Lawinenunglück vor 50 Jahren
Mayenern wurde zum zweiten Mal das Leben geschenkt
Unsere Zeitung hat sich kurz nach dem 50. Jahrestag mit Willi Ueberhofen (rechts), Albert Welski (links), Friedel Brust (Dritter von links) und Dieter Roos auf dem Mayener Marktplatz getroffen.
Elvira Bell

Fünf Menschen ließen bei einem schweren Lawinenunglück in den Alpen vor 50 Jahren ihr Leben. Haarscharf schrammte damals eine Gruppe Mayener an der Katastrophe vorbei. Die fünf Freunde erinnern sich heute.

Lesezeit 4 Minuten

Diesen Schicksalstag werden fünf Freunde aus Mayen niemals vergessen. Im Mai 1975 gerieten sie in den Alpen in eine Gerölllawine. Während fünf Menschen starben, hatten die Mitglieder des Kegelklubs „Los Dotzche“ eine unglaubliche Portion Glück im Unglück – weil sie sich rechtzeitig für den richtigen Pfad entschieden hatten.

An jenem Maitag vor 50 Jahren brachen die Mayener Freunde Willi Ueberhofen, Albert „Alla“  Welski, Gottfried Otto, Friedel Brust und Dieter Roos zu einer Wanderung um den Vilsalpsee im Tannheimer Tal westlich von Reutte/Österreich auf. Ein sechster mitangereister Kegelbruder war nicht mit von der Partie. Von der dem Berg Geierköpfl nördlich vorgelagerten Bergflanke, die Blaich genannt wird, ging plötzlich eine Lawine ab. Sie schleuderte fünf sich auf dem Fahrweg befindliche Menschen in den Vilsalpsee und begrub diese unter sich. So berichtete eine österreichische Zeitung damals über das Lawinenunglück: „Für die Jahreszeit sehr ungewöhnlich. Von den sogenannten Geierköpfen hatte sich eine Lawine gelöst und fünf Mitglieder einer Spaziergruppe aus der Bundesrepublik in den See gerissen.“ Ein Gedenkstein erinnert bis heute an die Opfer.

„Als die Lawine über den Hang kam, haben wir gesehen, welche Gefahr direkt auf uns zukam.“
Willi Ueberhofen, einer von fünf Überlebenden

Kurz nach dem 50. Jahrestag hat sich unsere Zeitung mit den Überlebenden Willi Ueberhofen, Albert Welski, Friedel Brust und Dieter Roos getroffen. Willi Ueberhofen skizziert die dramatischen Sekunden wie folgt: „Wir hörten ein Grollen, Tosen, Wummern und Vibrieren, ehe sich die Lawine in Bewegung setzte.“ So etwas hätten die fünf noch nie erlebt, die Lautstärke war enorm. „Wir wussten nicht, was kommt. Als die Lawine über den Hang kam, haben wir gesehen, welche Gefahr direkt auf uns zukam“, rekapituliert Ueberhofen. Fünf deutsche Urlauber, mit denen sich die Mayener kurz zuvor unterhalten haben, seien an diesem schmalen Weg voller Panik nach links gelaufen. „Wir nach rechts“, ergänzt der 79-jährige Dieter Roos. Die Entscheidung, nach rechts zu laufen, hat den Freunden aus Mayen das Leben gerettet.

Willi Ueberhofen hat die von Dieter Roos gemachten Fotos sorgfältig aufbewahrt.
Elvira Bell

Die anderen fünf Deutschen trafen eine Fehlentscheidung. Sie wurden von der Geröll-Lawine, die alles mitriss, was im Wege stand mit brachialer Wucht getroffen. Drei Opfer wurden von den Bergungsmannschaften nur noch tot aus dem See geborgen. Nach Tagen musste die Suche nach den anderen beiden Vermissten wegen hoher Lawinengefahr abgebrochen werden. Die Suche konnte damals erst, wie die österreichische Zeitung berichtete, nach der Sprengung weiterer Schneemassen fortgesetzt werden. Bereits zu diesem Zeitpunkt rechnete niemand mehr damit, dass die beiden Verschütteten noch am Leben seien. Zumal die Ausweise der vermissten Wanderer schwimmend auf dem See gefunden wurden. Erst fünf Wochen später, als der Lawinenkegel sich langsam im Seewasser auflöste, kam der letzte Leichnam zutage.

„Wir haben knapp und ohne Schäden überlebt“, sagt Dieter Roos. Zusammen sind die fünf Freunde aus Mayen nie mehr an den Ort, der ihnen fast zum Verhängnis geworden wäre, zurückgekehrt. Warum nicht? „Wir hatten keine schöne Erinnerung daran“, betont Willi Ueberhofen. Lediglich Albert Welski war mit seiner Frau Marianne einmal an der Unglücksstelle. „Ein anderer Bekannter, ein Ur-Mayener, der jedes Jahr in seinem Urlaub diesen Gedenkstein mit den Namen der Opfer besucht, schickt mir Jahr für Jahr ein Foto davon“, erklärt Dieter Roos. Die Freunde erzählen: „Der Weg, der über einen gut getretenen Pfad führte, war offiziell gesperrt. Daher wurde den fünf Toten mit Sicherheit grobe Fahrlässigkeit vorgeworfen“, mutmaßt Roos. „Und dass, obwohl die gar nichts dafür konnten. Wir haben ein Foto gemacht und somit den Beweis, dass das Verbotsschild im Schnee gelegen hatte. Friedel Brust hat es aufgehoben und, nachdem ich das Foto gemacht hatte, wiederaufgerichtet.“

Ehefrauen warteten verzweifelt auf Nachricht

Willi Ueberhofen erinnert sich noch sehr gut an das kurze Gespräch mit den anderen Wanderern, unter denen ein evangelischer Pfarrer war. Die fünf kamen von der anderen Seite des Sees. „Sie haben uns gefragt: ,Gibt es hier Lawinen?’ Einer von uns hat gesagt, wenn es hier Lawinen gibt, dann steht das morgen in der „Bild-Zeitung“. Wir sind aus dem Lawinenstück heraus, aber sie herein.“ Dazwischen lagen fünf Minuten. „Nachdem die Lawine abgegangen war, wussten unsere Frauen, die zu diesem Zeitpunkt in einem Café saßen, nicht, ob wir hineingeraten sind, ob wir verschüttet waren, überlebt haben oder zu Tode gekommen sind“, erzählen die Mayener. Es gab kein Durchkommen bis hin zum Café. Die Mayener mussten die ganze Strecke im Schnee rund um den See gehen. Eineinhalb Stunden waren die Ehefrauen im Ungewissen, nachdem sie die Unglücksnachricht erreicht hatte. Marie Luise Ueberhofen erinnert sich: „Die Situation war schrecklich, wir konnten ja nichts tun als abwarten“, so die zweifache Mutter.

Als die fünf schließlich unversehrt zu ihren Frauen kamen, habe jemand ganz spontan zu ihnen gesagt: „Heute könnt ihr euren zweiten Geburtstag feiern.“ Obwohl es für die Freunde glimpflich ausgegangen ist, war ihnen nach Feiern nicht zumute. Fast zeitgleich mit dem Eintreffen der fünf Mayener landete ein Hubschrauber mit Reportern. „Sie wollten von uns wissen, ob wir Fotos vom Abgang der Lawine gemacht haben“, so Dieter Roos. „Ich konnte mich in diesem Moment nicht mehr daran erinnern. Ich hatte, während wir davonrannten, im Unterbewusstsein auf den Auslöser gedrückt hatte. Erst als ich Wochen später den Film entwickeln ließ, habe ich die Aufnahmen gesehen."

Top-News aus der Region