Wer wie Tommy Schwarz aufs Lippenlesen angewiesen ist, hat es in der Pandemie schwer
Kommunikation nahezu unmöglich: Schutzmaske stellt Gehörlose vor Probleme
Tommy Schwarz liest gern. Mit Hörenden zu kommunizieren, fällt ihm aber sehr schwer.
Elvira Bell

Mayen. Bundesweit gibt es etwa 80.000 Menschen, die nicht hören können. Eine Teilnahme am gesellschaftlichen Leben ist für sie schon in normalen Zeiten schwierig genug. So wie für Tommy Schwarz. Obwohl der 28-Jährige ein Cochleaimplantat trägt – hinter seinem Ohr befindet sich ein Soundprozessor mit Sendespule und unter der Haut das eigentliche Implantat – stellt die seit über einem Jahr herrschende Pandemie für ihn eine große Hürde in der Kommunikation dar. Die RZ hat mit dem jungen Mann über seine elektronische Hörprothese und den Herausforderungen im Alltag gesprochen.

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Das Cochleaimplantat bedeutet nicht, dass Tommy Schwarz automatisch alles versteht. Er muss vielmehr immer genau hinhören und von den Lippen lesen. Zudem müssen die Akustik und die Lichtverhältnisse stimmen. Da das Implantat deutlich weniger Frequenzen als das menschliche Ohr hat, ist es für ihn in einem Gespräch mit mehreren „Normalhörenden“ äußerst schwierig, dem Gesagten zu folgen. Er musste nach der Implantation erst lernen, das Gehörte zu verstehen.

Sein Alltag ist sehr anstrengend. Wenn alle in einem Raum durcheinanderreden, fühlt er sich oft ausgegrenzt. Besonders schwierig ist es für ihn, seitdem die Pandemie ausgebrochen ist. Weil alle Menschen zurzeit eine Maske tragen, sieht Tommy Schwarz nur die Augen seines Gegenübers. Die Maske macht ein Ablesen von den Lippen kaum möglich.

Den ersten Kontakt hatte unsere Zeitung mit Tommy Schwarz per E-Mail. Dabei stellte sich heraus, dass Lesen und Schreiben für gehörlose Menschen wesentlich komplizierter ist als für Hörende. Denn wie eine Fremdsprache hat auch die deutsche Gebärdensprache – sie ist eine Sprache der Hände – ihre eigene Grammatik. Er wendet diese seit seiner Kindheit an.

Auch wenn Tommy Schwarz nur ganz wenige Kontakte zu Menschen in Mayen hat, befindet sich der staatlich anerkannte sozialpädagogische Assistent keineswegs in einer Welt der Stille. Im Gegenteil! Er ist alles andere als stumm, sondern kommunikativ. Seine Augen sind ausdrucksstark. Ein Treffen unter Corona-Bedingungen mit Abstand und ohne Maske, mit seiner Mutter, die ihn dabei sprachlich unterstützte, war völlig entspannt.

Mit einem gewinnenden Lächeln und besonderer Empathie erzählt Tommy – für ihn sind die Augen und die Lippen seines Gegenübers das A und O – mit einfachen Worten ganz ohne Berührungsängste von seiner Arbeit. Er betreut einen fast 18-jährigen gehörlosen Autisten mit geistigen Behinderungen mittags ab zwölf Uhr, also in dessen Freizeit, in der Landesschule für Gehörlose und Schwerhörige in Neuwied. Die Landesschule auf der anderen Rheinseite, die Tommy Schwarz von 2004 bis 2009 besuchte, ist längst zu seiner zweiten Heimat geworden.

Die Kommunikation mit dem jungen Mann, den er betreut, gestalte sich schwierig, obwohl Tommy eine gute Beobachtungsgabe hat. Der junge Mann könne sich nicht so gut gebärden. Daher muss Tommy Schwarz ihm die Hygieneauflagen immer wieder aufs Neue erklären. Auch das Abstandhalten sei nicht so einfach. „Ebenso wie die aktuellen Corona-Auflagen muss ich ihm auch andere Themen immer wieder nahebringen. Er vergisst es immer wieder“, so Tommy Schwarz. Auch in der Notbetreuung der Landesschule ist der in Teilzeit Beschäftigte eingesetzt.

Sein größter Wunsch ist es, in naher Zukunft eine duale Ausbildung als Heilpädagogischer Erzieher zu absolvieren. Tommy Schwarz wäre gerne für Menschen mit Behinderungen da, egal welchen Alters. Bereits vor der Pandemie hatte er erhebliche Schwierigkeiten, mit hörenden Menschen zu kommunizieren. Doch die pädagogischen Fachkräfte, die die deutsche Gebärdensprache beherrschen, unterstützen und trösten ihn, wenn er nicht verstanden wird. In einer „normalen“ Arbeitswelt beschäftigt zu sein, stellt sich Tommy Schwarz sehr schwierig vor. Er verstehe einfach weniger. Bestimmte Wörter kenne er nicht. Zudem machen ihm Störgeräusche in der unmittelbaren Nähe zu schaffen.

Viele Jahre, in denen er unter anderem das Westfälische Berufskolleg für Hörgeschädigte in Essen und die IBAF-Gehörlosfachschule in Rendsburg in Schleswig-Holstein besuchte, kam er nur an den Wochenenden und Ferien nach Hause. „Seine gehörlosen Freunde sind in ganz Deutschland verstreut“, sagt Manuela Wange, die Mutter von Tommy. Taub ist der gebürtige Mayener von Geburt an. Zudem hatte er einen Herzfehler. Er erinnert sich, als er später in Kliniken war und operiert wurde, dass er sehr große Angst gehabt habe. Auch an seine kurze Zeit in der Kindertagesstätte Herz-Jesu in Mayen denkt er so manches Mal zurück. „Wegen der hörenden Kinder war ich oft sehr traurig. Ich fühlte mich einsam und verletzt.“

Das änderte sich, als sich Manuela Wange für den Besuch des Förderungskindergartens für Gehörlose und Schwerhörige in Neuwied für ihren Sohn entschieden hatte. „Ich habe mich sehr gefreut, als ich mit anderen hörgeschädigten Kindern auch mit geistiger Behinderung mit leichter Gebärdensprache und Lautsprache kommunizieren konnte.“ Gerade deshalb würde sich Tommy sehr freuen, nach einer Ausbildung als Heilpädagogischer Erzieher Menschen mit Handicap zu betreuen.

Von unserer Mitarbeiterin Elvira Bell

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