Am Welthirntumortag hat Nicolas Cordes aus Hausten-Morswiesen mit dem rheinland-pfälzischen Gesundheitsminister Clemens Hoch (SPD) ein Video in sozialen Netzwerken veröffentlicht, um ein Zeichen zu setzen für Betroffene. Denn der 35-jährige Cordes – inzwischen zweifacher Familienvater – war selbst Gangliogliom-Patient. Mit unserer Zeitung spricht er über die Diagnose, die sein Leben dramatisch verändert hat. Cordes ist Lehrbeauftragter an der Universität Koblenz, Lehrer an der Realschule plus in Mayen und künftiger SPD-Kandidat für die rheinland-pfälzische Landtagswahl im Wahlkreis 12.

Herr Cordes, wie wurde Ihre Erkrankung festgestellt?
Es war ein Zufallsbefund. Nach zwei Wochen Kopfschmerzen schickte mich meine Hausärztin am 3. November 2021 ins MRT – sie dachte an Corona-Spätfolgen. Als ich dann hörte, wie der Radiologe Kollegen hinzuzog und Wörter wie Tumor fielen, wurde ich nervös. Dann die Gewissheit: ein erbsengroßer Tumor mitten im Gehirn. Ich war schockiert. Auf dem Parkplatz informierte ich meine Eltern, später meine Frau Bianca – sie hatte einst ihrem Bruder das Leben durch eine Stammzellspende gerettet. Sie war also gebrandmarkt. Das Wort Tumor bedeutete für mich: Ich werde sterben, meine Frau und unsere kleine Tochter allein zurücklassen. Dieses Gefühl verfolgte mich lange.
Wie haben Sie die Operation und deren Auswirkungen erlebt?
Ich sollte am 20. Dezember 2021 im Bundeswehrzentralkrankenhaus operiert werden, aber ein Corona-Notfall blockierte das Bett – die OP verschob sich auf den 21. Dezember. Der Flottenarzt im BwZK, dem ich mein Leben verdanke, ist ein Held für mich. Ihm habe ich mein ganzes Vertrauen geschenkt. Nach der Operation konnte ich zunächst nicht sprechen, lesen oder gehen. Doch ich wurde sofort gefordert. Chemo oder Bestrahlung waren nicht nötig, da der erbsengroße Tumor komplett entfernt werden konnte. Die Schmerzen und die Erschöpfung blieben lange, ebenso die Empfindlichkeit gegenüber Licht, Geräuschen und Bewegung. Panikattacken kamen nach einem Jahr dazu.

Wie wichtig war Ihnen die Unterstützung Ihrer Familie?
Ohne meine Frau, meine Eltern und Schwiegereltern hätte ich es nicht geschafft. Bianca hielt den Alltag am Laufen, kümmerte sich um Kind, Haushalt, mich – ein Jahr lang quasi alleinerziehend. Freunde, Kollegen, Schüler und stellvertretend für viele meiner Freunde, Benjamin Bajraktari, unterstützten uns mit Nachrichten, Hilfe, Verständnis. Ich konnte mich so auf meine Genesung konzentrieren.
Gab es Momente, an denen Sie an Ihrer Genesung gezweifelt haben und verzweifelt waren?
Nein. Ich ordnete alles einer positiven Einstellung unter. Nur zweimal habe ich wirklich geweint: bei der Diagnose und beim Abschied von meiner Frau und Tochter vor der OP. Nach der ersten positiven Verlaufskontrolle am 21. März 2022 flossen Freudentränen. Körperlich brauchte ich Zeit, geistig war ich durchgehend wach und fokussiert.

Wie haben Sie die Wiederaufnahme eines geregelten Alltags, die Rückkehr in die Schule, die Teilnahme am sozialen und ehrenamtlichen Leben und auch Ihre weitere Familienplanung erlebt?
Ich kehrte im April 2022 zurück – rückblickend zu früh. Ich wollte wieder dazugehören, Vater sein, unterrichten. Dann neue Rückschläge: Schwarzer Hautkrebs neben der OP-Narbe und eine Kieferzyste. Alles wurde entfernt. Doch mein Anspruch an mich selbst war zu hoch. Ohne Therapie – 22 Sitzungen bei einer großartigen Therapeutin – wäre ich kollabiert. Diagnose: Anpassungsstörung, Depression, Trauma. Ich musste lernen, Gefühle zuzulassen und meine Einschränkungen zu akzeptieren. In dieser Zeit kam auch nicht immer meine beste Seite zum Vorschein – aber ich arbeitete an mir. Ein Wendepunkt war die Geburt unserer zweiten Tochter Leni am 5. März 2023. Sie hat uns allen neue Kraft gegeben.

Woraus schöpfen Sie vor allem Kraft?
Aus meiner Familie und meinen Kindern. Ich bringe sie fast täglich in die Kita, genieße bewusste Zeit mit ihnen. Bianca ist meine Stütze – sie organisiert unser Leben. Ich bin strukturiert, zielstrebig und will gestalten. Ich habe das große Glück, dass meine Wegbegleiter wirklich tolle Menschen sind, mich fördern und fordern. Das ist, was ich brauche und will. Aber es ist auch wirklich mein Naturell. Ich habe den Willen, Zukunft zu gestalten und meinen Verpflichtungen in besonderem Maße nachzugehen. Manche fragen, wie ich mit einem Grad der Behinderung von 60 so aktiv sein kann. Aber ich rechtfertige mich nicht mehr. Ich tue, was mir möglich ist – und was mir wichtig ist.
Welchen Ratschlag würden Sie anderen Betroffenen und deren Angehörigen geben?
So offen wie möglich mit der Erkrankung umgehen – damit andere verstehen. Rückhalt suchen, Entscheidungen gemeinsam treffen und sich fragen: Was will ich wirklich? Und niemals aufgeben. Never give up. Hoffnung ist der Schlüssel.