Immerhin: Gleich zu Beginn konnte Hütten eine gute Nachricht verkünden: Rechnete man kurz vor der Sitzung noch mit einem Minus in Höhe von rund 7,5 Millionen Euro, konnte man letztendlich einen Haushalt mit einem Fehlbetrag von „nur“ 6,9 Millionen Euro beraten und einstimmig beschließen.Dies ermöglichen Fördergelder des Landes im Zuge des kommunalen Investitionsprogramms Klima und Innovation, kurz Kipki genannt. Über diese Förderung kann die Stadt unter anderem die Kosten für die Umrüstung der Straßenlaternen auf LED-Technologie finanzieren. Ein kommunaler Eigenanteil fällt nicht an.
Dass man nichtsdestotrotz mit einem dicken Minus im Haushalt leben müsse, sei nicht Verwaltung oder Rat anzulasten, führte Hütten weiter aus: „Wir haben mit den 6,9 Millionen Euro nichts Unvernünftiges getan.“ Neben den hohen Energiekosten belastet unter anderem auch die Übernahme dreier Kitas aus kirchlicher Trägerschaft durch die Stadt verbunden mit den entsprechenden Personalkosten die Finanzen. Außerdem schlage allein die im Zuge des neuen kommunalen Finanzausgleichs gestiegene Kreisumlage mit 1,7 Millionen Euro zu Buche.
Haushaltsgenehmigung ungewiss
Bezüglich einer möglichen Ablehnung des Haushalts durch die Aufsichtsbehörde nehme man eine abwartende Haltung ein: „Viele Kommunen werden das auf sich zukommen lassen“, erklärte Hütten. Er wünsche seinem Nachfolger Christian Greiner, der die Haushaltsrede ein letztes Mal als einfaches FWG-Ratsmitglied verfolgte, jedenfalls bessere Zahlen.
Bei dem nun vorgelegten Haushalt gebe es nichts zu beschönigen, erklärte auch CDU-Fraktionsvorsitzender Gerhard Masberg: „Wir stehen mit dem Rücken zur Wand.“ Land und Bund müssten nun dafür sorgen, die Kommunen finanziell zu entlasten. Beispielsweise dürften die Feuerwehren in Kernstadt und Stadtteilen nicht unter den Sparmaßnahmen leiden. Auch die Investitionen in den Klimaschutz seien dringend notwendig: „Wir wollen uns auf dem Weg zur autarken Stadt bewegen.“
Radwegenetz soll Priorität behalten
SPD-Fraktionsvorsitzender Jens Groh sieht das Millionendefizit ebenfalls als Folge erheblich gestiegener Aufwendungen, nicht zuletzt im Zuge der Energiekrise. Man habe versucht, den Fehlbetrag zu verringern, etwa indem man die Mittel für den Ausbau des Radwegenetzes auf 200.000 Euro kürzte. Von dem Vorhaben an sich, werde man sich allerdings nicht verabschieden: „Wir wollen weiterhin die Lücken im Radwegenetz schließen.“
Bezüglich des geplanten neuen Stadtmuseums Culinacum am Runden Turm müsse man in der angespannten finanziellen Lage die Kostenentwicklung genau im Blick behalten, mahnte Groh an. Im Hinblick auf die Neubebauung der Grundstücke an der Hochstraße habe man einen Wunsch: „Es würde uns freuen, wenn dort auch Wohnraum für sozial Schwache entsteht.“
Energiewende als wichtigstes Thema
Mit dem Culinacum gewinne Andernach ein weiteres Alleinstellungsmerkmal, ist FWG-Fraktionsvorsitzender Hartmut Dressel überzeugt. In Zeiten, in denen die kommunale Selbstverwaltung auf dem Spiel stehe, halte man ansonsten an der Devise fest: „An Schulen und Kitas wird nicht gespart.“ Man übernehme als Kommune gern die Trägerschaft der vormals kirchlichen Kitas, um eine gute Betreuung zu ermöglichen. Als wichtigstes Thema bezeichnete Dressel die Energiewende. Er sprach sich dafür aus, die Windenergie, mit der sich in Andernach Strom für 60.000 Bürger erzeugen ließe, als Übergangstechnologie zu nutzen.
Grünen-Fraktionsvorsitzender Christoph Henrichsen zog in seiner Haushaltsrede eine positive Bilanz der Ratsbeschlüsse vergangener Monate in Bezug auf erneuerbare Energien und Mobilität: „Wir haben Tempo 30 für die Innenstadt beschlossen und schnell umgesetzt. Das erleichtert den Fuß- und Radverkehr.“
Großes Lob für scheidenden OB
Der kommende Oberbürgermeister Christian Greiner werde es schwer haben, die in ihn gesetzten Erwartungen zu erfüllen, da Achim Hütten die Latte hoch gelegt habe, führte er weiter aus. Einem Stadtchef Hütten habe man die Parteizugehörigkeit nie angemerkt, er habe die Verwaltung aus der Politik rausgehalten, und er verfüge über ein unnachahmliches Talent, Kompromisse zu schmieden: „Auch die, die nur einen Blumentopf gewannen, konnten sich als Sieger fühlen.“
FDP-Ratsmitglied Judith Lehnigk-Emden entwarf in ihrer Haushaltsrede die Vision einer Stadt als grünes Wohnzimmer: „In Anbetracht stark steigender Temperaturen in den Sommermonaten ist hier ein Umdenken erforderlich.“ So solle man sich beispielsweise dafür einsetzen, Gehwege, Fußgängerzonen und auch Fassaden zu begrünen, was sich positiv aufs Mikroklima auswirke. Auch in Sachen Verkehrswende könne man noch mehr tun, etwa mit der Ausweisung von Fahrradstraßen. Eine solche könnte beispielsweise zwischen Johannisplatz und Wasserturm eingerichtet werden, wenn man den Abschnitt für Pkw als Einbahnstraße ausweise.
AfD-Äußerungen sorgen für Eklat
AfD-Fraktionsvorsitzender Martin Esser sprach sich entschieden gegen Windenergieanlagen in Andernach aus, weil diese „unser Landschaftsbild nachhaltig negativ beeinflussen“. Er wünsche sich, dass auf den geplanten Wohnflächen am Runden Turm Wohnungen für junge Familien entstehen, erklärte er, bevor er zu einer Abrechnung mit den Corona-Maßnahmen ansetzte. Diese seien das Ergebnis einer „Massenhysterie“ gewesen. Friedliche Bürger seien durch das auch in Andernach zeitweise geltende Versammlungsverbot drangsaliert worden. Er fühle sich dadurch an die „dunkelsten Zeiten der deutschen Geschichte“ erinnert.
Diese Äußerungen riefen lautstarken Protest aller übrigen in dem Gremium vertretenden Fraktionen hervor. Auch OB Hütten wies Essers Aussagen entschieden zurück. Das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte sei die nationalsozialistische Herrschaft gewesen, die Millionen Juden das Leben kostete und in einen Krieg mit 50 Millionen Toten mündete: „Ihre Vergleiche gehören hier nicht hin und sind falsch.“