„Great Lakes“
Wo sich die USA von ihrer besten Seite zeigen
Eine atemberaubende Sicht auf die Skyline von Pittsburgh bietet sich von den Aussichtspunkten im Stadtteil Mount Washington.
Daniel-D. Pirker

Der ehemalige Rust Belt hat sich neu erfunden. Die Großregion südlich des Eriesees repräsentiert heute die besten Seiten der USA – mit deutscher Einwanderungsgeschichte, pulsierender Kultur, kulinarischer Klasse sowie schöner Natur.

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Es ist kein Zufall, dass Superman in Cleveland erfunden wurde. Wie kein anderer fiktiver Held verkörpert er die Werte einer USA, zu der die Welt aufschaut: Aufrichtigkeit, Offenheit und das Potenzial, das in jedem Menschen steckt, Großes zu leisten, unabhängig von seiner Herkunft und Rückschlägen. Schon im Juli wird man auf der großen Leinwand beobachten können, wie Superman in einer neuen Filmversion genau diese Vereinigten Staaten repräsentiert, die man nicht nur in Cleveland, sondern der gesamten Großregion südlich der weltweit größten Süßwasserfläche, der großen Seen (Great Lakes) im Grenzgebiet zu Kanada erleben kann.

Wer sich auf die Route des ehemaligen Rustbelts begibt, taucht tief in dieses Amerika ein, das sich immer wieder neu erfunden hat, ohne seine Ursprünge zu verraten – und gleichzeitig die Herzen von Großstadtfans und Naturliebhabern höherschlagen lässt. Besonders für Reisende aus Deutschland ist die Route attraktiv. Gleich zu Beginn der Reise, die in Cincinnati, einer der drei größten Städte im Bundesstaat Ohio beginnt, kann man tief in die Geschichte deutscher Einwanderkultur eintauchen.

Das Trend-Viertel Over-the-Rhine lässt sich ohne Mühe zu Fuß erschließen. Spaziergänger erwarten breite Alleen, prächtige, oft im Italianate-Stil erbaute Gebäude, vielfach aufwendig restauriert. Man kann sich gut vorstellen, wie hier einst deutsche Einwanderer flanierten. Viele von ihnen hatten sich seit dem Beginn des frühen 19. Jahrhunderts nördlich des neu gebauten Miami-and-Erie-Kanals angesiedelt – für viele Deutsche damals eine symbolische Barriere, ähnlich dem Rhein in ihrem Heimatland, den sie überqueren mussten, um in ihr Wohnviertel zu gelangen.

Für die Besucher stehen Taschenlampen bereit, um die höhlenartigen Lagertunnel der ehemaligen Linck Brauerei zu erkunden.
Daniel-D. Pirker

Und mit den Einwanderern kam die deutsche Bierbrautradition, deren goldene Ära vor der Prohibition man bei einer Hidden Caverns Tour nacherlebt. Das Highlight: Die Erkundung der Lagertunnel der ehemaligen Linck Brauerei. Erst in den vergangenen Jahren wurden die höhlenartigen Räume meist durch Zufall bei Bauarbeiten in alten Gebäuden entdeckt. Für die Teilnehmer stehen nicht zufällig Taschenlampen bereit, um sich in den teils verzweigten kühlen Kellern zurechtzufinden.

Und eine solche Brücke von der Vergangenheit ins Heute schlägt auch der Findlay Market im Stadtteil Over-the-Rhine, der älteste durchgehend betriebene öffentliche Mart in Ohio. Bei Eintritt in das von einer markanten Gusseisenkonstruktion getragene Hauptgebäude offenbart sich eine Welt voller Gerüche und farbiger Vielfalt, nicht nur für Feinschmecker ein großartiger Ort, um lokale und internationale Spezialitäten zu entdecken.

Grundsätzlich haben entlang des Rust Belts regionale Lebensmittel in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen, wie auch das Beispiel North Market in Columbus zeigt. Die rund 917.000 Einwohner zählende Hauptstadt Ohios wurde von der Zeitung USA Today mehrfach ausgezeichnet, unter anderem für den besten Farmer-Markt im gesamten Land und als Top-Destination für kulinarische Reisen. Auch hier begegnen Spaziergängern an zahlreichen Stellen Bezüge zur deutschen Einwanderergeschichte.

Der Buchladen „The Book Loft“ zählt zu den größten unabhängigen Geschäften seiner Art in den USA. In über 32 Zimmern reiht sich Buch an Buch an den Wänden labyrinthartiger Gänge in dem Gebäude, das sich im German Village von Columbus befindet. Und die deutsche Einwandergeschichte zeigt sich auch hier, etwa durch eine Flagge der Bundesrepublik, angebracht direkt neben der US-amerikanischen.
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Das zeigt sich besonders im German Village, einem historischen Viertel südlich der Innenstadt, das für seine wunderschönen, restaurierten Backsteinhäuser aus dem 19. Jahrhundert, die engen, von Bäumen gesäumten Straßen und seine charmante, europäisch anmutende Atmosphäre bekannt ist – und den US-amerikanischen Drang zu einem Comeback symbolisiert. Nach einer Zeit der Stadtflucht war das Viertel im frühen 20. Jahrhundert zusehends verfallen. Ab den 1960ern begann eine private Restaurierungsbewegung. Heute lockt das German Village mit einer einzigartigen gastronomischen Landschaft, die von traditionellen Pubs über gemütlichen Cafés bis hin zur gehobenen Küche geprägt ist.

Rund drei Autostunden entfernt erlebt man wiederum, wie sich eine Stadt nach dem Niedergang der Schwer- und Autoindustrie geradezu neu erfunden hat. Der Weg in das Herz von Pittsburgh führt über Eisen – zahlreiche knallgelb gestrichene Brücken spannen sich über die Flusslandschaft, wo Monongahela und Allegheny zum Ohio River zusammenfließen. Mit 446 Brücken trägt die Stadt im Westen Pennsylvanias stolz den Beinamen „Stadt der Brücken“. Trotz Großstadtflair bleibt vieles zu Fuß erreichbar. Wer längere Strecken zurücklegen möchte, nutzt die Stadtbahn „The T“, die im Innenstadtbereich kostenlos zur Verfügung steht.

Eine atemberaubende Sicht auf die Skyline von Pittsburgh bietet sich von den Aussichtspunkten im Stadtteil Mount Washington.
Daniel-D. Pirker

Vom Aussichtspunkt am Mount Washington fällt der Blick auf ein weiteres Wahrzeichen: „Iron City“ verkündet eine imposante Werbetafel. Diese Bezeichnung, wie auch „Steel City“, verweist auf das industrielle Erbe. Heute gilt Pittsburgh als eine Stadt mit herausragender Lebensqualität, das ein attraktives Zentrum und Möglichkeiten für Outdoor-Aktivitäten bietet. Die Geschichte wird an zahlreichen Stellen deutlich. Das „Terminal“ im Strip Diskrict, einem quirligen Zentrum mit Geschäften, einer Markthalle und diversen Essensangeboten, entstand etwa aus einem alten Güterbahnhof. Die Bürger der Stadt sind stolz auf ihre Geschichte, wie man in Gesprächen mit stets offenherzigen Passanten erfährt. Diese tiefe Verbundenheit mit dem industriellen Erbe spiegelt sich auch in den kulturellen Einrichtungen wider. So findet sich im Senator Heinz History Center ein wahrer Schatz an Erinnerungen.

Das preisgekrönte Museum widmet unter anderem dem Namensgeber und seinem berühmten Ahnen besondere Aufmerksamkeit. Unübersehbar thront eine gigantische Ketchup-Flasche an der Museumsfront und dient als markantes Wahrzeichen. Ursprünglich zierte sie das lokale Football-Stadion, das bis 2022 den Namen „Heinz Field“ trug und den Sponsor mit zwei dieser Flaschen neben der Anzeigetafel präsentierte. Während eine nun das Museum schmückt, verblieb die zweite am Originalstandort und zieht bei Stadionführungen Fotografen an – bei Weitem nicht der einzige Grund, eine Tour im heutigen Acrisure Stadium zu buchen. Die Katakomben bieten etwa unvergessliche Eindrücke. Zum Schluss wartet das Highlight schlechthin: der Besuch in die Kabine mit den Spinden der Football-Mannschaft.

Der Weg in das Herz von Pittsburgh führt über eine der 446 Eisenbrücken.
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Und niemand verlässt das Stadium ohne eine Variante eines „Terrible Towel“ („schreckliche Handtücher“) – einem ikonischen Symbol der „Steelers“. Fans schwenken traditionell die goldgelben Handtücher bei Spielen. Nach der Tour sollte man einen Besuch des Stadtteils Mount Washington fest einplanen. Hinauf geht es mit einer historischen Seilbahn („Inclines“). Die Fahrt in einer Kabine gibt bereits einen Vorgeschmack, auf das, was einem oben erwartet: ein spektakulärer Blick auf die Skyline der Stadt und des Zusammenflusses „ihrer“ drei Flüsse. Und neben einem atemberaubenden Panorama, das man von verschiedenen Aussichtspunkten genießen kann, lädt das Viertel dazu ein, in hochklassigen Restaurants oder Bars den Tag ausklingen zu lassen, um sich auf die nächste Station einzustimmen: Cleveland, das sich ebenfalls aus dem industriellen Niedergang herausgekämpft hat und heute nicht nur als Geburtsstadt von Superman und Kulisse vieler weitere Hollywoodfilme wie „A Christmas Story“ („Fröhliche Weihnachten“) diente.

Cleveland ist nicht nur als Theater- und Musicalmetropole anerkannt. Die Stadt gilt als die Geburtsstadt des Rock’n’Roll. Und dessen facettenreiche Historie kann man auf sechs Stockwerken in der Rock’n’Roll Hall of Fame mit allen Sinnen auf einzigartige Weise erleben. Auf die Besucher warten Original-Ausstellungsstücke en masse. Die ikonische rot-schwarze Lederjacke, die Michael Jackson in dem heute als Kult geltenden Thriller-Musikvideo trug, ein Motorrad von Elvis Presley, ein Klavier von Jerry Lee Lewis sind nur einige Beispiele der Schauwerte, die Besuchern geboten werden.

Nach einem erlebnisreichen Tag auf der Halbinsel Presque Isle State Park schöpft man inmitten der romantischen Atmosphäre des Eriesees Kraft für neue Abenteuer.
Daniel-D. Pirker

Entgehen lassen sollte man sich neben Besuchen der Großstädte auch nicht die prächtige Naturlandschaft, die die Region am und um den Eriesee bietet. Der Presque Isle State Park, eine Halbinsel, die sich über 20 Kilometer in den Eriesee erstreckt, ist ein wahres Juwel, das mit seinem Sandstrand, der an ferne Küsten erinnert, und dem historischen Leuchtturm lockt. Wer die 78 Stufen des Leuchtturms erklimmt, kann bei klarem Wetter sogar die Küste Kanadas am Horizont erblicken. Doch nicht nur der Ausblick, sondern auch die überraschend vielfältige Tierwelt macht den State Park einzigartig. Und mit seinen elf Stränden ist er ein echtes Urlaubsparadies am Eriesee, dem flächenmäßig viertgrößten der Großen Seen, der beim Besuch einer der Sandstrände wie ein Ozean wirkt.

Und wer nach einem Tag in der Natur noch etwas genießen möchte, sollte unbedingt die lokalen Weingüter südlich des Sees besuchen, die für ihre exzellenten Weine bekannt sind. Diese Region, das größte amerikanische Weinbaugebiet östlich der Rocky Mountains, ist Heimat von inspirierenden Geschichten wie der von Laurie Boettcher und Anita Rahel. Gemeinsam haben sie sich einen Traum erfüllt und aus einer alten Scheune, die einst als Tierfarm und Apfelmühle diente, einen einladenden Gastraum mit urigen Balken geschaffen.

Herzlichkeit und Anpackermentalität im Dreierpack (von links): Wo einst eine Apfelmühle stand, haben Anita Rahel, Charlie Rahel und Laurie Boettcher den Mittelpunkt ihres Weinguts etabliert, und zwar in der ehemaligen Scheune.
Daniel-D. Pirker

Die „Alte Apfelmühle“ ist heute ein beliebter Treffpunkt, nicht nur für Weinliebhaber, sondern auch für Freunde guten Bieres, denn sie beherbergt mittlerweile auch eine Hausbrauerei. Der immense Einsatz beider Familien hat sich gelohnt: Das Weingut ist zu einem wichtigen Treffpunkt in der Region geworden.

Zudem lohnt sich ein Stopp in Slippery Rock, wo das Jennings Environmental Education Center mit einem geschützten Präriegebiet und Informationen über die dort lebende, vom Aussterben bedrohte Massasauga-Klapperschlange lockt. Besonders zur Blütezeit der Prärie-Prachtscharte im Juli verwandelt sich dieses Fleckchen Erde in ein Farbenmeer.

Wissenswertes für Reisende

Anreise: Von Frankfurt aus werden Flüge nach Cleveland oder Pittsburgh angeboten, in der Regel mit einem Zwischenstopp in Washington. Alternativ gibt es Direktflüge beispielsweise nach Detroit, 270 Kilometer von Cleveland entfernt. Um die Gegend flexibel zu erkunden, empfiehlt sich ein Mietwagen.

Einreise: Deutsche Staatsbürger können weiterhin bis zu 90 Tage ohne Visum in die USA einreisen, sofern sie einen biometrischen Reisepass und eine gültige ESTA-Genehmigung vorweisen. Die elektronische Einreiseerlaubnis (ESTA) muss mindestens 72 Stunden vor Abflug online beantragt werden, kostet 21 USD und gilt zwei Jahre. Trotz ESTA entscheiden US-Grenzbeamte endgültig über die Einreise. Falsche Angaben, Vorstrafen in den USA oder eine geringfügige Überschreitung der Aufenthaltsdauer können zu Festnahmen, Abschiebehaft und sofortiger Rückführung führen. Das Auswärtige Amt warnt ausdrücklich vor diesen Risiken und empfiehlt penible Genauigkeit bei allen Angaben.

Mehr Infos: www.greatlakes.de

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