Kurz vor ihrem 50. Geburtstag traf Claudia Knöllinger die Angst vor dem Tod mit voller Wucht: Mehr als die Hälfte ihres Lebens war vorbei - wahrscheinlich. Und nun? Bei einem guten Freund wurde ein bösartiger Hirntumor diagnostiziert, zwei Klienten aus ihrer psychologischen Praxis in Polch wurden jäh aus dem Leben gerissen. Und so schrieb Claudia Knöllinger ein Buch über den Tod - und fand in Gesprächen mit anderen Menschen hilfreiche Impulse und tröstende Perspektiven.
Wann sind Sie zum ersten Mal mit dem Thema Tod in Berührung gekommen?
Als ich ein Kind war, sind das Sterben und der Tod noch von mir ferngehalten worden. Doch ich hatte schon als Achtjährige das Gefühl, dass da irgendetwas ist, was ich ergründen möchte. Nach dem Abitur bin ich dann nach Wales ins Hospiz gegangen. Das hat mich gereizt. Ich wollte etwas Sinnvolles machen. Da habe ich den ersten toten Menschen gesehen.
Das war ja relativ spät.
Finden Sie? Es gibt Menschen, die sind 30 Jahre und älter und haben noch nie einen toten Menschen gesehen.
Nach dem Abitur ist die Entscheidung fürs Hospiz eher ungewöhnlich. Die meisten Abiturienten wollen sich des Lebens erfreuen, Sie haben sich um Todgeweihte gekümmert.
Ich habe mich schon immer mit der Endlichkeit beschäftigt. Kommt da noch was? Und was ist das, was da kommt? Diese Fragen faszinieren mich.

Was hat Sie besonders berührt im Hospiz?
Eine junge Frau zu begleiten, die an Brustkrebs gestorben ist und die zwei kleine Kinder zurückgelassen hat. Das ist das Schlimmste, was passieren kann, weil man seine Kinder nicht mehr selbst beschützen kann.
Was hilft den Sterbenden?
Dass Menschen da sind, die sich um sie kümmern. Die Zeit haben, die Gespräche mit ihnen führen.
Was haben Sie gelernt in dieser Zeit?
Dass man bei trauernden Menschen auch schweigen sollte. Der Versuch, etwas Tröstliches zu sagen, scheitert in solchen Situationen oft. Es gibt manchmal einfach keinen Trost.

Sie haben anschließend Psychologie studiert, in einer Ambulanz für Sexualstraftäter und in einer Psychiatrie gearbeitet. Dann gingen Sie nach Bolivien. Warum?
Mein Ex-Mann ist Bolivianer und hatte in La Paz verschiedene soziale Projekte.
Sie haben dort einen schlimmen Schicksalsschlag erlebt. Was ist dort passiert?
Ich wurde schwanger, aber die medizinische Versorgung war nicht gut. Ich hatte eine Schwangerschaftsvergiftung, kam mit Leberversagen und Nierenversagen ins Krankenhaus und lag zwei Tage im Koma. Als ich aufgewacht bin, war der Schwangerschaftsbauch weg. Ich hatte mein Kind verloren. Es war ein kleiner Junge. Wir haben ihn Orlando Elias genannt.
Wie haben Sie den Tod Ihres Kindes verkraftet?
Erst mal ganz schlecht. Ich habe mir damals gewünscht, ich wäre mitgegangen. Zurück in Deutschland, habe ich mich einer Gruppe für verwaiste Eltern angeschlossen. Das Reden unter Gleichgesinnten hat mir gutgetan. Ich habe später als Psychologin selbst verwaiste Eltern betreut.
Wann entstand die Idee zu Ihrem Buch?
Mitten in der Corona-Pandemie und kurz vor meinem 50. Geburtstag traf mich die Angst mit voller Wucht. Ich habe mich gefragt, wie viel Zeit mir noch bleibt. Mein Vater ist mit 63 Jahren gestorben. Das kann jetzt eng werden für mich, dachte ich. Plötzlich haben sich mir ganz viele Fragen aufgedrängt ...
... und Sie haben andere gefragt, welche Strategien es gibt, um mit der Angst vor dem Tod umzugehen?
Ich habe beispielsweise mit einem Philosophen, Wirtschaftswissenschaftler und Mukoviszidose-Patienten gesprochen, mit einer früheren Taliban-Geisel, mit einem Atheisten, Physiker oder Neurochirurgen, mit einem Katholiken, Muslim, Juden und Buddhisten und auch mit der Sterbehilfeorganisation Exit. Alle haben etwas Tröstendes mitzuteilen - und bestimmte Strategien, um mit der Angst vor dem Tod umzugehen.

Sind Sie ein spiritueller Mensch?
Materielle Dinge waren mir nie sonderlich wichtig, da bekanntlich das letzte Hemd keine Taschen hat. Wenn es etwas gibt, das ich mitnehme - wohin auch immer, falls es nach dem Tod etwas gibt -, dann sind es die Erfahrungen, die ich gemacht habe und die Verbindungen zu Menschen, die mir wichtig sind. Das ist meine Überzeugung. Und wenn ich über alles nachdenke, stelle ich fest: Genau genommen zieht sich der Tod wie ein roter Faden durch mein ganzes Leben.
Wie meinen Sie das?
Ich hatte einen holprigen Start ins Leben - durch eine komplikationsreiche Nierenoperation in den ersten Lebenswochen. Der Tod war von Anfang an präsent in meinem Leben.
Lohnt es sich, sich mit dem Tod zu beschäftigen?
Auf jeden Fall. Denn das Leben macht sonst keinen Sinn. Nutze die Zeit, die du hast. Versuche, die beste Version deiner selbst zu werden und zu deinen Mitmenschen gut zu sein.
Im Bewusstsein der Endlichkeit wird also das Jetzt sinnhafter?
Man kann nicht ohne Tiefe über den Tod sprechen. Man baut darüber eine Verbindung zu anderen Menschen auf. Was als Erkenntnis aus allen Gesprächen bleibt, ist vor allem ein Appell: Man sollte die Zeit nicht verschwenden. Denn sie ist endlich. Mit meinem Buch will ich Menschen dazu ermuntern, sich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen, andere Perspektiven einzunehmen und Impulse zu bekommen, welche Strategien man entwickeln kann, um weniger Angst vor dem Tod zu haben. Das ermöglicht es jedem, einen Weg zu finden, um Frieden mit der Endlichkeit zu schließen.
Wie groß ist Ihre Angst vor dem Tod heute noch?
Stand heute habe ich keine Angst. Das kann sich aber wieder ändern.
Claudia Knöllinger: Du bist nicht allein mit der Angst vor dem Tod. Mehr Leichtigkeit für ein schweres Thema. Books on Demand. ISBN-13: 9783759714954. 256 Seiten, 18 Euro
Persönliches
Claudia Knöllinger, Jahrgang 1971, ist in Stuttgart aufgewachsen. Einschneidende persönliche Erlebnisse und 25 Jahre Erfahrung als Psychologin unter anderem in der Bundeswehr und als systemische Therapeutin konfrontieren sie immer wieder mit dem Sterben und dem Tod. Mit ihrem Mann und ihrem Sohn lebt sie in Polch-Kaan, wo sie eine therapeutische Praxis hat.
