Die Unternehmer nutzen einen Vormittag lang die gemeinsame Veranstaltung der Handwerkskammer (HwK) und der Industrie- und Handelskammer (IHK) Koblenz sowie der Agentur für Arbeit Koblenz-Mayen, um Schülern eine Möglichkeit der Berufsorientierung zu bieten.
Karriere ist gut ohne Studium möglich
Die Vertreter der Betriebe – etwa aus den Bereichen Produktion, Handel, Handwerk, Verwaltung, IT, Pflege, Hotellerie und Gastronomie, Tourismus und Versicherung, Bundeswehr und Polizei – freuen sich über jeden jungen Menschen, der sich am Stand beraten lässt. Aber zumindest am Morgen bleibt der Ansturm der erwarteten künftigen Azubis noch aus. „Wir haben alle Schulen angeschrieben und die Schülerinnen und Schüler eingeladen“, versichert Annica Pirrung, IHK-Team Fachkräftesicherung und Berufsorientierung. Sie hofft, dass möglichst viele Jugendliche die Azubi-Messe nutzen, um sich über ihren Berufswunsch klar zu werden. Pirrung erklärt: „Es ist nicht einfach, denn das Angebot an neuen Berufen ist sehr groß.“
Die große Vielfalt an sehr interessanten Berufsbildern hält Martin Neudecker, IHK-Regionalgeschäftsführer, für einen Vorteil. „Zugleich wissen wir jedoch, dass viele Jugendliche diese tollen Berufe gar nicht kennen. Da hilft eben nur, dass wir präsent sind und ständig informieren.“ Neudecker beklagt, dass im Radius von etwa 20 Kilometern rund um Mayen für dieses Jahr noch 143 freie Ausbildungsplätze für 78 verschiedene Berufe zu vergeben sind. Der IHK-Geschäftsführer setzt zudem auf die duale Ausbildung, die nicht zwingend das Abitur voraussetzt, aber dennoch alle Weiterbildungschancen bis zu einem Studium bietet: „Das sollten Eltern bedenken und ihr Kind nicht zum Abitur drängen, wenn es sich damit schwertut.“
Ausbildung hat finanzielle Vorteile
Dieser Meinung ist auch Stefan Hörsch, HwK-Ausbildungsberater: „Eine fundierte Ausbildung im Handwerk bietet nicht nur alle Chancen der Weiterqualifizierung, sondern ist für Azubis von Beginn an auch finanziell von Vorteil.“ Die Azubi-Messe hält Hörsch für eine sehr wichtige Veranstaltung, um bislang nicht genutzte Ausbildungsstellen doch noch zu besetzen. Denn nur mit gut ausgebildeten jungen Menschen könne man dem Fachkräftemangel entgegenwirken.
Betriebe im Sanitär-, Heizungs- und Klimahandwerk (SHK) böten Ausbildungen in Berufen mit Zukunft an, erklärt Tom Lorenz. Er sagt: „Das sind interessante Berufe, die den Klimaschutz voranbringen, das Thema unserer Zeit.“ Auch das SHK-Unternehmen Lorenz in Thür wünscht sich mehr Bewerbungen für Ausbildungsplätze. Ebenso hat der Bereich Bauen im sensiblen Industriebestand noch Lehrstellen zu vergeben. So vermisst Michelle Schmidt, Firma Augel Weibern, mehr Interesse von Jugendlichen: „Von sechs Ausbildungsplätzen ist bislang nur einer vergeben.“ Auch sie beklagt, dass viele Menschen die Chancen einer dualen Ausbildung noch nicht erkennen.
Grisson lockt mit süßem Gebäck
Mit süßen Keksen sollen die künftigen Azubis an den Stand der Firma Grisson gelockt werden. Das sei kein Scherz, versichert ein Mitarbeiter: „Besonders die Mädchen, die gern backen, interessieren sich dafür, wie die Produktion von Gebäck im großen Stil von sich geht.“ Dabei erfahren sie dann, dass die Lebensmitteltechnik sehr viel vielfältiger ist als das Backen im heimischen Backofen und für Azubis Karrierechancen bereithält. Grisson bietet Einstiegsmöglichkeiten nicht nur für Fachkräfte im Lebensmittel- oder Süßwarenbereich an, sondern auch für Industriekaufleute, Fachinformatiker, Maschinen- und Anlagenführer oder Elektroniker, selbstverständlich für Männer und Frauen.
Um herauszufinden, welcher Beruf für einen selbst geeignet ist, empfehlen die Betriebe Schülern, Praktika in unterschiedlichen Bereichen zu machen. Alle von der Rhein-Zeitung befragten Unternehmen, ob Handwerksbetrieb, Verwaltung oder Handel, sind davon überzeugt, dass Praktika die Entscheidung für einen Beruf leichter machen. Jedes Ausbildungsunternehmen hält daher Praktikumsplätze vor.
Langweilige Amtsstube ist Schnee von gestern
Am Stand der Stadtverwaltung Mayen erfahren Schulabgänger, dass sie gewisse Vorurteile über die Arbeit in einer „Amtsstube“ getrost vergessen können. Ein BWL-Student sagt: „Viele glauben, dass die Arbeit in einer Verwaltung ein eintöniger, langweiliger Bürojob ist.“ Dass der Einstieg bei der Verwaltung vielmehr eine Karriere in verschiedenen Bereichen bis hin zum Studium ermöglicht, hat der Student bereits beim Jahrespraktikum erfahren.
Traumberuf als Kind: Dachdeckerin
Dass Frauen heutzutage auch in sogenannte Männerberufe einsteigen können, findet Dachdeckermeisterin Sarah Darscheid selbstverständlich. Die junge Frau zog es bereits als Elfjährige aufs Dach des Elternhauses. Dort habe sie einem Dachdecker bei der Arbeit geholfen, erzählt sie. Sie hofft, dass sich der Anteil der Dachdeckerinnen erhöht, der in Rheinland-Pfalz bei rund 6 Prozent liegt. Sarah Darscheid fühlt sich bei der Arbeit von den Kollegen akzeptiert, stellt aber auch fest: „Leider reicht es oft nicht, genauso gut zu sein wie die Männer. Anerkannt werden Frauen meist nur, wenn sie besser sind.“
Noch viele Ausbildungsplätze unbesetzt
Im aktuellen Ausbildungsjahr gibt es im Arbeitsagenturbezirk Koblenz-Mayen 2844 freie Ausbildungsplätze. Davon sind bislang noch 1685 Stellen unbesetzt. Dem gegenüber stehen 1973 junge Menschen, die eine Ausbildung anstreben, davon sind noch 1067 Bewerber unversorgt. Diese Zahlen beziehen sich auf den Agenturbezirk, der die Stadt Koblenz und die Landkreise Mayen-Koblenz, Cochem-Zell und Ahrweiler umfasst. Bezogen auf den Kreis Mayen-Koblenz gibt es 870 gemeldete Ausbildungsstellen, wovon 560 unbesetzt sind. Von 724 Bewerbern sind noch 391 unversorgt. Das teilt die Agentur für Arbeit Koblenz-Mayen mit.