Freiheit ist keine Selbstverständlichkeit. Freiheit ist ein Luxus, der nicht jedermann zugänglich ist. Für Gisela Bohnstedt-Hannon hat der Begriff Freiheit eine besondere Bedeutung. In ihrer druckfrischen Autobiografie „Wenn es anders kommt“ hat die in Mörz lebende und in Königsaue (Sachsen-Anhalt) geborene Autorin ihre eigene Leidensgeschichte und ihr Zeitzeugnis von 40 Jahren DDR niedergeschrieben.
Bis zur Flucht in die Bundesrepublik war sie im Schuldienst beschäftigt. Das Titelfoto ihres gut 200 Seiten umfassenden Werks zeigt den Brocken im Harz. Hier verbrachte sie den ersten und einzigen Urlaub in ihrem Leben mit ihren Eltern. Das war im August 1961. Nur wenige Tage zuvor wurden auf Anordnung der DDR-Regierung unter Walter Ulbricht die Grenzen zu West-Berlin mit Stacheldraht abgeriegelt. Zudem wurde mit dem Bau des sogenannten antifaschistischen Schutzwalls begonnen, der Berliner Mauer.

Mit einem Schlag wurden 16 Millionen Menschen am Wegzug gehindert. „Ich war mir nicht sicher, ob die Eltern wirklich nur vorhatten, hier Urlaub zu machen oder ob sie nicht auch Eindrücke von den Fluchtmöglichkeiten im Harz gewinnen wollten. Wir waren 10 Kilometer Luftlinie von der deutsch-deutschen Grenze entfernt. Ich glaubte, in der Ferne die Hunde bellen zu hören, die die Grenze bewachten.“ Der 1142 Meter hohe Berg lag im Grenzgebiet der DDR, und das Brockenplateau war nach dem Krieg sowjetisches Militärgebiet geworden.
In ihrem neuen Buch beschreibt Gisela Bohnstedt-Hannon ihre Kindheit, Jugend und das Leben als alleinerziehende Mutter in der DDR. „Es ist die Nachkriegszeit und die Zeit der DDR bis 1989“, erzählt die zweifache Mutter. „Ich versuche in diesem Buch nachzuvollziehen, was mich beeinflusst und geprägt hat. Immer wieder wurde mein Lebensweg durch historische, politische und private Veränderungen blockiert und infrage gestellt. Die Familie bricht durch die Teilung Deutschlands nach und nach auseinander. Das Heimatdorf wird abgebaggert und weitere soziale Bindungen zerstört.“
DDR-Behörden lehnten Reise nach Nigeria ab
Bei dem Versuch, eine Auslandsreise nach Nigeria zu beantragen, eskaliert die Situation schließlich völlig. „Ich wollte meinen langjährigen Schreibfreund Ibrahim, der als Sekretär an der Universität Sokoto arbeitete, endlich persönlich kennenlernen.“ Er habe ihr „Halt im Leben gegeben, nach dem mein Bruder in den Westen gegangen und die Eltern frühzeitig verstorben waren“. Als ihre Kinder eigene Wege gingen, wollte auch sie endlich ihr Leben wiederfinden, das irgendwo zwischen Kindheit und Erwachsensein verloren gegangen war.
In einem ihrer Briefe an Ibrahim hatte sie von dem geteilten Berlin und von den Menschen, die in der DDR eingesperrt sind, berichtet. In weiteren Briefen stellten beide fest, dass es Freiheit nicht für alle Menschen gab „und dass wir zu denen gehörten, die aufgrund unserer Geburt benachteiligt und wohl nie frei sein würden“.

Um die Studienreise antreten zu dürfen, hatte sie den Innenminister angeschrieben. Ihrem Brief hatte die Englischlehrerin ein offizielles Einladungsschreiben der Universität beigefügt. Die Reise wurde abgelehnt. Kurze Zeit darauf wurde sie verhört. Der zuständige Kreisschulrat wurde informiert. Um weiteren Repressalien zu entgehen, blieb ihr schließlich nur noch die Trennung von ihrem Sohn Frank und ihrer Tochter. Von Sarah und deren Freund hatte sie nicht einmal verabschieden können. „Ich wollte das Gefühl haben, dass ich immer mit ihr verbunden war. Ich ging in ein Juweliergeschäft und kaufte Freundschaftsringe.“
Wieder zu Hause regelte die damals 42-Jährige mit ihrem Sohn Frank noch die wichtigsten Angelegenheiten. Was folgt, war die Flucht nach Ungarn. In einen kleinen Rucksack, der kaum größer war als ein Schulranzen, hatte sie ihren Ausweis, ein Adressbuch, einen Weltempfänger, Schreibzeug, Waschsachen und Wechselwäsche gelegt. Am Boden des Rucksacks gab eine Art Geheimfach. Dort verstaute sie einen Kompass, der den Weg durch die Grenze weisen sollte. „Nein, es durfte kein Abschied für immer sein“, sagte sie sich.
Flucht gelingt dank Zufallsbekanntschaft
Die lebensgefährliche Odyssee, auf der sie sich teilweise wie Freiwild fühlte, begann. Hätte Bohnstedt-Hannon nicht per Zufall zwei junge Männer kennengelernt, hätte sie ihre Flucht sicher aufgegeben. „Sie waren in der gleichen Situation wie ich. Ich wusste sofort, mit Christian und Jörg konnte die Flucht gelingen. Wir hatten ein gemeinsames Ziel: die Freiheit zu gewinnen.“ Und die Flucht gelang.
Das Ganze wendete sich zum Positiven. Sohn Frank war drei Tage, ehe die Mauer fiel, über Prag geflüchtet. Er klingelte am 6. November 1989 an ihrer Wohnungstür, die sie nichtsahnend öffnete. Beide fanden in Westdeutschland schnell Arbeit und kauften sich ein günstiges Auto. Am 24. Dezember 1989 fuhren Mutter und Sohn in die ehemalige Heimat, um Sandra und ihren Freund zu besuchen. Die Wiedersehensfreude war unbeschreiblich. „Wir waren wieder vereint. Mein Buch kann für andere Leser ein Zeitzeugnis sein. Ich habe mich an die tatsächlichen Ereignisse gehalten und wahrheitsgemäß geschrieben.“