Konjunkturelle Dauerkrise
Keine Trendwende bei Firmenpleiten in Deutschland in Sicht
Ladenschließung
Ladenschließung
Bernd Weißbrod. DPA

Vom Autozulieferer bis zum Schuhhändler: In Deutschland geben wieder mehr Unternehmen auf. Auch staatliche Milliardeninvestitionen dürften einen weiteren Anstieg der Pleitezahlen nicht verhindern.

Lesezeit 3 Minuten

Frankfurt/Neuss (dpa) - Deutschland zählt so viele Firmenpleiten wie seit 2014 nicht - und trotz Konjunkturhoffnungen gibt es keine Entwarnung für das kommende Jahr. «Unter dem Strich gehen wir nach derzeitiger Prognose nicht davon aus, dass die Insolvenzzahlen 2026 stagnieren oder gar zurückgehen werden», sagt der Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung, Patrik-Ludwig Hantzsch.

Bis zum Ende des laufenden Jahres werden nach Hochrechnungen der Wirtschaftsauskunftei 23.900 Unternehmen Insolvenz angemeldet haben. Das wären über acht Prozent mehr als im Vorjahr. Im Jahr 2014 hatten nach amtlichen Angaben fast 24.100 Unternehmen hierzulande aufgegeben. Zahlen des Statistischen Bundesamtes für 2025 gibt es im kommenden März.

Mittelstand unter Druck

«Viele Betriebe sind hoch verschuldet, kommen schwer an neue Kredite
und kämpfen mit strukturellen Belastungen wie Energiepreisen oder Regulierung», sagt Hantzsch. Das setze vor allem Mittelständler unter Druck.

Zumeist trifft es Firmen mit höchstens zehn Beschäftigten, die vier von fünf Insolvenzen ausmachen. Aber auch 140 größere Unternehmen rutschten 2025 in die Pleite - zum Beispiel mehrere Klinikbetreiber. Über alle Insolvenzen hinweg summiert sich der Schaden auf rund 57 Milliarden Euro und liegt damit nur knapp unter dem hohen Vorjahreswert (59,1 Mrd Euro). Geschätzt 285.000 Arbeitsplätze sind durch Insolvenzen in diesem Jahr bedroht oder weggefallen.

Stellenabbau und steigende Arbeitslosigkeit verschärfen die finanzielle Lage vieler Privathaushalte: Bei den Verbraucherinsolvenzen rechnet Creditreform in diesem Jahr mit 76.300 Fällen - ein Anstieg um 6,5 Prozent zum Vorjahr.

Bei den Firmenpleiten stiegen die Pleitezahlen besonders deutlich im verarbeitenden Gewerbe und im Handel. Die zahlenmäßig meisten Insolvenzen mit mehr als 14.000 entfielen auf das Dienstleistungsgewerbe, zu dem etwa die Gastronomie zählt.

Insolvenzahlen steigen nicht mehr so stark wie nach Corona

Ein kleiner Lichtblick: Die Unternehmensinsolvenzen sind im laufenden Jahr nicht mehr so rasant gestiegen wie in den Jahren zuvor. Nachdem die staatlichen Hilfen der Corona-Pandemie ausgelaufen waren, die vielen Betrieben das Überleben gesichert hatte, legten die Zahlen 2023 und 2024 sprunghaft um jeweils fast ein Viertel zu.

Viele Ökonomen rechnen damit, dass die staatlichen Milliardeninvestitionen in Infrastruktur wie Straßen und Schienen sowie in Verteidigung 2026 das Wirtschaftswachstum ankurbeln werden. Das könnte nach Einschätzung von Creditreform den Anstieg der Insolvenzen zumindest bremsen. 

«Bis die Infrastrukturbooster des Bundes angekommen sind, wird es aber dauern», prognostiziert Hantzsch. Zudem löse Geld strukturelle Probleme nicht: «Mit Geld kann man zwar Rechnungen bezahlen, aber damit wird man nicht automatisch rentabler.» Die Liste der Belastungen ist lang: hohe Energiepreise, viel Bürokratie, zurückhaltende Konsumenten, Handelsbarrieren.

Konsumflaute

Lebensmittel und Dienstleistungen sind teurer geworden, viele Menschen halten sich mit Anschaffungen, die nicht unbedingt notwendig sind, zurück. Im Einzelhandel gibt es so viele Insolvenzen, wie seit Jahren nicht. Betroffen unter anderem: der Schuhhändler Görtz, der Modehersteller Gerry Weber und der Herrenausstatter Wormland.

2.490 Insolvenzen im Einzelhandel zählte der Kreditversicherer Allianz Trade zwischen August 2024 und August 2025 - fast so viele wie vor neun Jahren, als mit 2.520 Fällen ein Negativrekord aufgestellt wurde.

Um der Konkurrenz durch Online-Marktplätze standzuhalten, müssten Einzelhändler stärker in digitale Kanäle und moderne Technik investieren, analysiert Allianz-Trade-Branchenexperte Guillaume Dejean: «Das ist ein Kampf, der teilweise an David gegen Goliath erinnert.»

Absatzkrise

Gleich ein ganzes Bündel an Problemen macht der Automobilbranche zu schaffen: US-Zölle, chinesische E-Auto-Konkurrenz, Absatzflaute. Binnen eines Jahres wurden in der deutschen Automobilbranche fast 50.000 Jobs gestrichen. Reihenweise rutschten Zulieferer in die Pleite.

Zollhürden

Allianz Trade erwartet im kommenden Jahr weltweit mehr Unternehmenspleiten - weil höhere US-Zölle mit voller Wucht auf exportorientierte Volkswirtschaften durchschlagen. Das Risiko von Dominoeffekten nehme zu. Für Deutschland rechnen die Analysten für 2026 mit einer leichten Zunahme auf 24.500 Fälle.

Reformstau - auch im eigenen Betrieb

Nicht jede Schieflage lässt sich mit ungünstigen Rahmenbedingungen erklären. «Zu schnell wird die Ursache der unternehmerischen Fehlentwicklung bei steigenden Zöllen oder hohen Energiekosten gesucht», kommentierte der Vorsitzende des Verbandes der Insolvenzverwalter und Sachwalter Deutschlands (VID), Christoph Niering, bereits im Sommer steigende Insolvenzzahlen. «Eine gefährliche Fehleinschätzung, da hierdurch Sanierungsmaßnahmen zu spät oder nicht umfassend genug angegangen werden.»

Zudem brauche wirtschaftlicher Wandel auch Scheitern, argumentiert der VID und zitiert als Kronzeugen den Präsidenten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Marcel Fratzscher: «Das Stigma des unternehmerischen Scheiterns trägt maßgeblich zur Innovationsfeindlichkeit bei, gerade in Deutschland. Es ist dringend notwendig, eine neue Gründerkultur zu etablieren, die Fehler zulässt, Risiken honoriert und Mut belohnt.»

© dpa-infocom, dpa:251208-930-394355/3

Ressort und Schlagwörter

Wirtschaft