefstellung von rund 32 Zentimetern den Masseschwerpunkt erreicht beziehungsweise überschritten. Somit verfüge die Mauer „nicht mehr über die ausreichende Standsicherheit“. Die Mauer könne jederzeit einstürzen – gleich dahinter befindet sich der mächtige Lindenbaum, der wohl im Jahr 1685 gepflanzt wurde.

Antrag zur Fällung wurde bereits vor Monaten gestellt

Die Folge dieser ersten Untersuchung: Die untere Bauaufsichtsbehörde verfügte eine Anordnung „zur unverzüglichen Absicherung unter anderem im Bereich der Fallerstraße“ und zum Rückbau der Mauer „Zug um Zug unter Begleitung des Ingenieurbüros sowie eines Schachverständigen für Baumschutz“. Das Fazit: Die Mauer soll abgerissen, das dahinter liegende Gelände fachgerecht abgeböscht werden.

Soll es dem Lindenbaum an den Kragen gehen? Wie die Stadt erst jetzt der RZ mitteilt, hat die Investorin bereits am 31. Oktober 2023 den Antrag gestellt, den Baum fällen zu lassen. Dies ist fast fünf Monate lang verborgen geblieben. „Seitdem köchelt das Thema, ich würde gern mehr Infos liefern, wir sind aber zu einer gewissen Verschwiegenheit verpflichtet“, sagt der Grünen-Fraktionschef im Stadtrat, Stephan Retterath. Stadtbürgermeister und die Mehrheit im Rat aus CDU und SPD schöben Persönlichkeitsschutzrechte vor.

Aber: Dank Flüsterparolen hat das Thema den Sprung ins Internet geschafft. Armin Retterath, ebenfalls Grünen-Fraktionsmitglied, startete eine Onlinepetition für den Erhalt der Linde, die 551 Unterschreibende, darunter exakt 333 aus Mendig, fand. Der Tenor der Petition: „Es geht darum zu zeigen, dass den Bürgern der Erhalt des Baumes am Herzen liegt. Dabei geht es nicht nur um seinen Beitrag zur Verbesserung des Stadtklimas und der Biodiversität, sondern auch um die Bedeutung dieser Linde als prägendes Naturdenkmal für viele Generationen von Bürgern des oberen Ortsteils.“

„Wir schaffen es womöglich nicht, in der heutigen Zeit einen solchen Baum zu erhalten.“

Edgar Girolstein, städtischer Beigeordneter (Grüne)

Armin Retterath übergab die Unterschriftenliste Anfang Dezember im Stadtrat, über den Sachverhalt selbst wurde kein Sterbenswörtchen gesagt. Die Stadtverwaltung ließ zudem eine Anfrage unserer Zeitung von Anfang Dezember drei Monate lang unbeantwortet.

Wurzelwerk soll untersucht werden

Welche Szenarien liegen auf dem Tisch? Die Grünen pochen auf die Einhaltung der Baumschutzsatzung, die ein Fällen nur im Ausnahmefall zulässt. In der Zwischenzeit kursieren mehrere Gutachten. Ein weiteres hat die Kreisverwaltung angestrengt, auch Stephan Retterath – er ist von Beruf Restaurator – hat eines in Auftrag gegeben. „Wir möchten den Baum erhalten“, sagt er, der im Sommer nicht mehr für den Stadtrat kandidieren wird. Retterath hat sich an einen Baumpfleger gewandt, der auch mit Ingenieurbüros zusammenarbeitet und seine Sicht der Dinge darlegt. Der Kreis hält die Expertise, so Retterath, noch unter Verschluss.

Wie die VG-Verwaltung Mendig der Investorin im Dezember mitteilte, würden die von ihr vorgelegten Unterlagen nicht ausreichen, um eine Ausnahme vom Fällverbot zuzulassen. Daraufhin legte die Antragstellerin die Expertise eines Baumschutzsachverständigen vor – ihm zufolge sei die Standsicherheit der Linde nicht mehr gewährleistet, wenn die Mauer abgerissen werde. Die Wurzeln seien mit der Mauer verbunden – die Grünen bezweifeln dies. Der Kreis gab Ende Januar der Eigentümerin auf, die Mauer zurückzubauen und das Erdreich abzuböschen, die Grundlage war ein weiteres statisches Gutachten. Gefährdet sei wohl bei dieser Aktion der Wurzelbereich der Linde.

In einer Sitzung des nicht öffentlich tagenden Ältestenrates wurde kürzlich beschlossen, das Wurzelwerk über eine Detektion sowie eine Untersuchung mit einem Schalltomograf zu erforschen und zu bewerten. Dies ist vor wenigen Tagen geschehen, die Ergebnisse lägen noch nicht vor, weswegen der Stadtrat die Lage noch nicht abschließend bewerten kann. Eventuell könne ein Korsett um die Wurzel den Baum retten. Die Grünen indes wollen den Baum als Naturdenkmal ausweisen lassen, was ihn nicht restlos schützen wird. Zudem stehe ein mehr als 300 Jahre alter Bildstock in der Mauer unter Denkmalschutz, die Mauer müsse also wiederaufgebaut werden. Ihr Vorschlag: Die Mauer solle etwa ein Meter weiter in den jetzigen Straßenraum hinein neu aufgebaut werden – in bauchiger Form.

Der Bereich sei außerdem in der Gestaltungssatzung des oberen Stadtteils erfasst. Edgar Girolstein betont: „Wir wollen keinen Neubau verhindern, aber die Linde schützen, sie ist schützenswert und ortsbildprägend für Obermendig.“ Für ihn selbst war das Hin und Her der Kick, für ein Amt anzutreten. „Dieses ganz halb gare Geschwätz hat mich dazu bewogen, mich als Stadtbürgermeisterkandidat aufstellen zu lassen. So geht aus meiner Sicht nicht mehr weiter.“

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