Bonn (dpa) – Noch nie sind so viele Verbraucherinnen und Verbraucher bei ihrem Strom- oder Gasvertrag neue Wege gegangen wie im vergangenen Jahr. Wie die Bundesnetzagentur auf Anfrage mitteilte, wechselten 7,1 Millionen Stromkunden ihren Vertrag und damit 18 Prozent mehr als 2023. Im Gasbereich lag das Plus bei 22 Prozent auf 2,2 Millionen Kunden. Beides sind nach Angaben der Bundesnetzagentur Höchststände.
«Die hohe Zahl an Lieferantenwechseln im Jahr 2024 zeigt, dass Verbraucherinnen und Verbraucher nach besseren Konditionen suchen», sagte Behördenchef Klaus Müller. «Das ist ein gutes Zeichen für Wettbewerb und Energiewende.» Wer die Grundversorgung beim örtlichen Stadtwerk verlasse, könne pro Jahr mehrere hundert Euro sparen. «Allein 2024 konnten deutsche Haushalte durch Vertrags- und Lieferantenwechsel rund 2,2 Milliarden Euro an Energiekosten einsparen.»
Mit der Grundversorgung ist die Standardbelieferung mit Strom und Gas gemeint, die ein Haushalt automatisch bekommt, wenn er nicht selbst einen separaten Liefervertrag abschließt. Die Grundversorgung ist in der Regel teurer als andere Verträge. Beim Strom waren im vergangenen Jahr 23 Prozent der Haushalte in der Grundversorgung und damit zwei Prozentpunkte weniger als 2023. Im Gasbereich sank dieser Wert von 19 auf 16 Prozent.
Lundquist Neubauer vom Vergleichsportal Verivox erklärte die Entwicklung mit großen Preisdifferenzen zwischen teuren Bestands- und Grundversorgungstarifen und günstigen Neukundenangeboten. «Noch nie seit unserer 2004 begonnenen Datenerhebung war das Ersparnispotenzial eines Energieanbieterwechsels im Jahresschnitt so groß wie im Jahr 2024.»
Das liege an Spätfolgen der Energiekrise 2022, wodurch viele Grundversorger hohe Einkaufspreise noch im vergangenen Jahr an ihre Kunden hatten weiterreichen müssen, so Neubauer. Eine Kilowattstunde Strom habe 2024 in der Grundversorgung im Schnitt 44,2 Cent gekostet, während es in Neukundentarifen im Schnitt nur 24,6 Cent gewesen seien.
Es wird häufiger Strom und Gas abgedreht
Das Zahlenwerk der Bundesnetzagentur ging auch auf andere Bereiche der Energienutzung ein. So stieg die Zahl der Stromsperrungen 2024 um rund 20 Prozent auf 245.000 Fälle an; im Gasbereich ging es ebenfalls um ein Fünftel nach oben, und zwar auf 33.700 Fälle.
Die Bundesnetzagentur führte diese Entwicklung auf gestiegene Energiepreise zurück und vermutete zudem, dass es Nachholeffekte gegeben hat: Manch Anbieter, der zuvor auf Sperrungen verzichtet hatte, setzte nun doch auf dieses drastische Mittel. Die Anzahl der Sperrungen sind zwar hoch, allerdings waren es im vergangenen Jahrzehnt deutlich mehr – 2014 hatte es in Deutschland 352.000 Stromsperrungen gegeben und 46.000 Gassperrungen.
Verena Bentele vom Sozialverband VdK äußerte sich sorgenvoll über den jüngsten Anstieg. «Immer mehr Haushalte können sich kaum noch ein warmes Zuhause oder grundlegende Versorgung leisten», sagte die Verbandspräsidentin. Diese Entwicklung zeige, wie Armut wachse und immer mehr Menschen sozial abgehängt werden.
«Deshalb braucht es politische Maßnahmen, die wirkungsvoll vor Energiearmut schützen und dafür sorgen, dass niemand in Deutschland ohne gesicherte Strom- und Gasversorgung leben muss.» Für viele Menschen wäre die Senkung der Stromsteuer und eine angemessene Berücksichtigung der Wohnnebenkosten in den Sozialleistungen ein wirksamer Schutz, sagte Bentele.
© dpa-infocom, dpa:250713-930-791185/1