Altes Handwerk in Mertloch 
Achim Bertgen presst in seiner Ölmühle flüssiges Gold 
Achim Bertgen und Kerstin Müller haben in Mertloch eine neue Heimat gefunden – mit viel Platz für die Ölmühle.
Birgit Pielen

Kaltgepresste Öle sind wichtig für eine gesunde Ernährung. Sie enthalten wertvolle Vitamine, wichtige Mineralien und sekundäre Pflanzenstoffe. Achim Bertgen kennt sich damit aus. Er betreibt in der Maifeldgemeinde Mertloch eine Ölmühle.

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Mertloch ist ein Glücksfall für Achim Bertgen. In der Maifeldgemeinde hat er ein denkmalgeschütztes Haus aus dem Jahr 1910 gekauft, in dem er mit seiner Frau Kerstin lebt und arbeitet. Hier hat er seine Manufaktur, in der er kalt gepresste Öle herstellt. Der 59-Jährige ist biozertifizierter Ölmüller – und hat die Nachhaltigkeit wiederentdeckt. Die Geschichte über ihn erzählt auch vom Mut zum Neuanfang.

Hier tropft das wertvolle Leinöl langsam aus den gepressten Saaten.
Birgit Pielen

Langsam tröpfelt das Leinöl aus der Schneckenpresse, die die Leinsaat mit 20 Umdrehungen quetscht. Achim Bertgen steht in seiner gläsernen Manufaktur und schaut begeistert zu. Hier entsteht Qualität im Schneckentempo. Nach drei Stunden hat er immerhin fünf Liter Öl, die er anschließend mehrere Tage in Edelstahlkannen ruhen lässt, bis sich die Trub- und Schwebestoffe abgesetzt haben. Gefiltert wird nicht. Nur durch die natürliche Sedimentation bleiben alle wichtigen Inhaltsstoffe im Öl enthalten. „Generell sind alle kalt gepressten Öle sehr reich an essenziellen Fettsäuren“, sagt der 59-Jährige. Leinöl enthält sehr viel Omega-3-Fettsäure, die den Ausgleich des Cholesterinhaushaltes unterstützen kann, gegen Ablagerungen in den Arterien helfen soll, den Stoffwechsel und die Leberfunktion unterstützen kann.

Gesundheitsbewusste Ernährung ist vielen Menschen wichtig – auch Achim Bertgen. „Ich komme aus einer Familie, in der der eine Opa Imkermeister und Gärtnermeister war, der andere Opa Schmiedemeister und Winzer.“ Seine Eltern waren Selbstversorger, hatten einen eigenen Garten mit Obst und Gemüse. Das hat Spuren bei ihm hinterlassen, denen er erst spät wieder nachgegangen ist. Bertgen ist Maschinenbau-Ingenieur und hat viele Jahre bei einem großen Koblenzer Automobilzulieferer gearbeitet. „Ich war zuständig für Projektmanagement und international unterwegs“, sagt er. „Das war ein sehr schnelles und zeitweise sehr ungesundes Leben.“ Als in der Corona-Pandemie der Druck in der Autoindustrie zu groß wurde, plante er eine Auszeit.

In seiner gläsernen Manufaktur stellt Achim Bertgen unter anderem Leinöl her.
Birgit Pielen

Zu dem Zeitpunkt lebte er noch in Koblenz, hatte aber bereits 2018 aus Freude an guter Ernährung mit dem Herstellen von Öl begonnen – im Kleinen, im Keller. 2022 stand für ihn fest: „Ich mache meine Ölmühle groß.“ Woher er den Mut genommen hat? Achim Bertgen lächelt und verweist auf seine Frau, die in solchen Fällen gerne Astrid Lindgrens berühmte Pippi Langstrumpf zitiert: „Das habe ich noch nie vorher versucht, also bin ich völlig sicher, dass ich es schaffe.“

Zum Sortiment von Achim Bertgen gehören unter anderem Walnussöl, Schwarzkümmelöl, Mariendistelöl, Goldleinöl, Rapsöl, Hanföl und Senföl - die meisten in Bioqualität.
Birgit Pielen

Pippi Langstrumpf hat auch gesagt: „Zuviel Gelehrsamkeit kann selbst den Gesündesten kaputtmachen.“ Doch ein wenig Lehrreiches zur Gesundheit muss noch sein: Eine fettarme oder eine fettlose Ernährung ist nicht automatisch eine gesunde Ernährung. Der Mensch braucht gute Fette und Öle, um zum Beispiel Vitamine aus Nahrungsmitteln herauszulösen und zu verstoffwechseln. Und da wären wir wieder beim Leinöl: Es gilt als eine gesunde Fettquelle, die sogar indirekt beim Abnehmen unterstützen kann.

Bertgens Frau Kerstin schätzt vor allem das Mariendistelöl. „Hildegard von Bingen hat die Mariendistel aus Italien mitgebracht und damals schon die leberschützende Wirkung erkannt.“
Birgit Pielen

Ein besonderes Produkt von Achim Bertgen ist auch das Mariendistelöl. Dafür schwärmt Bertgens Frau Kerstin Müller, eine Augenoptikerin, ganz besonders. „Hildegard von Bingen hat die Mariendistel aus Italien mitgebracht und damals schon die leberschützende Wirkung erkannt“, erzählt sie. Die Mariendistel, ein klassisches Bitterkraut, wurde daraufhin als „Leberpflanze“ in Klostergärten kultiviert. Die Pflanze enthält spezielle Stoffe wie Silymarin, dem nachgesagt wird, dass er die Zellmembranen verstärkt, also ein natürliches Antioxidant ist. Zudem enthält die Mariendistel viel Vitamin E, das nur in Kombination mit Öl verstoffwechselt werden kann.

Das denkmalgeschützte Haus mit seinen Stuckdecken bietet genügend Platz für einen Verkaufsraum.
Birgit Pielen

Die Rohstoffe für seine Öle kauft Achim Bertgen bei Landwirten in der Region, meistens bei Biobauern. Zurzeit sucht er jemanden, der Leindotter anbaut. „Das Leindotteröl hat eine geschmackliche Besonderheit“, erzählt er. „Es schmeckt von Natur aus, ohne jedes weitere Zutun, nach Gartenkräutern, nach jungen Erbsen und einen Tick nach Spargel.“ Manche erinnert der Geschmack auch an frisch gemähtes Gras oder Kresse.

„Das Wochenmarktpublikum ist affin für regionale, hochwertige und nachhaltige Lebensmittel.“
Achim Bertgen

2019 stand Achim Bertgen zum ersten Mal auf einem Wochenmarkt mit seinen hochwertigen Ölen: in Ehrenbreitstein in Koblenz. „Das war mein Beginn. Zwei Monate später hatten wir Corona. Die Wochenmärkte waren aber weiter erlaubt.“ Er schätzt das Marktpublikum sehr. „Es ist affin für regionale, hochwertige und nachhaltige Lebensmittel.“ Es gebe zunehmend mehr Menschen, die auf eine gesundheitsfördernde Ernährung Wert legen, stellt er fest.

Er selbst gehört auch dazu. Zu seiner persönlichen Morgenroutine gehören ein Esslöffel Leinöl, ein Teelöffel Schwarzkümmelöl und eine kleine Handvoll Kürbiskerne. Die Gliederschmerzen, die ihn in seiner Managerzeit quälten, sind jedenfalls weg.

Der Citroen HY ist fast 50 Jahre alt. Mit ihm fährt Achim Bertgen zu den Wochenmärkten.
Birgit Pielen

Was geblieben ist, ist sein Oldtimer: ein Citroen Typ HY, fast 50 Jahre alt. Er gehörte einer Champagner-Kellerei, jetzt rollt er übers Maifeld. Mit 52 PS, drei Gängen und maximal 80 km/h fährt Achim Bertgen zu Wochenmärkten. „Das entschleunigt.“ Und wenn er zurückkommt, freut er sich auf das Haus in Mertloch, das auf schicksalhafte Weise jetzt ihm gehört. „Ich kenne dieses Haus seit 30 Jahren“, erzählt er. „Wenn ich meine Eltern besucht habe, bin ich immer daran vorbeigefahren und habe jeden, der es hören wollte oder nicht hören wollte, genervt: Irgendwann kaufe ich dieses Haus, habe ich gesagt.“ Und irgendwann kam der Anruf einer Immobilienmaklerin ...

Das denkmalgeschützte Haus in Mertloch wurde 1910 gebaut und beheimatet jetzt die Ölmühle von Achim Bertgen.
Birgit Pielen

„Das Haus ist eine Augenweide“, schwärmt er. Gebaut mit einer Mischung aus Lava, Basalt, Tuffstein, Bruchstein und Fachwerk, mit Zwiebeltürmchen und Erker, alles gedeckt mit Schiefer. Im Inneren hat das Haus, das als Hotel, Gaststätte und Landwirtschaftsbetrieb genutzt wurde, einen riesigen Saal mit Jugendstil- und Art-Deco-Elementen. „Es ist ein großes Geschenk, dass wir dieses Haus haben“, schwärmt Bertgen. „Es hat eine gute Energie.“ Seine Energie fließt jetzt ganz in die Ölmanufaktur – in ein nachhaltiges Produkt, das seinen Werten entspricht.

Was für ein prächtiger Saal! Er ist Teil des Mertlocher Hauses, das früher als Hotel genutzt wurde.
Birgit Pielen

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