Parteitag
«Mittelfinger» und «Verrat»: Brantner will Grüne aufrütteln
Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen
Bundesparteitag Bündnis 90/Die Grünen
Moritz Frankenberg. DPA

Auf dem Bundesparteitag rechnet die Grünen-Chefin mit dem Kanzler, der CSU und sozialen Medien ab. Und zieht eine Parallele zur Nazi-Zeit.

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Hannover (dpa) – Mit drastischen Worten und einem Vergleich zur Nazi-Zeit versucht Grünen-Chefin Franziska Brantner den Kampfgeist ihrer Parteifreunde zu wecken. Die Bundesregierung zeige «jungen Menschen den Mittelfinger», ruft Brantner beim Bundesparteitag in Hannover den Delegierten zu. Bayerns Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder wirft sie «seine Wurst-Obsession» vor. Über Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagt sie: «Merz kann's nicht». Das habe schon Altkanzlerin Angela Merkel (CDU) erkannt.

«Das ist Verrat, das ist München II»

Den 28-Punkte-Plan der USA zur Beendigung des Ukraine-Kriegs bezeichnet Brantner in ihrer umjubelten Rede als «Unterwerfungs-Pakt» – und zieht dann eine historische Parallele zur Nazi-Zeit. «Das ist Verrat, das ist München II.» Sie spricht von einer «Kapitulation des Westens durch die Hintertür».

Auf der Konferenz in München 1938 gaben Frankreich und Großbritannien Forderungen Hitler-Deutschlands nach. Die Tschechoslowakei sollte ihre von Sudetendeutschen besiedelten Randgebiete schrittweise an das Deutsche Reich abtreten – Teil der gescheiterten Politik des «Appeasement» (Beschwichtigung) im Umgang mit Nazi-Deutschland.

Warnung vor «Leichensäcken eben auch in Berlin»

US-Präsident Donald Trump habe den Westen und die Nato de facto aufgegeben, sagt Brantner. «Wenn wir uns heute nicht um Europas Sicherheit kümmern, dann kommen morgen die Leichensäcke eben auch in Berlin an.»

Über die AfD sagt Brantner: «Das sind vaterlandslose Gesellen und keine Patrioten.» Zugleich ermuntert sie ihre Parteifreunde zum Kampf für Demokratie und eine offene Gesellschaft. «Ganz egal, was die Autokraten dieser Welt gegen uns in Stellung bringen, wir haben eine Antwort: Unsere Freiheit ist nicht verhandelbar!»

Ruf nach Eigenverantwortung

Mit Blick auf die Innenpolitik ruft Brantner zu Reformen auf. «Die Rente können wir nicht halten, wenn wir sie nicht grundlegend reformieren.» Eine höhere Lebenserwartung werde auch eine längere Arbeitszeit bei einigen nötig machen. Migration sei notwendig, aber: «Einwanderung ist eine Notwendigkeit und sehr häufig ein Geschenk, manchmal auch anstrengend.»

Nötig sei mehr Eigenverantwortung auch in klammen Kommunen, betont Brantner. Scharfe Worte findet sie auch für soziale Medien, wörtlich nennt sie Tiktok und X. Sie warnt vor einer «Kapitulation vor den Tech-Oligarchen» und Demokratiezersetzung, spricht von Propaganda-Maschinen und «Waffen gegen die Demokratie». Dagegen müsse sich Europa mit seinen Regeln wehren. «Wir Grüne, wir werden diese Waffen zerstören.»

Auch Dröge wird drastisch

Auch die Co-Fraktionsvorsitzende Katharina Dröge wählt in Hannover ungewöhnlich derbe Worte. Die zurückliegende Woche im Bundestag sei wieder «eine Woche zum Abgewöhnen» gewesen. Gerade in einer Zeit wie dieser, «wo ziemlich viel Scheiße läuft», brauche es Menschen, die zeigten, dass es auch anders geht.

Sie kündigt an: «Wir werden in den Widerstand gehen, wenn ihr wirklich vorhabt, vor Borkum Gas zu bohren.» Der Ausstieg aus den fossilen Energien sei notwendig.

Mäßige Umfragewerte

Noch vor dem Parteitag hatte sich der scheidende baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann mit einer Mahnung an die eigene Partei gewandt. Bei der Landtagswahl im kommenden Jahr will Ex-Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir den bislang einzigen Grünen-Ministerpräsidenten beerben, müsste dazu aber den Trend in den Umfragen drehen.

Die Grünen haben sich bislang nicht von ihrer Wahlschlappe bei der Bundestagswahl im Februar (11,6 Prozent) und dem Verlust der Führungsfiguren Robert Habeck und Annalena Baerbock erholt. Von der Schwäche der Bundesregierung können die Grünen als Oppositionspartei bislang nicht profitieren: In Umfragen pendeln sie weiterhin zwischen 11 und 12 Prozent.

Kretschmann mahnt von der Seitenlinie

Seine Partei warnt Kretschmann vor Wähler-Belehrungen. Auf die Frage, welches Erfolgskonzept er der Bundespartei mitgeben könne, sagte er in der SWR-Sendung «Zur Sache!», die Grünen sollten «klar in den Zielen, offen in den Wegen» sein und nicht «klar in den Zielen und die Wege dorthin auch noch vorschreiben zu wollen». Seine Warnung: «Das geht schief.» Man müsse die Bürger einbeziehen. «Da muss man nicht dogmatisch an dem Weg, den man selber für richtig hält, festhalten.»

Auch in Rheinland-Pfalz, Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt wird im kommenden Jahr gewählt. Susan Sziborra-Seidlitz, Spitzenkandidatin der Grünen für die Landtagswahl in Sachsen-Anhalt, wirbt bei den Delegierten um Unterstützung für den Wahlkampf im kommenden Jahr. Sie ruft in den Saal: «Sachsen-Anhalt ist so viel mehr als ein Bindestrich-Land mit Nazi-Problemen.»

© dpa-infocom, dpa:251128-930-356135/1

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