Ärztinnen der Andernacher Fachklinik schlagen einfache Übungen vor
RMF informiert über Strategien gegen die Angst
Auf großes Interesse stieß kürzlich ein Vortrag an der Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach. Zwei Psychologinnen informierten über Angsterkrankungen und stellten Bewältigungsstrategien vor.
Wolfgang Lucke

Andernach. Laut Fachwelt leiden 14 Prozent der europäischen Bevölkerung an Angsterkrankungen. Oft geht damit ein hohes Defizit an Lebensqualität einher. In der bundesweiten Aktionswoche der psychischen Gesundheit bot die Rhein-Mosel-Fachklinik in Andernach einen interessanten wie spannenden Vortragsabend mit Barbara Deimling, Sektionsleiterin Depression und Trauma, und der Leitenden Psychologin Anne Leber.

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Ergänzend sind unter dem Titel „Angst weckt Mut” Bilder von Anna Chakhvadze, einer aus Georgien stammenden Künstlerin und angehenden Psychiaterin, bis zum 5. November in der Klinik ausgestellt.

Wie Angst genau definiert ist, wie sie entsteht, welche Folgen sie hat, wie sie zu überwinden ist, zu dieser komplexen Thematik berichteten die beiden Psychologinnen aus Theorie und Praxis. Mit den erwähnten 14 Prozent, was bei einer Bevölkerung von 500 Millionen 70 Millionen Betroffenen entspricht, sei die Angsterkrankung doppelt so häufig wie die Depression. Sie falle aber im öffentlichen Bewusstsein ein bisschen „hinten runter”, werde oft nicht als Krankheit erkannt oder eingeschätzt.

Angst ist diffus und zukunftsorientiert

Barbara Deimling klärte zunächst die Begrifflichkeiten: Die Furcht sei die Reaktion auf eine reale Bedrohung. Körperlich könne sie sich durch Beschleunigung des Herzschlags, Muskelaktivierung, Erweiterung der Bronchien ausdrücken. Die Phobie sei eine übersteigerte Furchtreaktion. Sie sei bereits mit unangemessenen Einschätzungen verbunden. Objekte oder Situationen seien objektiv betrachtet nicht bedrohlich. Phobie gelte als pathologisch, ebenso wie die Angst. Angst habe meist keinen spezifischen Auslöser, sei diffus, ungerichtet, zukunftsorientiert. Als körperliche Reaktionen seien hier oft Herzrasen, Zittern, Schwitzen, Schwindel, Übelkeit zu beobachten.

Deimling erläuterte: „Furcht brauchen wir, sie ist positiv, sichert unser Leben.” Es sei davon auszugehen, dass der Mensch insgesamt über fünf überlebenswichtige Emotionen verfüge: Wut, Ekel, Furcht, Freude, Traurigkeit. Angst, Phobie, Panik aber seien Krankheitsbilder, die menschliches Verhalten einschränken.

Kulturelle Faktoren spielen eine Rolle

Insgesamt seien mehr als 600 spezifische Phobien bekannt. Wie weit das gehen kann und dass auch kulturelle Faktoren eine Rolle spielen können, zeige zum Beispiel die in Asien verbreitete Phobie „Taijin Kyo-fusho”, das sei die Angst andere zu beleidigen.

Phobien können schleichend entstehen. Die allgemeine Furcht vor einem Gewitter zum Beispiel könne dazu führen, dass der Betroffene zunächst bei dunklen Wolken nicht mehr aus dem Haus gehe, dann auch bei helleren Wolken, schließlich sogar bei Sonnenschein im Haus bliebe, weil ja eigentlich aus jeder Wettersituation ein Gewitter entstehen könne.

Wie sieht mögliche Hilfe aus? Pharmakotherapie oder Psychotherapie stünden gleichberechtigt nebeneinander, so Deimling. Heute wisse man, dass die sogenannte Amygdala, eine Struktur im Gehirn, das Angstzentrum beherberge. „Hier werden die Sinnesreize verarbeitet und die Situation bewertet.” Wenn die Amygdala abstirbt, können Betroffene keine Furcht mehr empfinden, aber auch Situationen nicht mehr bewerten. Sie ziehen sich meist vollständig zurück.

Mit der King-Kong-Methode entspannen

Um die Praxis der Angstbewältigung ging es im zweiten Teil des Abends. Bei der sogenannten King-Kong-Methode galt es, sich in Imponierpose hinzustellen, Beine leicht gespreizt und Arme breitgemacht. Dann wurden die Muskeln kräftig angespannt und stark ein- und ausgeatmet. Bei der folgenden Entspannung erlebte man ein Gefühl der Leichtigkeit in Körper und Seele.

Die Leitende Psychologin Anne Leber hatte ein noch tiefer gehendes Experiment dabei. „Bitte schließen Sie die Augen. Ich werde im Saal umhergehen und dem einen oder anderen auf die Schulter tippen und eine Frage stellen.” Minutenlang waren nur ihre Schritte zu hören und weitere Erklärungen, was sie gerade mache.

Auch Harmloses kann Unruhe auslösen

Bereits diese eigentlich harmlose Übung in sehr geschütztem Rahmen löste bei vielen schon leichte Unruhe und Furcht aus. „Ich habe gedacht, was wird sie mich wohl fragen”, so eine der Reaktionen. „Ich bekam Herzklopfen, als die Schritte näherkamen.” Aber auch: „Ich habe mich völlig entspannt gefühlt, ich habe das so ein bisschen als Mediation gesehen.”

Die Übung sollte bewusst machen, wie leicht Situationen als bedrohlich oder unangenehm wahrgenommen werden können. Gedanken, Gefühle, Körperreaktionen münden in ein bestimmtes Verhalten, bei unangenehmen Situationen wird nach Möglichkeiten der Vermeidung gesucht, es werden Sicherheitsstrategien entwickelt. Das Problem bei Flucht oder Vermeidung: Es sei zwar eine kurzfristige Erleichterung zu erreichen, langfristig führe Vermeidungsverhalten aber zu Misserfolgserlebnissen, weil man sich der Situation nicht stelle und immer wieder vor dieser Gefahr stehe. „Da kommt die Psychotherapie ins Spiel.”

Aber auch Betroffene selbst können Bewältigungsstrategien entwickeln. „Es hilft oft, Atemtechniken anzuwenden, sich selbst Mut machen oder auch mal den Reality Check zu machen. Man sollte sich die Frage stellen: Was ist denn wirklich das Schlimmste, das mir in dieser Lage passieren kann.”

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