Als Katja Becker das Angebot erhielt, mit Mitte 40 (erneut) eine Ausbildung zu machen, war ihr sofort klar: „Das mache ich.“ Noch mal zwei Jahre lang Lernstoff pauken und für Prüfungen büffeln – alles kein Problem. Inzwischen hat sie die Qualifizierungsmaßnahme als Beste im Kammerbezirk Koblenz abgeschlossen. Sie ist jetzt Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk – und stolz auf das Geleistete.
Möglich gemacht hat das die sogenannte Senior-Ausbildung beim Unternehmen „Die Lohners“, das die Menschen in der Region in 183 eigenen Fachgeschäften mit Brot, Brötchen und Baguette, mit süßem Gebäck und köstlichem Kuchen versorgt. Da ist jeden Tag was gebacken: vor und hinter der Theke.

Katja Becker, heute 46 Jahre alt, hat 2013 als Aushilfe bei Lohners angefangen. „Ich bin gelernte Köchin, aber ich wollte nicht mehr zurück in diesen Beruf, denn er ist nicht wirklich familienkompatibel“, sagt die zweifache Mutter im Gespräch mit unserer Zeitung. Bei Lohners ist sie dann schnell auf den Geschmack gekommen. Der Kontakt mit den Kunden, das Beraten beim Brotkauf, das Backen der Produkte aus hauseigenem Natursauerteig – all das gefällt ihr. „ Ich habe mich tatsächlich schon immer geärgert, dass ich mich nicht vom Fach schimpfen kann“, erzählt sie. Deshalb hatte sie keine Zweifel, als sie ihre zweite Ausbildung begann.
Die Senior-Ausbildung bei Lohners ist ein Vorzeigeprojekt. Seit 2022 nehmen jedes Jahr 15 bis 18 Mitarbeitende die Chance wahr, auf diese Weise einen anerkannten Berufsabschluss zu erlangen. Das schafft eine Perspektive für sie persönlich, aber auch für das Unternehmen. „Damit steigern die Beschäftigten ihre Karrierechancen“, sagt Jeanette Kutsche-Bengel, Referentin für Personalentwicklung bei Lohners. Einige Absolventinnen der Senior-Ausbildung sind inzwischen Filialleiterinnen oder Vize-Filialleiterinnen. „Alle haben eine hohe Motivation und machen sehr gute Abschlüsse“, betont Jeanette Kutsche-Bengel. „Für viele ist es ein Neuanfang und ein Zeichen, dass es nie zu spät ist.“

Während der Ausbildung erhalten die Senior-Lehrlinge ihr volles Gehalt, gefördert durch die Agentur für Arbeit. Bei Bedarf gibt es Nachhilfe und digitale Prüfungsvorbereitungen, Unterstützung bei Fahrtkosten oder einer Unterkunft. Zur Zielgruppe gehören all jene, die mindestens 25 Jahre alt sind, die keinen Berufsabschluss haben oder zum Beispiel aus familiären Gründen eine mindestens vierjährige Berufspause eingelegt haben.
Zahlen belegen, dass ein qualifizierter Berufsabschluss vor Arbeitslosigkeit schützt. 2024 gab es in Rheinland-Pfalz im Schnitt 5,3 Prozent Arbeitslose. Die Quote für Menschen ohne abgeschlossene Berufsausbildung lag jedoch bei 17,4 Prozent, die der Menschen mit abgeschlossener Berufsausbildung bei lediglich 2,9 Prozent. Heidrun Schulz, Chefin der Regionaldirektion Rheinland-Pfalz-Saarland der Bundesarbeitsagentur, appelliert deshalb: „Indem Unternehmen und ihre Mitarbeitenden gezielt in die Weiterentwicklung ihres Wissens investieren, setzen sie ein deutliches Zeichen für eine zukunftsorientierte Personalpolitik.“ Das sogenannte Qualifizierungschancengesetz bietet den Rahmen für die entsprechenden Förderleistungen der Senior-Ausbildung. „Es kann gewinnbringend zur Fachkräftesicherung eingesetzt werden“, betont Thomas Becker, stellvertretender Leiter der Agentur für Arbeit Mayen-Koblenz.

Katja Becker, die mit ihrer Familie in Kemmenau im Rhein-Lahn-Kreis lebt und in der Lohner-Filiale in Bad Ems arbeitet, erinnert sich gerne an die Zeit der Ausbildung. Die Lehrer in der Berufsschule Koblenz seien prima auf die erwachsenen Azubis eingegangen, erzählt sie. „Zu Hause saß ich dann mit meinen beiden Kindern am Tisch, und wir haben gemeinsam gelernt. Da hatte ich auch ein Stück weit eine Vorbildfunktion.“
60 Prozent der Mitarbeitenden im Verkauf bei Lohners sind ungelernte Kräfte, viele davon sind Frauen. Sie stehen mitten im Leben, tragen Verantwortung für ihre Familie oder pflegen Angehörige, haben aber einen Bruch in ihrer Erwerbsbiografie. Da braucht es Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten, um noch einmal als Lehrling zu starten. Doch der Erfolg gibt allen recht. Eine der Absolventinnen sagt: „Es war die beste Entscheidung meines Lebens, noch mal eine Ausbildung anzufangen.“ Eine andere ergänzt: „Für meine berufliche Zukunft ist der Abschluss ein riesiger Sprung nach vorne.“ Katja Becker fasst es so zusammen: „Man sollte den Mut haben, es zu versuchen. Man macht es für sich, man ist aber auch ein Vorbild für alle anderen.“