Zum Hintergrund: Der Koblenzer Stephan Wefelscheid hat seinen Rückzug vom Landesvorsitz der Partei zum Jahresende angekündigt. Mit ihm räumen Vize Herbert Drumm und Landesschatzmeister Marco Degen ihre Vorstandsämter. Auch die Beisitzerin Kathrin Laymann, Bürgermeisterin der Verbandsgemeinde Rhein-Mosel, wirft hin. Und nicht nur das: Weil der ganze Streit mit Austritten einhergeht, verlieren die Freien Wähler im Landtag ihren Fraktionsstatus. Aus sechs Abgeordneten werden nun vier. Das bedeutet: kein Geld mehr für die Fraktionsarbeit. Monatlich gehen mehr als 86.000 Euro verloren, zehn Mitarbeitern muss deshalb gekündigt werden.
Hans-Georg Schönberg aus Mayen ist seit 1998 kommunalpolitisch engagiert, er gehört den Freien Wählern Mayen-Mittelrhein-Mosel (FWM3) an, dem Mayener Stadtrat und dem Kreistag MYK. Das, was jetzt auf Landesebene passiere, sei „grottenschlecht“, sagt er im Gespräch mit unserer Zeitung. Das habe nichts mit sachorientierter Politik zu tun, sondern ausschließlich mit „zu viel privaten Interessen“.
„Sechs Leute haben die Kernpolitik nicht verstanden“, konstatiert Schönberg. „Sie haben es versäumt, sich zu erden und bodenständig zu bleiben. Jeder hat nur an seine politische Karriere gedacht, keiner an die Mitarbeiter, die jetzt ihre Jobs verlieren.“ Das müsse man aber entkoppeln von den vielen Tausenden Menschen, die vor Ort in den Freien Wählergruppen engagiert sind. „Die haben nichts damit zu tun.“ Vielmehr könnten sie die Freien Wähler jetzt zurück zum Pfad der Tugend führen.
„Der Erneuerungsprozess der Freien Wähler kann nur mit Vertretern aus den Freien Wählergruppen gelingen“, ist Schönberg überzeugt. Denn man könne eine Partei nicht ohne Basis führen. Die entsprechenden Gespräche dazu würden zeitnah beginnen.
Dazu muss man wissen, dass die vielen Freien Wählergruppen in den kommunalen Parlamenten organisatorisch nichts mit der Partei der Freien Wähler zu tun haben. Sie sind zwar Brüder und Schwestern im Geiste, agieren aber völlig unabhängig voneinander. Ihnen gemeinsam ist, dass sie von der zunehmenden Skepsis gegenüber etablierten Parteien profitieren. So haben es die Freien Wähler nach mehreren Anläufen 2021 erstmals in den rheinland-pfälzischen Landtag geschafft.
Parallel haben sich Kreisverbände gegründet, unter anderem im Kreis Mayen-Koblenz und im Westerwald. Sie nehmen an Kommunalwahlen teil – manchmal auch in Konkurrenz zu den Freien Wählergruppen (FWG). Die FWGs sind in Rheinland-Pfalz traditionell stark und stellen in den Ortsgemeinden oder Verbandsgemeinden bereits viele Bürgermeister.
Die Freien Wählergruppen werden von diesen Kapriolen nicht tangiert.“
Albert Jung, Fraktionsvorsitzender der FWG im Kreistag Cochem-Zell
Albert Jung, Fraktionsvorsitzender der FWG im Kreistag Cochem-Zell, bezeichnet das Zerfallen der Fraktion im Landtag und den Rücktritt von Wefelscheid als „sehr bedauerlich“. Das zeige die innere Zerstrittenheit in der Partei. „Die Freien Wähler haben jetzt die Chance, eine Neuausrichtung ohne Polarisierung und Flügelkämpfe vorzunehmen“, sagt Jung. „Auswirkungen auf die Arbeit in kommunalen Parlamenten sehe ich nicht. Die Freien Wählergruppen im Landkreis arbeiten selbstständig und autonom und werden von diesen Kapriolen nicht tangiert.“
Er persönlich bedauere den Wechsel von Joachim Streit nach Brüssel. „Er hat die Belange der Kommunen im Land immer klar formuliert und als ehemaliger Landrat viel kommunale Kompetenz in die Arbeit eingebracht.“ Stephan Wefelscheid habe die Landespartei aus der Taufe gehoben, „und es ist sein Baby. Er hat den Ahr-Untersuchungsausschuss hervorragend begleitet mit seiner versierten Arbeit. Jetzt hat es geknallt, und es gibt Rücktritte.“ Sein Appell: „Ein wenig Gelassenheit, mehr Geschlossenheit und eine bessere ,Streit'-Kultur sind mein persönlicher Wunsch an die Landespartei der Freien Wähler.“
Hans Joachim Schu-Knapp von der FWG Rhein-Mosel sagt: „Die Ereignisse auf Landesebene sind absolut bedauerlich, weil die Freien Wähler im Landtag eine bereichernde Kraft waren.“ Für die kommunale Ebene sieht er keine unmittelbaren Konsequenzen.
Wefelscheid hat seine Entscheidung auch mit der seiner Meinung nach problematischen inhaltlichen Neuausrichtung der Partei begründet. Als Beispiel nannte er einen Antrag für den Landesparteitag Ende September in Kordel, keine Regenbogenflaggen an öffentlichen Gebäuden zu erlauben. Wenn sich die Partei mit solchen Themen befassen wolle, sei er inhaltlich an einem Punkt, an dem er sage: „Da bin ich nicht der richtige Vorsitzende.“ Bei dem Parteitag brach damit der seit Monaten schwelende Richtungsstreit bei den Freien Wählern durch. Hinzu kamen persönliche Zerwürfnisse – unter anderem zwischen Wefelscheids Anhängern und jenen des mittlerweile ins Europaparlament abgewanderten früheren Fraktionschefs Joachim Streit.
Gleich zu Beginn war Wefelscheid von den Delegierten nicht zum Tagungspräsidenten gewählt worden. Das habe ihm gezeigt, dass man ihn durch die Hintertür zum Rückzug vom Landesvorsitz haben drängen wollen, sagte er.
Jetzt ist Chaos entstanden, was uns die Arbeit in den Kreisverbänden der Freien Wähler erschweren wird.“
Arnold Waschgler von den Freien Wählern MYK
Arnold Waschgler von den Freien Wählern MYK und Ortsbürgermeister von Lehmen bleibt dieser Parteitag als Debakel in Erinnerung. „Bei dem Landesparteitag in Kordel war ich als Parteimitglied anwesend. Da konnte ich erahnen, welche Weichen gestellt werden sollten“, sagte er gegenüber unserer Zeitung.
„Ich fand die Personaldebatte an der Stelle völlig deplatziert. Das hätte man nicht pressewirksam inszenieren sollen. Aber man sollte jetzt nicht den Mut verlieren und sich irgendwie davonstehlen, sondern man sollte versuchen, den Leitfaden der Freien Wähler aufrechtzuerhalten. Es wäre fatal, wenn es wie bei der Linken eine Abspaltung nach dem Beispiel BSW gäbe, also ein Bündnis Stephan Wefelscheid. Einige haben den Führungsstil von Wefelscheid kritisiert. Doch man muss festhalten, dass er der Repräsentant der Freien Wähler ist. Er kann hervorragend formulieren und gute Reden halten. So jemanden zu demontieren, gehört sich nicht. Jetzt ist Chaos entstanden, was uns die Arbeit in den Kreisverbänden der Freien Wähler erschweren wird.“