Zudem verwiesen Mehtap Turan (Mi Parti), Heike Reiff (Reiff Moden) und Barbara Summerer (Inhaberin der Parfümerie Wäschegalerie Boos) am Samstag, in der gegen Mittag fast menschenleeren Hochstraße mit unbekleideten, dafür aber mit Spruchbändern versehenen Schaufensterpuppen auf die verheerende Situation der Geschäfte. Die Aktionsgemeinschaft fordert „Handel(n) für Perspektiven“. „Wir sind keine Corona-Leugner, keine Verschwörungstheoretiker, und wir sind auch nicht rechtsradikal. Wir wollen nur von unseren Grundrechten Gebrauch machen“, erklären die drei Mitglieder der Aktionsgemeinschaft. „Wir möchten ein Signal setzen“, stellt Mehtap Turan fest. „Nicht der Handel ist die Ursache für die hohen Inzidenzen. Wenn wir jetzt nicht anfangen, Lösungen zu finden, um mit dem Virus zu leben, werden bei jedem neuen Virus all unsere Grundrechte und Freiheiten aufgegeben“, so die Vorsitzende der AAA.
„Von uns wird gefordert, dass unsere Geschäfte geschlossen aussehen sollen, aber wir wollen zeigen, dass wir noch da und noch am Leben sind!“ Man dürfe sich nicht komplett nach den Inzidenzzahlen richten. Es werde mittlerweile ja auch vielmehr getestet. „Die Bürger haben keine Lust mehr, die Stimmung ist auf dem Tiefpunkt. Ich finde es schlimm“, so Turan. „Das ist der Anfang für etwas, was wir in Zukunft wohl immer wieder haben werden. Weil wir es zurzeit dulden und die ,Einsperrung’ akzeptieren, ebnen wir den Weg für zukünftige Einschränkungen“, ist sich die Geschäftsfrau sicher.
Bis Freitag durften die Kunden in der Bäckerjungenstadt noch mit Terminshopping und mit Erfassung der Kontaktdaten ohne gültigen Corona-Test in die Einzelhandelsgeschäfte. Seit Samstag greift auch in Andernach die Bundesnotbremse. Da in der Bäckerjungenstadt wie in fast allen Landkreisen und kreisfreien Städten in Rheinland-Pfalz der Inzidenzgrenzwert von 150 überschritten wird, müssen auch hier die Beschlüsse der Bundesregierung umgesetzt werden. Ausgenommen von Schließungen und starken Beschränkungen bleiben weiterhin unter anderem der Lebensmittelhandel, Reformhäuser und Apotheken. Statt durch das Geschäft zu schlendern, können die Kunden das Gewünschte jetzt telefonisch oder im Internet bestellen und Waren an der Ladentür abholen. „Wir dürfen keinen Kunden mehr in unseren Laden lassen“, sagt Heike Reiff, Inhaberin von Antonia Reiff Moden. „Mein Laden ist gefüllt mit Frühjahrs- und Sommerware.“
Auf die Situation des Einzelhandels machte auch Heide Spagnino aufmerksam. „Die Stadt ist tot“, sagte sie am Samstag. Die Inhaberin von Dress in Mode Pur hielt ein Schild mit der Frage „Hoffnungslos?“ in die Kamera. Zudem hatte sie eine kopflose Schaufensterpuppe mit dem Hinweis „Kopflos!“ und eine weitere Schaufensterpuppe mit dem Adjektiv „sprachlos“ auf der Stufe des Eingangsbereiches ihres Ladens aufgestellt.
Die Leute müssten sich erst noch an die neue Situation gewöhnen, meint die Geschäftsfrau. „Seit einigen Wochen dürfen wir gar nichts mehr in den Außenbereich stellen. Noch nicht einmal einen Stuhl, geschweige denn etwas Dekoratives.“ Heide Spagnino bringt ihre Stimmung auf den Punkt: „Ich war noch nie mental so ausgelaugt.“ Dennoch gibt Spagnino die Hoffnung nicht auf. „Im kommenden Jahr habe ich mein Geschäft 40 Jahre an der Obereren Wallstraße. Es wäre fatal, wenn ich bis dahin aufgegeben müsste.“ Sie hoffe auf ein halbwegs normales Leben, wenn die Bevölkerung weitestgehend durchgeimpft ist, sagt Spagnino. Hoffnung, dass der zumeist umsatzstärkste Monat Mai verkaufsmäßig gut werden könnte, hat Spagnino allerdings fast keine. Auch wenn in diesen Tagen nur ein paar wenige Leute in der Innenstadt unterwegs seien, so mache sie persönlich natürlich gern bei der Aktion der AAA mit.
Den Protest der Einzelhändler kann Christian Heller, Geschäftsführer von Andernach.net, gut nachvollziehen. „Die anhaltenden Corona-bedingten Einschränkungen leiden darunter, dass sie immer mehr Leben einschränken, ohne auszusagen, wie grundrechtlich garantierte Freiheiten wieder herzustellen sind. Trotzdem müssen wir von städtischer Seite an die Verantwortung jedes Einzelnen appellieren, den Beitrag zur Bekämpfung der Pandemie nicht aufzugeben.“ Christian Heller weist in diesem Zusammenhang auch auf das Corona-Testcenter in der Innenstadt hin.
Von unserer Mitarbeiterin Elvira Bell