Ukraine-Krieg
Treffen sich Putin und Selenskyj zum Gipfel in Istanbul?
Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
Merz, Macron, Starmer und Tusk in Kiew
Ukrainisches Präsidentenbüro. DPA

Die Europäer starten ihre erste große diplomatische Initiative zur Beendigung des Ukraine Kriegs. Putin spielt den Ball zurück. Und am Sonntagabend gibt es eine Überraschung. Wie geht es nun weiter?

Kiew/Moskau/Berlin/Paris/Brüssel (dpa) - Für Bundeskanzler Friedrich Merz ist es die «größte diplomatische Initiative der letzten Monate», die da in Kiew in Gang gesetzt wurde. Von einem «historischen» Moment war die Rede, als er am Samstag im Garten des Marienpalastes gemeinsam mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, Großbritanniens Premierminister Keir Starmer sowie dem polnischen Regierungschef Donald Tusk und dem ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj eine Art Fahrplan zur Beendigung des seit mehr als drei Jahren tobenden russischen Angriffskriegs präsentierte: erst eine Waffenruhe von 30 Tagen ab Montag, dann Verhandlungen und am Ende hoffentlich irgendeine eine Lösung.

Was aus der Waffenruhe wird, war am Sonntagabend weiter unklar. Es sieht aber so aus, als könnte es am nächsten Donnerstag zum ersten Treffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und Selenskyj seit der russischen Invasion vor mehr als drei Jahren kommen.

Wie kam es dazu?

Putin trommelte mitten in der Nacht zu Sonntag Journalisten zusammen, um ein Gegenangebot zu der von Selenskyj und seinen vier wichtigsten europäischen Verbündeten vorgeschlagenen Waffenruhe zu unterbreiten: Direkte Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew in Istanbul. Die Gespräche sollten noch an diesem Donnerstag (15.5.) ohne Vorbedingungen beginnen, schlug Putin vor. Die Reaktion Selenskyjs und der Europäer war zunächst verhalten. Am Abend erklärte der ukrainische Präsident dann aber überraschend auf der Plattform X: «Ich werde am Donnerstag auf Putin in der Türkei warten, persönlich.» 

Wird Selenskyj auch ohne Waffenruhe nach Istanbul reisen?

Das ist nicht sicher. Selenskyj pochte auf X weiterhin auf einer Feuerpause. «Es hat keinen Sinn, das Töten fortzusetzen.» Als Bedingung nannte er sie aber nicht explizit.

Was war vorher passiert?

Kurz vor der Einwilligung Selenskyjs hatte US-Präsident Donald Trump den ukrainischen Staatschef aufgefordert, der von Putin vorgeschlagenen Wiederaufnahme direkter Friedensgespräche in der Türkei zuzustimmen. Nur dann wüssten Kiew, die europäischen Partner und die USA, woran sie seien und könnten entsprechend handeln, schrieb Trump auf seinem Online-Sprachrohr Truth Social. 

Hat sich Trump damit wieder auf die Seite Putins geschlagen?

Das kann man so nicht sagen. Denn der Republikaner äußerte auch Zweifel daran, dass Putin ein Friedensabkommen schließen wolle. Dieser sei zu sehr damit beschäftigt, «den Sieg im Zweiten Weltkrieg zu feiern». Er spielte damit auf die Parade zum Tag des Sieges über Nazi-Deutschland am Freitag an.

Was ist die Grundlage für die Gespräche?

Das ist noch unklar. Putin sagte zwar, es solle keine Vorbedingungen geben. Später erklärte sein außenpolitischer Berater Juri Uschakow allerdings, dass Russland durchaus ein Grundgerüst an Forderungen habe. So sollen einerseits die Ergebnisse der vorherigen Verhandlungsrunde aus dem Jahr 2022 – ebenfalls in Istanbul – berücksichtigt werden, andererseits die Entwicklungen an der Front seither. 

Was wurde 2022 in Istanbul ausgehandelt?

Im Entwurf eines Abkommens damals sollte die Ukraine auf den Nato-Beitritt verzichten. Die Unterzeichnung scheiterte schließlich auch daran, dass Russland zwar Garantiemacht für die Sicherheit der Ukraine sein wollte, selbst aber ein Vetorecht gegen das Eingreifen anderer Staaten wie der USA oder Großbritanniens forderte. Damit wäre die Ukraine in völlige Abhängigkeit vom guten Willen im Kreml geraten.

Wie steht Putin zur vorgeschlagenen Waffenruhe?

Dazu hat er sich nicht explizit geäußert. Die Sprecherin des russischen Außenministeriums, Maria Sacharowa, sagte aber später, es müsse erst über die Ursachen des Konflikts gesprochen werden, dann über eine Waffenruhe. Die Verweigerung einer vorherigen Feuerpause dürfte zwei Gründe haben: Erstens will Putin Stärke demonstrieren und daher kein Ultimatum annehmen. Zweitens sieht sich Moskau auf dem Schlachtfeld im Vorteil. 

Was haben die Europäer zu Putins Angebot gesagt?

In ersten Reaktionen am Sonntagmorgen werteten sie das Angebot Putins als positives Zeichen, wollten aber nicht von ihrer Forderung nach einer Waffenruhe abrücken: «Erst müssen die Waffen schweigen, dann können Gespräche beginnen», sagte Merz. Ähnlich äußerte sich Macron. Auf Selenskyjs Gesprächszusage gab es am Abend zunächst keine Reaktion.

Was passiert, wenn die Waffen am Montag nicht schweigen? 

Ob die Europäer dann ihre Drohung wahr machen, und die Sanktionen gegen Russland trotz der Gesprächszusage Selenskyjs für Donnerstag verschärfen, ist völlig unklar. Bis zum Abend gab es dazu keine Aussage der vier Staats- und Regierungschefs, die am Samstag in Kiew waren. 

Welche EU-Sanktionen gegen Russland wären noch möglich?

Seit Beginn des Angriffskriegs Moskaus gegen die Ukraine hat die EU 16 Sanktionspakete gegen Russland auf den Weg gebracht. Sie umfassen etwa Reisebeschränkungen, das Einfrieren von Vermögenswerten sowie eine Reihe von Einfuhr- und Ausfuhrbeschränkungen etwa für russische Energieträger wie Kohle und Öl. Derzeit wird ein 17. Sanktionspaket vorbereitet. Die neuen Strafmaßnahmen bei einer Nichteinhaltung der Waffenruhe sollen aber deutlich darüber hinausgehen. 

Wurden schon Einzelheiten genannt?

Es soll um den Energie- und Bankensektor gehen. Einzelheiten sind aber noch unklar. Die Verhandlungen innerhalb der EU dürften schwierig werden, weil die Mitgliedstaaten in vielen Sektoren nationale Interessen haben, gerade was den Energiebereich angeht. Als unwahrscheinlich gilt, dass die EU an das eingefrorene russische Vermögen in den Mitgliedstaaten gehen wird.

© dpa-infocom, dpa:250511-930-529549/2

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