Es waren andere Zeiten, als die Andernacher Stadtbücherei am 7. Mai 1950 ihre Pforten öffnete: Im kleinen Sitzungssaal des Historischen Rathauses standen damals 2500 Bände zur Ausleihe bereit. Wer wissen wollte, ob ein bestimmtes Buch vorhanden war, konnte in den ersten Jahrzehnten nach der Gründung auf einen handschriftlich geführten Zettelkatalog zurückgreifen. 75 Jahre später stehen den Besuchern rund 45.000 Medien zur Verfügung – neben Büchern, Zeitschriften, DVDs und CDs auch die bei Kindern beliebten Tonie-Figuren, die Hörspiele abspielen, wenn man sie auf einer speziellen Box platziert.
Mit einem großen Büchereifest feiert das Büchereiteam am Samstag, 10. Mai, ab 10 Uhr das 75-jährige Bestehen. Den ganzen Tag über können Erwachsene und Kinder bei freiem Eintritt und zahlreichen Aktionen die Stadtbücherei, die seit 1990 in dem lichtdurchfluteten Anbau an das Historische Rathaus ansässig ist, kennenlernen. Unsere Zeitung blickt gemeinsam mit Bürgermeister Claus Peitz, der Leiterin des Kulturamts, Charlotte Everling, und Büchereileiter Frank Merken zurück auf die bewegte Geschichte einer besonderen Kultureinrichtung.
Ausleihe kostete zwei Groschen
Der Beschluss, nach dem Zweiten Weltkrieg eine Stadtbücherei zu gründen, stand im Zusammenhang mit der damaligen Volksbildungsbewegung, berichtet Merken. In Andernach wurde im selben Jahr auch eine Volkshochschule eingerichtet. Bürgermeister Peitz erinnert sich noch an die alten Räumlichkeiten der Stadtbücherei, die in den 60er- und 70er-Jahren jeweils erweitert wurden. Die Ausleihe kostete zwei Groschen, die Bände des berühmtesten Sohns der Stadt, Charles Bukowski, bewahrte die damalige Leiterin Paula Hoffmann noch in einem separaten „Giftschrank“ auf.
Mitte der 80er-Jahre fasste die Stadt unter dem damaligen Oberbürgermeister Gerold Küffmann den Beschluss, einen Anbau ans Historische Rathaus zu errichten, der der Stadtbücherei deutlich mehr Raum als zuvor verschaffte. Ein großer Verfechter dieser Erweiterung war der Andernacher CDU-Politiker Alfons Lauermann, der sich auch dafür starkmachte, Kindern einen kostenlosen Zugang zur Bücherei zu ermöglichen, was 1988 umgesetzt wurde.
„Die Andernacher Stadtbücherei gehört zu den schönsten im Land.“
Bürgermeister Claus Peitz
Nachdem die Stadtbücherei ab 1987 übergangsweise in einem ehemaligen Supermarkt auf dem Marktplatz untergebracht war, erfolgte 1990 der Umzug in den Anbau an das Historische Rathaus. Im selben Jahr trat Wolfram Mayer seinen Dienst als Leiter der Stadtbücherei an, der die Geschicke der Einrichtung fast 30 Jahre lang lenkte. Mit ihm an der Spitze schloss sich die Andernacher Stadtbücherei im Jahr 2011 als eine der ersten Büchereien im Land der Onleihe Rheinland-Pfalz an, über die die Benutzer Zugriff auf mehr als 100.000 elektronische Medien haben.
Bis heute erfreut sich die Andernacher Stadtbücherei, die seit Ende 2019 von Frank Merken geleitet wird, wachsender Beliebtheit: 41.854 Besucher registrierte die Einrichtung im vergangenen Jahr, das waren 5,4 Prozent mehr als im Vorjahr. Inklusive Onleihe liehen die Nutzer 2024 insgesamt 115.443 Medien aus, was einer Steigerung von 9,7 Prozent entspricht. „Die Andernacher Stadtbücherei gehört zu den schönsten im Land“, ist Bürgermeister Peitz mit Blick auf den mit zahlreichen Pflanzen gestalteten Lesegarten überzeugt.

Die rund 30 über verschiedene Ebenen der Bücherei verteilten Arbeitsplätze sind besonders bei Jugendlichen beliebt, die sich dort zum gemeinsamen Lernen treffen, hat Merken beobachtet. Die Einrichtung geht mit der Zeit und bietet ein abwechslungsreiches Veranstaltungsprogramm an. In den vergangenen Jahren habe man insbesondere die Zusammenarbeit mit den Kitas in der Stadt intensiviert, berichtet der Büchereileiter: „Man muss in den frühen Jahren was machen, sonst ist es zu spät.“
Während die Besucherzahlen steigen, gibt es in der Stadtbücherei auch einen gegenläufigen Trend, erklärt Kulturamtsleiterin Everling: „Die Zahl der Medien sinkt.“ Eigentlich müsste man die Bestände noch deutlich mehr ausdünnen, fügt Merken hinzu. Die Onlinerecherche hat einst als unverzichtbar geltende Nachschlagewerke wie den Brockhaus längst überflüssig gemacht. „Wir gehen mit dem Wandel der Zeit mit“, betont Peitz.
Stadt gibt jährlich sechsstelligen Betrag für Bücherei aus
Über die Jahrzehnte hinweg habe es in der Kommunalpolitik dabei stets einen starken Konsens für die Stadtbücherei gegeben, deren Betrieb nicht zu den Pflichtaufgaben der Kommune zählt. Die Stadt gibt jährlich freiwillig einen mittleren sechsstelligen Betrag für die Bücherei aus. Diese Art der kulturellen Infrastruktur mache Andernach als Wohnort attraktiv. „Die Bücherei soll ein Ort der Entschleunigung sein. Diesen Wert müssen wir künftig noch mehr herausstellen“, erklärt Peitz.
Man werde in Andernach dabei nicht alle aktuellen Büchereitrends mitgehen, sagt Merken. Für eine „Bücherei der Dinge“, wo sich beispielsweise auch Haushaltsgeräte ausleihen lassen, fehlt der Platz. Eine sogenannte Open Library, die zu bestimmten Zeiten öffnet, ohne dass Personal zugegen ist, würde hohe Investitionen erforderlich machen. Stattdessen gibt es im Jubiläumsjahr Überlegungen, wie sich kleinere Veränderungen anstoßen lassen. Dazu gehören beispielsweise die Überlegungen, wie sich eine Rund-um-die-Uhr-Rückgabe für entliehene Medien organisieren lässt.
Am 10. Mai wird groß gefeiert
Zum Tag der Bücherei am Samstag, 10. Mai, erwartet die Besucher von 10 bis 20 Uhr bei freiem Eintritt ein abwechslungsreiches Programm: So bietet das Theater im Keller etwa Clownerie für die Kleinen, Barbara Böhr-Maurer präsentiert das japanische Papiertheater Kamishibai, es gibt eine Mitmachzauberschau und Luftballonakrobatik. In einem Nintendo-Switch-Turnier können sich Groß und Klein in Mario Kart messen. Märchen für Erwachsene erzählen Claudia Groß und Brigitte Protzmann, außerdem gibt es Kabarett mit der Gruppe Wandelbar. Zum Abschluss lesen um 19 Uhr Andreas und Christine Schulte aus ihrem neuen Werk „Mein Herz will Meer“. Für das leibliche Wohl sorgt eine Cafeteria im Foyer. Damit sich das Büchereiteam um seine Gäste kümmern kann, sind Ausleihen, Rückgaben und Anmeldungen an dem Tag nicht möglich.