Berlin (dpa) - Nach dem europäischen Vorstoß für eine Truppe zur Überwachung eines möglichen Waffenstillstands in der Ukraine bleibt unklar, wie sich Deutschland beteiligen könnte. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) ließ im ZDF die Frage nach einem Einsatz der Bundeswehr offen. Hoffnung auf einen schnellen Frieden dämpfte der Kanzler. Auch die Chance einer EU-Einigung zur Nutzung des eingefrorenen russischen Vermögens bewertete er nur mit «fifty-fifty».
Mehrere europäische Staaten hatten sich nach zweitägigen Verhandlungen mit der Ukraine und den USA am Montag für eine von Europa geführte «multinationale Truppe für die Ukraine» ausgesprochen. Diese von Europa geführte und den USA unterstützte Truppe soll die ukrainischen Streitkräfte unterstützen und die Sicherheit des Luftraums und der Meere gewährleisten. Dies solle «auch durch Operationen innerhalb der Ukraine» geschehen, hieß es.
«Putin wird irgendwann einmal Ja sagen müssen»
Auf die direkte Frage, ob sich die Bundeswehr beteilige, wich Merz aus. Er sagte, zu der Koalition der Willigen gehörten nicht nur europäische Staaten, sondern zum Beispiel auch Kanadier, Australier und andere Nationen der Welt. «Wenn es denn einmal so weit kommen sollte, wird es ja ein Waffenstillstandsabkommen mit Russland sein», sagte der Kanzler.
Auf einen Einwand der Interviewerin, dass der russische Präsident Wladimir Putin einen Einsatz ausländischer Truppen in der Ukraine ablehne, sagte Merz: «Putin hat zu vielem Njet gesagt, er wird irgendwann auch mal Ja sagen müssen, wenn es darum geht, diesen Krieg zu beenden. Das ist die Zeit nach dem Ende dieses Krieges, über die wir jetzt gerade sprechen, und für diese Zeit danach braucht die Ukraine Schutz.»
Zuvor hatten auch die Fraktionsspitzen der Regierungsparteien Union und SPD eine deutsche Beteiligung offen gelassen. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich zurückhaltend geäußert.
Merz sieht Fortschritt
Merz bekräftigte, dass die Berliner Gespräche Fortschritte gebracht hätten. Die Bereitschaft der USA zu Sicherheitsgarantien ähnlich wie die Beistandspflicht der Nato sei neu. US-Präsident Donald Trump habe die amerikanischen Zusagen bestätigt. Merz sprach von einer möglichen entmilitarisierten Zone, um die Konfliktparteien in der Ukraine zu trennen.
Allerdings sagte Merz auch: «Sie haben es an der Reaktion von Russland gesehen: Es wird noch kein Ende dieses Krieges bedeuten. Wir müssen gemeinsam weitergehen. Wir müssen gemeinsam weiter die Ukraine unterstützen.»
Der Kreml hatte nach den Berlin-Gesprächen, an denen Russland nicht beteiligt war, seine Ablehnung einer Waffenruhe im Ukraine-Krieg bekräftigt. «Wir wollen Frieden, wir wollen keine Waffenruhe», in der die Ukraine Atem schöpfen und sich auf die Fortsetzung des Kriegs vorbereiten könne, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow russischen Agenturen zufolge.
«Wenn wir jetzt nicht springen...»
Zurückhaltend äußerte sich Merz im ZDF auch dazu, ob sich der EU-Gipfel diese Woche auf eine Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens zugunsten der Ukraine einigen kann. Die Chance auf eine Einigung stehe bei «fifty-fifty», sagte der CDU-Politiker. Er mahnte erneut eine «klare europäische Haltung gegenüber Russland» an: «Wenn wir jetzt nicht springen (...) wann denn dann?»
Ob das in der EU eingefrorene russische Vermögen in dreistelliger Milliardenhöhe für die Unterstützung der Ukraine genutzt werden soll, steht im Zentrum des EU-Gipfels, zu dem sich ab Donnerstag 27 Staats- und Regierungschefs in Brüssel treffen. Merz äußerte Verständnis für die belgischen Vorbehalte: «Ich teile sie nicht, aber ich nehme sie ernst.»
Pistorius sieht viele offenen Fragen
Einem Einsatz deutscher Soldaten in der Ukraine-Truppe müsste der Bundestag zustimmen. Deswegen ist die Haltung der beiden Koalitionsfraktionen von Union und SPD entscheidend. SPD-Fraktionschef Matthias Miersch schloss eine deutsche Beteiligung nicht aus. Doch sagte er, die bei den Ukraine-Gesprächen in Berlin verabschiedete Erklärung sei sehr breit. Die nächsten Wochen müssten zeigen, was sich daraus ergebe.
Verteidigungsminister Pistorius sagte, das von den Europäern unterbreitete Angebot sei ein Bekenntnis zur Mitverantwortung. «Wenn Putin sagt, wohin er die Reise gehen will, dann werden wir weiter sehen, woraus das im Einzelnen bestehen kann.»
Briten bereiten sich auf Bodentruppe vor
Pistorius und sein britischer Amtskollege John Healey leiteten im Anschluss eine virtuelle Sitzung der Ukraine Defence Contact Group (UDCG), in der mehr als 50 Nationen Militärhilfe für die Ukraine organisieren.
Healey sprach mit Blick auf die Berlin-Gespräche von einem wesentlichen Moment in dem Krieg und Signalen des Fortschritts in den Friedensgesprächen. Er bereite die britischen Streitkräfte vor, «so dass wir einsatzbereit sind, wenn es Frieden gibt - mit Truppen am Boden und Jets in der Luft». Allerdings lasse Putin seine brutalen Angriffe auf die Ukraine fortsetzen. In den vergangenen beiden Monaten seien 20.000 Drohnen und Raketen auf die Ukraine abgefeuert worden.
Zehn Länder zählen zu den Unterzeichnern
Die Militärtruppe ist eine von mehreren Zusagen, die die unterzeichnenden Staaten für den Fall abgeben, dass eine Vereinbarung zur Beendigung des Krieges erzielt wird. Neben Merz unterschrieben die Erklärung auch seine Kolleginnen und Kollegen aus Frankreich, Großbritannien, Polen, Italien, Dänemark, Finnland, den Niederlanden, Norwegen und Schweden sowie EU-Ratspräsident António Costa und EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.
In der Erklärung der Europäer wird der Ukraine auch «anhaltende und erhebliche Unterstützung» ihrer Streitkräfte zugesichert, die in Friedenszeiten eine Stärke von 800.000 Soldaten haben sollten.
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