Die Erkrankung ME/CFS ist bereits seit 1969 durch die Weltgesundheitsorganisation (WHO) anerkannt, aber bis heute kaum erforscht und selbst in Medizinerkreisen weitgehend unbekannt. Das führt für Betroffene häufig zu einem langen Leidensweg. Christian Schweden aus Kollig sagt: „Ich kenne die alltäglichen Einschränkungen und das Martyrium bis zur Diagnose nur zu gut. Und genauso wie viele andere Patienten stehe ich vor dem Problem, gleichzeitig auf meinen Körper zu achten und meine Belastungsgrenze nicht zu überschreiten, auf der anderen Seite aber irgendwie auch im Leben weiterzumachen und nicht zuletzt auch finanziell irgendwie über die Runden zu kommen.“

Christian Schweden, Gründer der Seifenmanufaktur Kingbear, erkrankte im Dezember 2022 an Corona – trotz Impfung, trotz Maske, trotz Abstand. Die Fieberschübe kehrten in den Monaten danach immer wieder zurück, er fühlte sich mehr krank als gesund. Nach einer ausführlichen Diagnostik in einer Long-Covid-Ambulanz folgte im Oktober 2024 dann die Diagnose: ME/CFS. Dabei handelt es sich um eine schwere neuroimmunologische Erkrankung: myalgische Enzephalomyelitis/chronisches Fatigue-Syndrom.
In Deutschland wurde die Zahl ME/CFS-Betroffener vor der Covid-19-Pandemie auf etwa 250.000 geschätzt. Experten gehen davon aus, dass sich die Zahl der Erkrankten durch Corona verdoppelt hat. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung verzeichnete einen Anstieg der Behandlungsfälle mit ME/CFS auf 620.000 im Jahr 2023.

ME/CFS-Betroffene leiden neben einer schweren körperlichen Schwäche (Fatigue) unter Schwindel, Herzrasen, Blutdruckschwankungen, Schlafstörungen, Konzentrationsproblemen, Muskelschmerzen und grippeähnlichen Symptomen. Schon bei geringer körperlicher oder geistiger Anstrengung verstärken sich die Symptome. Kleine Aktivitäten wie Zähneputzen, Duschen oder Kochen können zur Tortur werden, ein Einkauf im Supermarkt kann zu tagelanger Bettruhe zwingen.
„Meist gegen 4 Uhr haut es mich aus dem Bett. Die Schmerzmittel wirken dann nicht mehr, und in Ruhe sind die Muskelschmerzen echt garstig.“
So beschreibt Christian Schweden die Nächte mit ME/CFS.
Christian Schweden kennt das alles. Er beschreibt seinen Alltag, den er auch in Blog-Beiträgen auf der Homepage von Kingbear veröffentlicht, so: „ Der Tag startet früh. Extrem früh, denn die Nächte sind krankheitsbedingt unruhig. Meist gegen 4 haut es mich aus dem Bett. Die Schmerzmittel wirken dann nicht mehr, und in Ruhe sind die Muskelschmerzen echt garstig. Also Aufstehen und erst mal Kaffee. Der Körper will dann noch nicht so richtig: In den Armen und Beinen ist kaum genug Kraft für den Weg in die Küche, ich gehe balancierend-schwankend wie eine Ente. Auch das Hirn ist noch im Überlebensmodus und folgt festen Abläufen, die auf gar keinen Fall irgendwie gestört werden dürfen: Jeder Weg ist geplant, um möglichst keine Energie zu verschwenden. Steht die Milch mal nicht am richtigen Platz, wird es schwierig, schlimmstenfalls muss ich dann alles andere abbrechen. Denn: Zum Entwickeln von Alternativstrategien ist das Hirn in diesem Zustand unfähig.

Nach einer guten Stunde ist zumindest der Kopf im Betriebsmodus, und das bisschen Bewegung hat die Schmerzen erträglich gemacht. Zwischen 5 und 7 scheint mein Hirn zu Höchstleistungen fähig, das ist dann die Zeit für Büroarbeit und Konzentration. Auch, weil die bessere Hälfte dann noch im Bett liegt und ich absolut ungestört bin, denn Störungen bleiben ein Problem.
Es folgt die erste Mega-Anstrengung des Tages: duschen und anziehen. Die heiße Dusche tut den Muskeln gut, und die Schmerzen machen sich klein, aber gleichzeitig ist das furchtbar anstrengend. Oft genug muss ich mich nass erst mal zwei Minuten ausruhen, um wieder Kraft zum Abtrocknen zu haben. Mit Glück reicht die Kraft dann noch aus, um den Föhn anzuheben. Spätestens danach müssen aber erst mal 20 Minuten die Beine hoch, um Energie zu tanken. Denn: Anziehen ist Akrobatik. Arme rauf und runter, Beine hoch und in die Hose, Bücken, um Socken anzuziehen – mir war vorher gar nicht bewusst, wie viel Anstrengung das erfordern kann. Fertig bekleidet bin ich erst mal eine halbe Stunde komplett im Eimer und muss mich hinlegen.

Am Morgen will der Körper nicht. Die Belastungsgrenze liegt extrem niedrig, schon ein paar Schritte in der Wohnung können zu viel sein. Immerhin aber funktioniert der Kopf dank diverser Medikamente morgens so gut, dass alles Administrative für mich persönlich und für die Firma dann erledigt werden kann. Verbale Kommunikation wie Gesprächstermine oder Telefonate sind aber nach wie vor Killer: Mehr als ein Gespräch am Tag ist nicht drin, es sei denn ich streiche alles andere. Ich erledige deshalb immer mehr per E-Mail und schalte andere Kommunikationskanäle währenddessen stumm. Noch viel mehr als zuvor hasse ich Sprachnachrichten, denn die muss ich mir mangels emotionalem Kontext zehnmal anhören und mir Notizen machen, um alles zu erfassen. Im Telefonat hätte ich zumindest die Chance zu bremsen oder nachzufragen …
Ganz wichtig am Morgen ist die Planung des restlichen Tages. Gegen Mittag kann ich mittlerweile einigermaßen gut einschätzen, wie voll der Akku noch ist. Und für die Nachmittagsaufgaben gibt es eine Bucket List, aus der mich mir dann das herauspicke, was im Kräfte-Budget drin ist. Der Plan beinhaltet dann auch entsprechend viele Pausen, denn ohne die fliegt mir alles um die Ohren.“

Nachmittags macht Christian Schweden etwas, was ihm vor einem Jahr noch peinlich gewesen wäre: ein Mittagsschläfchen. Beine hoch, Zimmer dunkel, Stille. „Ohne das geht es nicht, sonst wäre der Tag um spätestens 14 Uhr zu Ende.“ An einem normalen Nachmittag erledigt er Aufgaben f ür Kingbear und Alltagskram. „Das gibt bei allem Elend so etwas wie Zufriedenheit.“ Mittlerweile könne er auch Hilfe annehmen. „Mein Mann hilft so viel wie möglich, Freunde springen auch mal spontan ein, und die Schwiegermutter steht immer zur Seite, wenn’s mal brennt.“
„Mein Radius ist sehr begrenzt – 500 Meter sind die Vernunftsgrenze, denn ich muss ja auch wieder irgendwie zurück.“
So beschreibt Christian Schweden die Spaziergänge mit seinem Hund.
Den späten Nachmittag beschreibt der 46-Jährige so: „Ich gönne mir und dem Hund einen kleinen Spaziergang. Mein Radius ist aber sehr begrenzt – 500 Meter sind die Vernunftsgrenze, denn ich muss ja auch wieder irgendwie zurück. Das Ganze passiert im Schneckentempo, aber es passiert. Hin und wieder lasse ich mich dazu verleiten, etwas weiter zu gehen. Ganz selten geht das auch, führt aber spätestens am Folgetag zum Mini-Crash. Irgendwann am späten Nachmittag kommt dann mein Mann nach Hause und ist dann mit einem unkommunikativen und geistig abwesenden Etwas konfrontiert. Zum Glück fängt sich das dann wieder ein wenig und ermöglicht uns ein Zusammensein.“ Aber klar ist: Große Sprünge gehen am Abend nicht mehr.

Sanfte Seifen für kernige Kerle
Seife ist das meist benutzte Mittel zur Körperpflege, enthält aber oft synthetische Duftstoffe und überflüssige Chemie. In der Maifeldgemeinde Kollig stellt Christian Schweden Naturseifen her. Was macht den Unterschied aus?
Nach dem Essen macht er seine Schmerzbehandlung mit Cannabis-Extrakt. „Das ist ein Segen“, sagt er. „Vorher wurden meine Muskelschmerzen besonders im Liegen derart heftig, dass an Schlaf nicht zu denken war. Nun sind die Schmerzen nachts kein Thema mehr – und das ohne viele Nebenwirkungen.“ Zugelassene Medikamente gegen die Erkrankung gebe es in Deutschland nicht, kritisiert er. „Unser Sozialsystem kapituliert vollständig vor ME/CFS. Krankenkassen, Rentenversicherung, Behörden und Ärzte sind nicht nur absolut überfordert oder uninformiert, es entsteht auch der Eindruck, dass sie die Existenz der Krankheit nach wie vor leugnen und Unterstützung aktiv verweigern, nur um mich als Betroffenen dem nächsten Kostenträger in der Kette zuzuspielen“. Es sei nicht leicht, „in all dem Wahnsinn auch noch Sinn für Positives zu behalten und sich zum Weitermachen zu motivieren. Aber noch gelingt es irgendwie“.