Streit um Andernacher Großprojekt schwelt bis heute weiter
Jahresrückblick: Andernacher Culinacum beherrscht 2023 die Schlagzeilen
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Auf dem Platz am Runden Turm soll das neue Stadtmuseum Culinacum entstehen. Kritiker befürchten allerdings, dass der Runde Turm von dem Neubau optisch erdrückt werden könnte.
Koch Martina. Martina Koch

Andernach. Hoffnungsvoll starten die Befürworter des neuen Stadtmuseums Culinacum ins Jahr 2023: Im Sommer 2022 hatte der Bund eine Förderung in Höhe von 4,63 Millionen Euro für das Andernacher Vorzeigeprojekt bewilligt. So nah wie jetzt ist man dem seit Langem ersehnten Neubau noch nie gekommen. Doch die folgenden Monate werden zu einer Achterbahnfahrt – mit unerwartetem Ausgang.

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Auf dem Platz am Runden Turm soll das neue Stadtmuseum Culinacum entstehen. Kritiker befürchten allerdings, dass der Runde Turm von dem Neubau optisch erdrückt werden könnte.
Koch Martina. Martina Koch

Überwiegt zum Jahresausgang 2022 noch die Freude darüber, im zweiten Anlauf die Fördermittelgeber des Programms „Nationale Projekte des Städtebaus“ überzeugt zu haben, werden 2023 bald schon kritische Stimmen laut.

Stadtverwaltung und politische Gremien zeigen zu diesem Zeitpunkt noch Geschlossenheit: Einstimmig hatte man den Beschluss gefasst, das neue Museum zu Füßen des Runden Turms zu bauen, bei einem städtischen Eigenanteil von rund 2,3 Millionen Euro. Einstimmig verabschiedete der Stadtrat im Dezember 2022 unter dem damaligen Oberbürgermeister Achim Hütten (SPD) auch einen Haushaltsplan, der zu diesem Zeitpunkt noch ein Millionenminus auswies – inklusive der fürs Culinacum vorgesehenen Summe.

Standort des neuen Museums sorgt für Diskussionen

Während die Idee, ein deutschlandweit einzigartiges Vorzeigeprojekt zu verwirklichen, welches Ernährungs- und Stadtgeschichte miteinander vereint und mittels eines eigenen Museumsgartens samt Schauküche erlebbar macht, auf breite Zustimmung stößt, ist es der genaue Standort des Culinacums, der zu Jahresbeginn für Diskussionen führt. Die Pläne sehen zunächst vor, dass das neue Museum in zwei Gebäudeteilen entsteht, wovon einer außerhalb der Stadtmauer am Runden Turm und der zweite innerhalb der Stadtmauern errichtet werden soll. Der Hauptzugang zum Culinacum soll sich demnach in der Konrad-Adenauer-Allee und damit vor der Stadtmauer befinden. Ein Durchgang soll beide Gebäudeteile miteinander verbinden.

Hintergrund dieser Planung ist der Beschluss des Stadtrats, die an der Hochstraße gelegenen Grundstücke am Runden Turm an einen privaten Investor zu veräußern, der diese für eine Wohnbebauung nutzen soll. Um zu vermeiden, dass das Culinacum im „Hinterhof“ verschwindet, hatte man sich daher für ein möglichst aufsehenerregendes Entree in der Konrad-Adenauer-Allee entschieden.

„Das wird nach dem Geysir und der Essbaren Stadt wieder ein Alleinstellungsmerkmal für den Tourismus in Andernach.“

Johannes Ahsenmacher (CDU) spricht sich im April für einen Bau des Culinacums aus.

Bei den Andernachern, die Ende Februar eine Bürgerversammlung der Stadt besuchen, in der die Pläne vorgestellt werden, kommt der vorgesehene Standort des Museums allerdings alles andere als gut an: Sie äußern die Befürchtung, dass der Runde Turm und damit das Andernacher Wahrzeichen schlechthin durch einen Neubau dies- und jenseits der Stadtmauer optisch erdrückt wird. Auch die Generaldirektion Kulturelles Erbe mahnt in einem Schreiben an die Stadt an, bei der Gestaltung des Neubaus in dem historisch sensiblen Umfeld besondere Vorsicht walten zu lassen.

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Die Zukunft der Sammlung des bisherigen Stadtmuseums im Haus von der Leyen ist bis heute offen. Die Exponate sind auf mehrerer Depots im Stadtgebiet verteilt.
Koch Martina. Martina Koch

Die Stadtverwaltung arbeitet derweil mit Hochdruck daran, den Architektenwettbewerb für das Culinacum auf den Weg zu bringen. Doch in der für Anfang März anberaumten Sitzung von Kultur- und Planungsausschuss, in der die Auslobung des Wettbewerbs vorberaten werden soll, kommt es zum Eklat: SPD-Fraktionsvorsitzender Jens Groh spricht von „gravierenden Mängeln“ in der Vorlage der Verwaltung. Diese sieht vor, dass Vertreter der Fraktionen in der Jury, die den Sieger des Architektenwettbewerbs kürt, lediglich eine beratende Funktion ohne Stimmrecht haben. Damit fehle es dem Preisgericht an demokratischer Legitimation, ärgert sich Groh. Die Fraktionen von CDU, FWG, Grünen und AfD schließen sich der Kritik an.

„Die Betriebskosten sind entscheidender als die Baukosten.“

Jens Groh (SPD) äußert im Frühjahr die Sorge, dass sich die Stadt finanziell übernimmt.

Damit ist der Plan, dass die Jury des Architektenwettbewerbs Mitte März erstmals zusammentreten soll, geplatzt. Die Aufgabe, einen Kompromiss zu finden, um das Verfahren doch noch in Gang zu bringen, kommt schließlich dem neuen Oberbürgermeister Christian Greiner (FWG) zu, der im April sein Amt antritt. In der ersten Stadtratssitzung unter Greiners Leitung beschließt das Gremium einstimmig, den Architektenwettbewerb auszuloben – mit einer erweiterten Jury, der Vertreter der Fraktionen als stimmberechtigte Mitglieder angehören.

Außerdem fließt die Kritik am zunächst geplanten Standort des Museums nördlich der Stadtmauer in den Auslobungstext ein. Eine Verwirklichung des Vorhabens in der Konrad-Adenauer-Allee ist damit praktisch vom Tisch. Die Stadt setzt Architekturbüros, die Interesse daran haben, das neue Stadtmuseum Culinacum zu entwerfen, eine Frist bis Anfang Juni. Unter allen bis dahin eingegangenen Interessenbekundungen werden per Losverfahren 25 Büros ausgewählt, die aufgefordert sind, ihre ausgearbeiteten Entwürfe im Wettbewerb einzureichen.

Die Resonanz ist überwältigend: 58 Bewerbungen um eine Teilnahme am Architektenwettbewerb gehen ein – darunter befinden sich neben renommierten Büros aus Deutschland, auch welche aus dem benachbarten Ausland. Die Befürworter des Vorhabens fühlen sich durch das große Interesse bestätigt: Das Culinacum und damit die Andernacher Stadtgeschichte entwickelt eine Strahlkraft weit über die Stadtgrenzen hinaus.

Stadtgeschichte im Wandel der Ernährungsgewohnheiten erzählen

Im Kulturamt arbeitet man derweil am Konzept der Ausstellung, die in dem neuen Museum präsentiert werden soll: Der Leiter des Stadtmuseums, Kai Seebert, und sein Team tragen Exponate zusammen, die geeignet sind, die Stadtgeschichte im Wandel der Ernährungsgewohnheiten zu erzählen. Dabei gilt es so unterschiedliche Themen, wie die mehr als 2000-jährige Geschichte der Tönissteiner Quellen, die Legende um die Entstehung des Bienenstichs, die Rolle des im Andernacher Rasselsteinwerks produzierten Weißblechs für die Lebensmittelkonservierung und letztlich die Essbare Stadt unter einen Hut zu bekommen. Auch die Frage, wie die Inhalte der Ausstellung sinnlich erlebbar gemacht werden können, beschäftigt die Planer.

Parallel dazu tritt die Jury des Architektenwettbewerbs im Sommer mehrmals zusammen, um sich den Fragen der 25 ausgewählten Wettbewerbsteilnehmer zu stellen und schließlich Ende September den Sieger des Wettbewerbs zu küren. Im Mittelpunkt der Diskussionen stehen dabei die Kosten des Vorhabens.

Kostendiskussionen prägen die Jurysitzungen im Architektenwettbewerb

Mit den geplanten 6,9 Millionen Euro lasse sich das Culinacum nicht realisieren, kritisieren die beteiligten Architekten unisono. Die Stadt müsse sich auf deutlich höhere Kosten gefasst machen. Es kursieren Schätzungen, wonach mit einem Betrag im niedrigen zweistelligen Millionenbereich zu rechnen sei.

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Das Culinacum beherrschte 2023 die Schlagzeilen in Andernach.
Koch Martina. Martina Koch

Die mit Spannung erwartete Stadtratssitzung Anfang Oktober, in der der Sieger des Architektenwettbewerbs bekannt gegeben und das Auftragsverfahren beschlossen werden soll, endet schließlich mit einem Paukenschlag: Die Fraktionen von SPD und FWG sowie Oberbürgermeister Christian Greiner verweigern dem Projekt die Zustimmung. Die erforderliche Mehrheit für eine Weiterverfolgung des Verfahrens kommt damit nicht zustande. Stattdessen entsteht eine Pattsituation zwischen den Ratsmitgliedern von CDU, Grünen, AfD und FDP und den Gegnern des Culinacums. Der CDU-Fraktionschef Gerhard Masberg ist da schon nicht mehr im Ratssaal: Er tritt im Streit aus seiner Fraktion und dem Stadtrat aus, da er dem Culinacum entgegen der CDU-Linie die Zustimmung verweigert.

Architekten kritisieren verfrühten Ausstieg aus dem Projekt

Der vom Hamburger Architekturbüro Hupe Flatau Partner gestaltete Siegerentwurf des Wettbewerbs tritt angesichts des lokalpolitischen Scherbenhaufens, den der Ratsbeschluss hinterlässt, in den Hintergrund. Als Tim Hupe den Entwurf Ende Oktober bei der Siegerehrung des Architektenwettbewerbs im Historischen Rathaus präsentiert, ist die Stimmung unterkühlt.

„Ich drücke den Architekten die Daumen, dass es doch noch zum Guten kommt.“

Marcus Hille vom Planungsbüro Hille + Tesch zeigt sich bei der Preisverleihung des Architektenwettbewerbs enttäuscht vom Andernacher Stadtratsbeschluss.

Die anwesenden Architekten der erstplatzierten Entwürfe äußern ihr Befremden darüber, dass sich die Stadt gegen eine Verwirklichung des Vorhabens ausgesprochen hat, noch bevor Verhandlungen mit dem erstplatzierten Büro überhaupt stattgefunden haben. Der von seinem Büro entworfene Museumsneubau, der einer mittelalterlichen Scheune nachempfunden ist, lasse sich schließlich skalieren und kostenschonend umsetzen, betont der Architekt Tim Hupe.

Auch im Rat schwelt der Streit ums Culinacum bis zum Jahresende weiter. Schließlich sind entscheidende Fragen rund um Culinacum und Stadtmuseum bis heute ungeklärt: Was wird aus der Sammlung des Stadtmuseums, die derzeit noch über mehr oder weniger ungeeignete Depotstandorte verteilt ist? Ist ein weiterer Stadtratsbeschluss notwendig, um die fürs Culinacum bewilligten Fördermittel ganz offiziell zurückzugeben? Muss die Stadt mit rechtlichen Konsequenzen rechnen, weil sie sich gegen ein Vergabeverfahren entschieden hat? Und was wird jetzt eigentlich aus dem Platz am Runden Turm? Das Jahr 2023 endet, doch die Geschichte des Streits ums Culinacum ist noch längst nicht auserzählt

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