Geschichte am und im Fluss
Vive le Rhin – es lebe der Rhein
Wenn Stadtführer Andreas Foos in Speyer ins Napoleon-Kostüm schlüpft, ist dies mehr als ein symbolisch-touristischer Akt. Die deutsch-französische Geschichte ist links und rechts des Rheins auf Schritt und Tritt lebendig.
Markus Kratzer

Mal Grenze, mal Brücke: Der Rhein verkörpert europäische Geschichte. Dies wird nach jedem Anlegen der A-ROSA Clea spürbar – egal, ob man seinen Fuß nun auf deutschen oder auf französischen Boden setzt. Eine Flusskreuzfahrt mit historischem Bonus.

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„Mama, was hat der Mann denn da an?“ Andreas Foos, der uns gleich beim ersten Verlassen der A-ROSA Clea in Speyer zur Stadtführung im historischen Gewand begrüßt, kennt solche Kinderfragen nur zu gut. „Ich bin der Napoleon“, kommt er der Mutter mit seiner Antwort zuvor – und wirft sich dabei demonstrativ in die Brust. Gestiefelt, mit Mantel, Schärpe und Zweispitz ausgestattet, fällt es ihm nicht schwer, gut gelaunte Flusskreuzfahrer hinter sich zu scharen und seinen Marsch ins Zentrum der Kaiserstadt zu beginnen.

Ein Bild, das in der 50.000-Einwohner-Stadt die Blicke auf sich zieht. Touristen staunen und zücken ihre Handys, die Reaktionen der Einheimischen untermauern, dass der Stadtführer bekannt ist wie ein bunter Hund – oder, wie die Franzosen vielleicht etwas vornehmer sagen: Er ist „bien connu“. „Ah, Andreas, masch widda de Bonaparte?“, ruft ihm einer zu – „Hallo Napoleon“, ein anderer. „Majestät“ verbessert ihn Andreas Foos mit einem schelmischen Augenzwinkern. Obwohl sich die Historiker bis heute darüber streiten, ob der berühmte Feldherr überhaupt jemals selbst einen Fuß nach Speyer gesetzt hat, sind die französischen Spuren in der Stadt am Rhein nicht wegzulaufen. Kriegerisch ging es einst zu, berichtet Majestät. Im Pfälzischen Erbfolgekrieg wurde Speyer Ende des 17. Jahrhunderts von französischen Truppen fast vollständig zerstört. 1794 wurde die Stadt von französischen Revolutionstruppen besetzt. Napoleon ließ das linksrheinische Gebiet nach französischem Vorbild reorganisieren, 1804 wurde in der Stadt der „Code civil“ eingeführt, hielt das französische Recht Einzug.

Frankfurt mit seiner berühmten Skyline ist Ausgangs- und Zielort dieser Flusskreuzfahrt.
Markus Kratzer

Ein Ausflug in die Zeitgeschichte, weit weg von einer öden Geschichtsstunde. Die Kulisse dazu malerisch: der Speyerer Dom, der als einer von drei Kaiserdomen in Deutschland zum Unesco-Weltkulturerbe gehört; das Historische Museum der Pfalz am Domplatz, dessen Exponate bis in urgeschichtliche Zeiten zurückreichen; das Altpörtel, Teil der mittelalterlichen Befestigungsanlage – das Tor auf der einen und der Dom auf der anderen Seite „bewachen“ sozusagen das rege Einkaufstreiben auf der Maximilianstraße; oder auch, etwas abseits der Flaniermeile, die lutherische Dreifaltigkeitskirche, die durch eine biblisch „untermalte“ Doppelempore und einen frei stehenden Läutturm innen wie außen einen markanten Blickfang darstellt.

„Napoleon“ geleitet uns sicher zum Schiff zurück und überlässt das Kommando dem rumänischen Kapitän der A-ROSA Clea, der mit dem Zweispitz des Korsen nichts am Hut hat, sondern am Abend mit einer Wollmütze im Steuerhaus thronend das kompakte Schiff aus dem Speyrer Hafen hinausmanövriert – nicht minder souverän als 24 Stunden zuvor, als die fünftägige Reise im Frankfurter Osthafen ihren Anfang nahm. Doch eine wichtige Kopfbedeckung fehlt an dieser Stelle noch. Die Kochmütze von Küchenchef Miroslav, der mit seinem Team nicht nur Abend für Abend abwechslungsreiche Köstlichkeiten auf die Teller zaubert. Der Slowake, so ist zu erfahren, wird am Ende der Saison seinen „Flusssack“ packen und Kurs auf die Rente nehmen. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass er sich auf seiner Abschiedstour noch einmal so richtig ins Zeug legen will.

Rund vier Millionen Besucher zieht es Jahr für Jahr ins Straßburger Münster.
Markus Kratzer

Ins Zeug legen muss sich die Crew auch am nächsten Morgen in Straßburg. Denn das kompakte Schiff mit seinen 110 Metern Länge darf tatsächlich auf der französischen Rheinseite festmachen – für alle Flusskreuzfahrtschiffe mit dem Standardmaß von 135 Metern läge der „Parkplatz“ im gegenüberliegenden Kehl. Den Weg von Baden ins Elsass über die Europabrücke musste aber unser Stadtführer nehmen, diesmal in „Zivil“. Natürlich kann er sich bei aller deutsch-französischen Symbolkraft des Bauwerks auch einen italienischen Seitenhieb nicht verkneifen. Denn die Rheinquerung dürfte vielen noch aus dem April 2009 im Gedächtnis sein, als der damalige italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Ufer minutenlang mit dem Handy telefonierend die Obamas, Merkels und Sarkozys dieser Welt brüskierte und so den Nato-Gipfel torpedierte, auf dem die Rückkehr Frankreichs in das Nordatlantische Bündnis feierlich besiegelt wurde.

Bei der „Tour de Strasbourg“ wäre es allerdings ein Fehler, das Handy aus der Hand zu legen. Denn die (Foto-)Motive, die die elsässische Metropole zu bieten hat, dürften für viele ein Auslöser sein, noch einmal hierhin zurückzukehren. Deutsch-französische Zeugnisse am linken Rheinufer? Jede Menge. „La Neustadt“ etwa – ein Stadtplanungsprojekt aus der Zeit nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870 bis 1871, als Straßburg zum Reichsland Elsass-Lothringen gehörte, das direkt dem Kaiser in Berlin unterstellt war. „Das alles hier wurde in nur 35 Jahren von den Preußen gebaut“ – der meistgehörte Satz während der Stadtführung. Das Unesco-Weltkulturerbe spiegelt eine Zeit, in der das „Palais du Rhin“ als Palast für Kaiser Wilhelm I. oder auch die Universität Straßburg entstanden. Aber unser Kehler Grenzgänger zeigt uns auch kleine Vorgärten, die eigentlich so gar nicht ins Bild einer französischen Stadt passten – wenn es da nicht die besagten 35 Jahre gegeben hätte.

Das Gerberviertel, auch "La Petite France" genannt, ist einer der schönsten Flecken in der elsässischen Metropole Straßburg.
Markus Kratzer

Deutlich mehr Jahre auf dem Buckel hat das Wahrzeichen der Stadt: das Straßburger Münster, das – man hätte es ahnen können – in seiner romanisch-gotischen Architektur französische wie deutsche Kultureinflüsse vereint. Errichtet zwischen 1176 und 1439, zieht die Basilika mit ihrer weltbekannten astronomischen Uhr jährlich rund vier Millionen Besucher an. Straßburg steht mit diversen Institutionen wie dem Europaparlament, dem Europarat oder dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte wie kaum eine andere Stadt für das geeinte Europa, und doch sollte derjenige, der statt moderner Architektur lieber Postkartenmotive einfängt, keinen Bogen um das Gerberviertel der Stadt machen.

„La Petite France“ heißt das malerische Stadtviertel mit schmucken Fachwerkhäusern im südwestlichen Teil der Altstadtinsel Grande Île, auf der im 16. Jahrhundert Gerber, Fischer und Müller ihr Zuhause fanden. Die Gassen und Kanalärme muten fast schon etwas venezianisch an – aber wir wollten Berlusconi ja außen vor lassen. Ein bisschen desillusioniert bleibt man allerdings zurück, wenn der Stadtführer die plausibelste Deutung der französischen Bezeichnung auspackt. Denn mit dem „kleinen Frankreich“ hat der Name des Viertels wenig zu tun. Er geht wohl vielmehr auf ein Hospiz zurück, das dort zur damaligen Zeit stand und zur Behandlung von Patienten mit Syphilis eingerichtet worden war, in jenen Tagen auch als die „französische Krankheit“ bekannt. Aber das ist wirklich nur ein winziger Wermutstropfen in das Wasser der Ill.

Der Radbrunnenturm in Breisach mit der bespielbaren Radbühne wurde über einem Tiefbrunnen errichtet.
Markus Kratzer. Mar

Das Wasser, diesmal wieder das des Rheins, trägt uns weiter nach Breisach, „Wendepunkt“ der fünftägigen Tour (bei der siebentägigen Route hat das Schiff zuvor noch das schweizerische Basel angesteuert). Hier, zwischen Schwarzwald und Vogesen, trägt man nicht nur mit Stolz den Titel „Europastadt“. Nein, gemeinsam mit der „Spiegelstadt“ Neuf-Brisach auf der anderen Seite des Oberrheins steht die Region wie kaum eine zweite für die deutsch-französische Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg. Und für den Fakt, dass der Rhein hier kulturelle Brücken schlägt. Schauen Sie sich nur die Architektur des Städtchens an oder stöbern Sie mal in den Speisekarten der Restaurants rund um den Marktplatz.

Wer gut zu Fuß ist, sollte auf jeden Fall den Aufstieg auf den Münsterberg wagen. Weit sichtbar über dem Rhein erhebt sich oben das St. Stephansmünster, das Wahrzeichen der Stadt. Erbaut vom Ende des 12. bis ins 15. Jahrhundert, beherbergt die Basilika einen sehenswerten Hochaltar von Hans Loy. Auf dem Hin- oder Rückweg lädt der Radbrunnenturm zu einem Stopp ein, eines der ältesten erhaltenen Bauwerke der Stadt, der über einem Tiefbrunnen errichtet ist. Und garantiert fixiert das Auge auf einer Seite ein futuristisch anmutendes Kunstwerk mit biblisch-mythologischen Wurzeln. Die Radbühne des Freiburger Bildhauers Helmut Lutz erweckt, wenn bespielt, Adam, Prometheus und Pandora zum Leben.

Das Lied "Wir leben alle im Schatten des Doms" ist zur Mainzer Hymne geworden. Die Bewohner der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt sind stolz auf ihre Identität und Mentalität.
Markus Kratzer

Die A-ROSA Clea verlässt die Region Kaiserstuhl, um stromabwärts Fahrt aufzunehmen in Richtung Mainz. Jene Stadt, der Napoleon (der echte, nicht der verkleidete aus Speyer) auch seinen Stempel aufdrückte. 1792 marschierten hier Truppen der Französischen Revolution ein, in der Folge wurde für wenige Monate die „Mainzer Republik“ ausgerufen, ein früher Versuch republikanischer Selbstverwaltung auf deutschem Boden. Zwischen 1798 bis zum Ende der Napoleonischen Kriege (1814) gehörte Mainz offiziell zu Frankreich. Doch (fast schon wieder) zu viel der Historie: Das heutige Mainz, wie unser Stadtführer nicht müde wird zu betonen, zeigt sich von seiner modernen, weltoffenen Seite, ohne die Tradition im Schatten von Dom und Gutenberg-Denkmal zu verleugnen. „Wir sagen, was wir wollen“, gibt Christoph Kozubek das Mainzer Lebensmotto vor, und schimpft dann beispielhaft schon mal gleich auf den Mainzer Bischof Peter Kohlgraf, weil dieser regelmäßig jammere und immer nur die Hand aufhalte. „Dabei ist das Bistum Mainz das zweitreichste nach Paderborn“, untermauert er seinen gemütlichen Zorn. Spätestens bei einem Schoppen Riesling oder bei Salzbrezeln mit selbst gemachtem Spundekäs, die unser Guide kredenzt, ist die Gelassenheit wieder vollends eingekehrt. Frei nach dem Motto: „Bevor isch misch uffresch, isses mer lieber egal.“

Die A-ROSA Clea gehört mit ihren 110 Metern Länge zu den kleineren Flusskreuzfahrtschiffen.
Markus Kratzer

Egal dürfte es den Flusskreuzfahrern nicht gewesen sein, als das Schiff zu seiner letzten Etappe, dem Ausgangsort Frankfurt aufbricht. Noch knapp 38 Flusskilometer den Main hinauf, dann steht die Skyline der fünftgrößten Stadt Deutschlands Spalier für die Einfahrt in den Osthafen. Von Bord geht es mit jeder Menge spannender Eindrücke im Gepäck, fotografischen Erinnerungen auf dem Handy und der Erkenntnis, dass schwimmender Geschichtsunterricht alles andere als langweilig ist.

Wissenswertes für Reisende

Zielgruppe: Diese Flusskreuzfahrt auf dem Rhein ist geeignet für alle Altersgruppen.

Beste Reisezeit: Frühjahr bis Herbst.

Unsere Ausflugstipps: Frankfurt: Das Panorama vom Main Tower (Neue Mainzer Straße 52-58) aus 198 Metern Höhe ist atemberaubend.

Speyer: Sea Life und Technik-Museum sind vom Schiffsanleger auch zu Fuß erreichbar.

Straßburg: Ein Geheimtipp ist die Kirche Saint Thomas (11 Rue Martin Luther) mit Silbermann-Orgel und spätbarocken Mausoleum für Hermann Moritz von Sachsen,

Breisach: Wer den steilen Münsterberg nicht erklimmen will, sollte in einem Café am Marktplatz das Flair der Stadt einatmen.

Mainz: Über 2000 Jahre alte Weinamphoren oder historische Sekt- und Champagnergläser finden sich im Kupferberg-Museum (Kupferbergterrasse 15).

Unser Autor ist auf Main und Rhein an Bord der A-ROSA Clea von Frankfurt bis Breisach und zurück gefahren. An- und Abreise erfolgten mit der Bahn von Montabaur nach Frankfurt. Diese Reise wurde unterstützt von der A-ROSA Flussschiff GmbH.

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