Neuer Direktor in Mayen
Im Bernardshof ist man Tag und Nacht für Kinder da
Jörg Müller verfügt über jahrzehntelange Erfahrung in der Jugendarbeit. Er ist seit 1. Januar neuer Direktor der großen Jugendhilfeeinrichtung Bernardshof.
Rico Rossival

Marko Boos ist seit 1. Januar Landrat des Kreises MYK, ihm ist in seiner Funktion als Direktor des Mayener Bernardshofes Jörg Müller aus Landkern nachgefolgt. Der Neue beschreibt, was er in der Jugendhilfeeinrichtung vorhat.

Lesezeit 7 Minuten

Der Vorgänger sitzt seit fast einem halben Jahr im Kreishaus - als Landrat des Landkreises Mayen-Koblenz. Auf Marko Boos als Geschäftsführer der Mayener Jugendhilfeeinrichtung Bernardshof ist Jörg Müller gefolgt. Er verfügt über fast 35 Jahre Erfahrung in der Jugendhilfe. Was will der Fachmann, der in Landkern (Kreis Cochem-Zell) zu Hause ist, im Bernardshof bewegen?

Ist es für Sie ein Traum gewesen, eines Tages Direktor des Bernardshofs sein zu dürfen?

Als die Entscheidung anstand, da wurde mir klarer, dass die Funktion als Geschäftsführer für mich eine Rolle spielen würde. Ich habe mich darüber mit Marko Boos, meinem Vorgänger, ausgetauscht und mich auf einen Wechsel vom Internationalen Bund IB verständigt. Ich bin seit 1. Mai 2024 hier als Bereichsleiter und wurde von Direktor Boos gut eingeführt. Entschieden wurde über meine Funktion im November. Da haben auch Vorstand und Kuratorium zugestimmt, dass ich Geschäftsführer werden solle. Seit 1. Januar 2025 arbeite ich in dieser Funktion. Für mich war der Eingang kein Kaltstart, ich war nahtlos in allen Themen drin.

Sie haben diesen verantwortungsvollen Posten übernommen: Ist das eher Lust oder Last?

Lust und Leidenschaft zugleich. Es ist für mich eine Ehre, dem Bernardshof vorstehen zu dürfen, für dessen Geschicke verantwortlich zu sein und den Bernardshof in eine gute, stabile Zukunft führen zu dürfen. Wenn man die Jugendhilfe-Landschaft durchleuchtet, ist dies hier eine äußerst attraktive Funktionsstelle.

Jörg Müller (links) geht mit RZ-Chefreporter Thomas Brost über das weitläufige Gelände des Bernardshofes.
Rico Rossival

Welchen Ruf genießt der Bernardshof?

Der Bernardshof hat einen herausragenden Ruf in der Jugendhilfe-Landschaft. Letztere besteht aus dem Netzwerk der öffentlichen Jugendhilfeträger.

Woher kommen die Kinder und Jugendlichen, die von Ihnen aufgenommen werden?

Das ist unterschiedlich. Wir haben eine relativ große Spannbreite an Jugendhilfemaßnahmen, von voll bis teilstationären Maßnahmen. Wir haben eine große Bühne für Unterstützungsmaßnahmen für junge Menschen, die Bedarf haben. Die 13 vollstationären Wohngruppen sind in Regel- und Intensivgruppen unterteilt. Für diese bekommen wir aus dem gesamten Bundesgebiet Anfragen. Es ist uns daran gelegen, mit den umliegenden Jugendämtern verbindliche Strukturen aufzubauen und zu pflegen. Das zahlt sich auch beim Thema Elternarbeit aus: Es ist einfacher, eine solche Elternarbeit im regionalen Umkreis zu betreiben, bis zur Region Köln, Bonn, Aachen, dem Saarland, der Pfalz und Luxemburg.

Wenn wir im Internet einen Platz freigeben, dann werden wir von den Jugendämtern schnell kontaktiert. 120 junge Menschen wohnen hier im Haus, hinzukommen zwei Außenwohngruppen, eine in Mayen, eine in Mendig. Dann begleiten und unterrichten wir in unserer Unesco-Projekt-Schule, das ist eine private Schule in Trägerschaft des Bernardshofs. Ferner haben wir vier Tagesgruppen mit 48 Kindern. Das sind teilstationäre Jugendhilfemaßnahmen. Davon sind zwei auf dem Gelände, eine Tagesgruppe ist im Mayener Stadtteil Kürrenberg und eine in der Stadt Mayen. Wir begleiten überdies im Schnitt 100 Familien ambulant. Und dann bilden wir in sieben Gewerken Jugendliche aus: Rund 40 Auszubildende werden fit gemacht für den Weg in den ersten Arbeitsmarkt.

Jörg Müller kümmert sich mit seinem Team um viele Kinder und Jugendliche, wie er im Gespräch erklärt.
Rico Rossival

Die Gelder für die Jugendhilfe werden knapper. Wie sehen Sie dieses Spannungsfeld, auch im Zusammenspiel mit den Trägern?

Wir müssen mit allen Maßnahmen, die wir anbieten, Tages- beziehungsweise Pflegesätze verhandeln. Und dahinter steckt ein schwieriger und langer Prozess, bis wir zu einem guten und auskömmlichen Ergebnis kommen. Wir gehen als Träger immer das wirtschaftliche Risiko ein mit Belegung und Auslastung. Es ist für mich eine wichtige Aufgabe, die Entgeltsätze gut zu verhandeln. Das läuft mit dem Jugendamt der Stadt Mayen. Diese Entgeltsätze sind die Grundlage für die Anfragen von außerhalb. Mit der Stadt werden alle Leistungsentgelte und Qualitätsentwicklungsvereinbarungen getroffen, auch konzeptionell.

Was planen Sie oder setzen aktuell um?

Wir sind gerade dabei, eine neue stationäre Maßnahme zu öffnen. Eine Fünf-Tage-Gruppe wird eingerichtet. Diese Maßnahme wird von sonntags bis freitags betrieben, am Wochenende gehen die Kinder wieder in die Obhut ihrer Eltern. Wir planen noch eine Maßnahme, die sehr eng in der Schnittstelle zwischen Schule und Tagesgruppe stehen soll. In der Schule haben wir ja Kinder, die nicht an uns über eine Jugendhilfemaßnahme zugewiesen worden sind, sondern auch Kinder, die eigentlich einen Jugendhilfebedarf haben. Das wollen wir jetzt in ambulanter Form anbieten, als Zwischenlösung, weil wir nicht genügend Kapazitäten haben.

In mehreren Ausbildungsberufen können sich Jugendliche innerhalb des Bernardshofes qualifizieren.
Rico Rossival

Der Bedarf an Jugendhilfe ist, wie Sie betonen, sehr hoch. Stellen Sie fest, dass der Ton in den Familien immer rauer wird?

Die psychischen Probleme sind nicht von der Hand zu weisen. Wir haben sehr viele Kooperationen mit ambulanten und vollstationären Therapeuten, eine sehr intensive Netzwerkarbeit mit Bad Neuenahr und Trier, auch mit den Johannitern als Ambulanzzentrum. Wir selbst leisten uns auf dem Bernardshof zweieinhalb Psychologenstellen, um bedarfsgerecht mit unseren jungen Menschen zu arbeiten. Nicht jeder hat dafür einen Bedarf, der größte Bedarf liegt darin, erzieherisch tätig zu werden. Aber es gibt viele, für die wir den psychologischen Dienst mit einschalten müssen. Wir haben ganz viele Menschen hier, die therapeutisch angedockt sind, darunter auch ADHSler oder Autisten. Aber natürlich sind auch Kindeswohlvernachlässigung, Verwahrlosung und Aufsichtspflichtverletzungen eklatante Themen.

Gibt es, wenn man es so formulieren möchte, Trends? Dinge, die signifikant zugenommen haben?

Es hat sich sicherlich durch die Corona-Pandemie einiges verstärkt. Wir haben viele Anfragen von Schülerinnen und Schülern, die in der normalen Regelschule nicht mehr betreut und begleitet werden können. Diese Kinder können bei uns aufgenommen werden, und wenn dies nahtlos laufen soll, schließt sich eine Ausbildung an. Wir haben eine eng verzahnte Schule- und Praxisorientierung. Schüler haben verpflichtende Praktika, die idealerweise bei uns auf dem Gelände stattfinden.

Der Bernardshof ist eine renommierte Jugendhilfeeinrichtung.
Rico Rossival

Umstritten war vor zwei Jahren das therapeutische Reiten? Wird dieses weiterhin angeboten?

Ja, das gibt es nach wie vor. Das therapeutische Reiten ist fest in den Entgeltsätzen enthalten. Vom Jugendamt wird auch die Notwendigkeit gesehen. Wir haben eine eigene Reitanlage, wir haben den psychologischen Dienst als Zusatzleistung, und wir haben einen Erlebnispädagogen. Dieser ist notwendig für das Leben im Jugendhilfedorf Bernardshof.

Fühlen sich die Kinder und Jugendlichen hier wohl?

Es gibt gute Voraussetzungen, dass sich ein Kind hier bei uns trotz seiner Situation wohlfühlen kann. Darauf legen wir großen Wert. Es gibt Erweiterungen des Angebotes im erlebnispädagogischen Bereich. Wir wollen noch eine 17 Meter hohe Kletterwand zeitnah installieren lassen. Man kann sich hier wohlfühlen, das trifft auch auf den Direktor zu ...

"Die Auslastung ist mehr als gut", sagt Jörg Müller.
Rico Rossival

Ist der Bernardshof eigentlich 24/7 Stunden erreichbar?

Ja – und auch 365 Tage. Denn wir betreiben unsere Gruppen ja das ganze Jahr über.

Thema Anknüpfungspunkte: Eigentlich funktioniert wohl die Verbindung von Bernardshof zu Jobcenter und Arbeitsagentur. Würden Sie sich bezüglich Außenkontakte noch mehr Intensität und Verständnis wünschen?

Die Wertschätzung, dass wir gute und teure Arbeit leisten, erfahren wir von unseren Auftraggebern wie den Jugendämtern. Die Auslastung ist mehr als gut. Personell und räumlich sind uns die Hände gebunden. Was aus meiner Sicht notwendig ist, ist, dass der Bernardshof intensiver wahrgenommen wird. Hier kann jeder hinkommen, zumal wir transparent und offen sein wollen.

Würden Sie wünschen, dass Vereine und Jugendgruppen aus der Stadt Mayen noch mehr auf den Bernardshof zugehen?

Unsere jungen Menschen aus den Wohngruppen sind eifrig im Netzwerk. Sie sind im Vereinsleben integriert, sie spielen Fußball, gehen Tanzen, sind in der Feuerwehr, singen im Chor. Die notwendige Integration ins Vereinsleben geschieht über die Aktivität der Gruppen vor Ort. Und da ist die Anbindung erfolgt.

Wie Jörg Müller ankündigt, wird es wieder Tage der offenen Tür geben.
Rico Rossival

Wird es wieder Tage der offenen Tür geben?

Das habe ich vor, vor allem mit dem Blick auf das Jubiläum im Jahr 2028. Dann feiern wir unser Hundertjähriges. Und da werden wir eine etwas größere Veranstaltung anbieten. Derzeit haben wir noch einen relativ großen Sanierungs- und Renovierungsbedarf. Wir unternehmen einiges, vom Kinderfest bis zum Fußballpokalturnier. Ob wir da noch ein Tag der offenen Tür hinbekommen? Mittelfristig ist er auf jeden Fall angedacht. Wir wollen, dass die Bürger bei uns hereinschauen dürfen.

Wenn Sie drei Wünsche als Direktor freihätten: Wie sähen diese aus?

Mehr Geld ist immer gut. Zumal wir eine Reihe von Projekten hier haben, die außerhalb unserer Entgelt- und Pflegesätze umgesetzt werden. Wir wollen beispielsweise ein Pferd kaufen, wir wollen die Kletterwand errichten. Auch wenn die Stadt federführend ist, wollen wir uns am Projekt „Wassernahes Klassenzimmer“ angemessen beteiligen. Ganz wichtig ist für mich, dass die 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hier zufrieden sind. Ebenso wichtig ist der persönliche und direkte Kontakt zu den Kindern. Sie dürfen gern zu mir ins Büro kommen, werden dort abgeklatscht und dürfen mit mir Small Talk machen.

Viele Kinder und Jugendliche werden betreut

Der Bernardshof betreut durchschnittlich 200 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene im Alter von sechs bis 21 Jahren auf dem eigenen Gelände. Der Bernardshof verfügt über 13 vollstationäre Wohngruppen, die in Regel- und Intensivgruppen unterteilt sind, vier teilstationäre Tagesgruppen, sowie die Unesco-Projekt-Schule, die 111 Schülerinnen und Schüler mit sozial-emotionalem Förderbedarf unterrichtet. Darüber hinaus werden mehr als 100 Familien ambulant begleitet. Rund 40 Auszubildende werden auf den ersten Arbeitsmarkt vorbereitet. „Wir sind stolz darauf, jungen Menschen in verschiedenen Lebenslagen Unterstützung zu bieten und ihnen Perspektiven zu eröffnen“, so Direktor Jörg Müller. red

Top-News aus der Region