Infolge der alternden Gesellschaft werden in Deutschland bis zum Jahr 2049 voraussichtlich zwischen 280.000 und 690.000 Pflegekräfte fehlen. Das geht aus einer Vorausberechnung des Statistischen Bundesamtes hervor. Die Engpässe sind schon jetzt spürbar: in Krankenhäusern, in Seniorenheimen, in der ambulanten und in der stationären Pflege. Verschärft wird das Problem dadurch, dass parallel zum Pflegekräftenotstand die Zahl der Pflegebedürftigen in den kommenden Jahren stark ansteigen wird: bis 2055 um 37 Prozent. Es braucht also mehr qualifiziertes Personal – und das möglichst schnell.
Endlich r aus aus dem Hilfsjob
Eine Möglichkeit ist das Qualifizierungschancengesetz. Der Begriff erschließt sich erst, wenn man ihn in seine Einzelteile zerlegt: Qualifizierung, Chancen, Gesetz. Es ist eine Maßnahme der Agentur für Arbeit, die die Weiterbildung fördert. Das kann zum Beispiel in Form einer Ausbildung geschehen. Zielgruppe sind hier nicht die Schulabgänger, sondern ältere Menschen, die in Hilfsjobs arbeiten und keinen Berufsabschluss haben – oder solche, die längere Zeit nicht mehr im Beruf waren und sich neu orientieren wollen. Es ist also eine Art Senior-Ausbildung für Quereinsteiger.
Im Bezirk der Arbeitsagentur Mayen-Koblenz, der die Landkreise Mayen-Koblenz, Cochem-Zell und Stadt Koblenz sowie den Landkreis Ahrweiler umfasst, nehmen aktuell 107 Frauen und Männer an einer geförderten Weiterbildung zur Pflegefachkraft teil. Diese staatlich anerkannte Ausbildung dauert drei Jahre und wird in hohem Maße bezuschusst.

Sarah Kohlhaas ist bei der Arbeitsagentur MYK zuständig für die Umsetzung der Maßnahmen. Sie sagt im Gespräch mit unserer Zeitung: „Eine solche Qualifizierung ist eine Win-Win-Situation, sowohl Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen als auch Arbeitgebende profitieren gleichermaßen. Dem Arbeitnehmer wird eine Weiterbildung ermöglicht, die er sich aus finanziellen Gründen ohne eine Förderung nicht erlauben könnte, da er auf sein Gehalt angewiesen ist. Denn während der Qualifizierung erhält der Arbeitnehmer weiterhin sein bisheriges Gehalt. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit, aus seinem eigenen Mitarbeiterstamm auszuwählen. Der große Vorteil hierbei ist, dass er den Mitarbeiter schon kennt und ihn nach der Weiterbildung bedarfsgerecht im Unternehmen einsetzen kann.“
„Ein klassisches Beispiel für eine fehlende Ausbildung bei Frauen ist tatsächlich eine frühe Mutterschaft.“
Sarah Kohlhaas von der Agentur für Arbeit im Kreis Mayen-Koblenz
Ein Großteil der Förderungen kommt aktuell dem Pflegebereich zugute. Da ist der Mangel an Fachkräften besonders groß. Auf der einen Seite gibt es Menschen, die als ungelernte Kraft arbeiten und sich nun über eine entsprechende Ausbildung qualifizieren können und möchten. Diese Personen haben oft gemeinsam, dass sie Brüche in der Erwerbsbiografie aufweisen. Sarah Kohlhaas sagt: „Ein klassisches Beispiel für eine fehlende Ausbildung bei Frauen ist tatsächlich eine frühe Mutterschaft, die dann dazu geführt hat, dass eine Ausbildung nicht angetreten oder abgebrochen wurde. Oftmals sind aber auch finanzielle Gründe die Ursache dafür, dass Schulabgänger nicht die Berufsausbildung gewählt haben, sondern in Helferjobs gelandet sind.“ Das schnelle Geld war überzeugender als die dreijährige Lehrzeit.
Doch die Gefahr, irgendwann in der Arbeitslosigkeit zu landen, ist für Ungelernte besonders groß. Betrachtet man die Arbeitslosenquote im Jahr 2024, so lag sie in Rheinland-Pfalz bei 5,3 Prozent. Die Arbeitslosenquote für Personen ohne abgeschlossene Berufsausbildung betrug 17,4 Prozent, die der Personen mit abgeschlossener Berufsausbildung lediglich 2,9 Prozent.

Mit Mitte 40 noch mal Lehrling
Katja Becker hat mithilfe der Senior-Ausbildung bei dem Bäckereiunternehmen Lohners ihren beruflichen Traum verwirklicht. Mit Mitte 40 hat sie eine zweite Lehre begonnen und ist jetzt Fachverkäuferin – und Mutmacherin.
Sarah Kohlhaas erklärt: „Die Maßnahme umfasst zum einen die Förderung der beruflichen Weiterbildung für den Arbeitnehmer. Die Übernahme der Maßnahmekosten an sich, aber auch zusätzliche Fahrt- und Kinderbetreuungskosten sowie eventuelle Kosten für auswärtige Unterkunft und Verpflegung können übernommen werden. Wichtig ist, dass dem Beschäftigten keinerlei finanzielle Nachteile entstehen. Auf der Arbeitgeberseite besteht die Möglichkeit, einen Arbeitsentgeltzuschuss zu beantragen um den Arbeitsausfall finanziell auszugleichen, erstattet wird dieser allerdings in Teilen, und die Betriebsgröße wird bei der Höhe berücksichtigt.“
Die Lohners machen gute Erfahrungen
Sehr gute Erfahrungen mit dieser Fördermaßnahme macht die Firma Lohner. Dort sind es aktuell 16 Frauen, die an einer zweijährigen Ausbildung zur Fachverkäuferin im Lebensmittelhandwerk (Bäckerei) teilnehmen. Aus unterschiedlichen Gründen haben sie keine reguläre Ausbildung absolviert oder wollen nach der Elternzeit nicht mehr in ihrem ursprünglichen Beruf arbeiten. Statt dauerhaft als Ungelernte (wenig) Geld zu verdienen, qualifizieren sie sich weiter – und sichern sich mit perspektivisch mehr Gehalt ihre Lebensgrundlage. „Einige unserer Absolventinnen aus dem letzten Jahr haben inzwischen schon Positionen als Filialleitung oder stellvertretende Filialleitung inne“, freut sich Jeanette Kutsche-Bengel, Personalentwicklerin bei Lohners. Für eine zweite Karriere ist es also nie zu spät.