Von unserer Brüsseler Korrespondentin Anja Ingenrieth
Vor dem Start der zweiten Gesprächsrunde posierten die beiden Chefverhandler in Brüssel vor der Europafahne und der US-Flagge ausgiebig für die Kameras – so als könnten sie Belastungen wie die Spähaktivitäten des US-Geheimdienstes einfach weglächeln.
Bis Freitag werden beide Seiten über Dienstleistungen, Investitionen, Energie, Rohstoffe sowie Regulierungsfragen sprechen. Die Verhandlungsrunde sollte eigentlich bereits im Oktober stattfinden, wurde aber wegen der Verwaltungsblockade in den USA verschoben. Nachdem dann Ende Oktober der NSA-Lauschangriff auf das Handy der Kanzlerin bekannt wurde, gab es prominente Rufe, die Gespräche auszusetzen – unter anderem von EU-Parlamentspräsident Martin Schulz. Doch nun geht es weiter – weil Europäer wie Amerikaner die wirtschaftlichen Vorteile durch das Abkommen nicht riskieren wollen.
Geplant ist die weltweit größte Freihandelszone mit gut 800 Millionen Einwohnern. Durch das Abkommen steigt die Wirtschaftsleistung auf beiden Seiten nach Brüsseler Berechnungen um 0,5 Prozent – umgerechnet auf einen durchschnittlichen Privathaushalt in der EU, entspricht das einem Plus von rund 550 Euro im Jahr. Allein in Deutschland entstünden zudem mehr als 100 000 neue Jobs. Die nächste Runde ist Mitte Dezember in Washington geplant. Bis Januar sollen technische Details und Streitpunkte wie der Umgang mit genbehandelten Lebensmitteln geklärt werden. Washington hat sich bereits ein wenig bewegt: Vor Kurzem haben die USA den Import von EU-Rindfleisch erleichtert.
Im Idealfall soll der Abschluss des Freihandelsabkommens gelingen, bevor die derzeitige EU-Kommission im Herbst 2014 aus dem Amt scheidet – und die Amerikaner einen neuen Kongress wählen. Verbraucher- und Umweltschützer warnen vor einer möglichen Schwächung europäischer Standards. „Es geht um viel bei diesem transatlantischen Freihandelsabkommen – um die mögliche Verbreitung gentechnisch veränderter Pflanzen auf unseren Äckern, um die Aufweichung von Klimaschutzmaßnahmen und um die Gefahren giftiger Chemikalien“, so der Vorsitzende des Bunds für Umwelt und Naturschutz (BUND), Hubert Weiger.
Insbesondere in der Landwirtschaft haben sich die Gräben zwischen Europa und den USA bisher als unüberbrückbar erwiesen, weshalb frühere Bemühungen um die Freihandelszone versandet sind. Paradebeispiel ist das Chlorhuhn: Denn Europäer wollen keine Tiere essen, die zum Abtöten von Keimen in eine Chlorlauge getunkt worden sind, wie es bei US-Züchtern üblich ist. Außerdem sehen sie genveränderte Lebensmittel skeptisch – und möchten zumindest durch klare Kennzeichnung die Wahl beim Einkauf haben. In den USA hingegen ist Gennahrung gang und gäbe – ohne Hinweise auf dem Etikett.