1 Bündnis 90/Die Grünen
Enttäuschte Gesichter in der Berliner Columbiahalle, wo sich am Sonntag die Grünen zur Wahlparty getroffen haben. Die Partei erlitt mit 12,0 Prozent der Stimmen nach der 18-Uhr-Prognose die größten Verluste. Bei der Europawahl 2019 hatten sie mit 20,5 Prozent noch ein historisch gutes Ergebnis geholt. Das Wahlziel, besser abzuschneiden als die AfD, verfehlten die Grünen damit deutlich um mehr als vier Prozentpunkte. Im Wahlkampf hatten sich die Grünen als Gegenpol zur AfD positioniert.
Insbesondere unter jungen Wählern haben die Grünen deutlich verloren. Die Stimmung war in der Columbiahalle am Abend entsprechend gedrückt. „Dieses Wahlergebnis ist sicher kein zufriedenstellendes”, kommentierte Parteichef Omid Nouripour das Ergebnis, als er sich gegen 18.25 Uhr der Partei stellte. Spitzenkandidatin Terry Reintke fügte hinzu: „Es wäre falsch dieses Ergebnis schönreden zu wollen.” Es sei notwendig, das Ergebnis aufzuarbeiten.
Im Europaparlament hoffen die Grünen auf einen Trumpf: EVP-Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen ist auch auf die Stimmen der Grünen angewiesen, will sie erneut zur Kommissionspräsidentin gewählt werden. Von der Leyen könnte zwar auch mit Stimmen der rechten italienischen Meloni-Partei eine Mehrheit organisieren, doch das dürfte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) übel aufstoßen, der von der Leyens Kandidatur für den Kommissionsvorsitz unterstützen muss.
Mit dieser Wahlschlappe dürften die Spannungen in der Ampelkoalition weiter zunehmen und die Grünen vor der Frage stehen, ob sie ihr selbst auferlegtes Schweigen in vielen strittigen Fragen, etwa beim Bundeshaushalt, aufgeben sollten.
In der innerparteilichen Perspektive geht es bei den Grünen um die Frage, wer im Herbst 2025 als Kanzlerkandidat antritt – Vize-Kanzler Robert Habeck oder Außenministerin Annalena Baerbock. Da Habeck die Debatten der letzten Wochen eher dominiert hatte, könnte das enttäuschende Wahlergebnis das Baerbock-Lager beflügeln.
2 FDP
Lauter Jubel begleitete die 18-Uhr-Prognose im Hans-Dietrich-Genscher-Haus, der FDP-Parteizentrale in Berlin. Ein Ergebnis von mindestens 5,0 Prozent galt bei den FDP-Anhängern als ein gutes Ergebnis – das wurde nun, wenn auch knapp, erreicht. Unmittelbar vor der Europawahl hatten Umfragen auf ein schlechteres Abschneiden der Liberalen gedeutet.
Als um 18.20 Uhr Spitzenkandidatin Marie-Agnes Strack-Zimmermann die Bühne betrat, wurde der Jubel geradezu frenetisch. „Ihr macht mich verlegen“, sagte sie. Man habe in Umfragen bei drei, vier Prozent gelegen. „Jetzt liegen wir stabil bei fünf Prozent. Unsere Nachricht wurde gehört: das Thema Wirtschaftswende, das Thema Sicherheit, die Migration“, sagte die 66-jährige Düsseldorferin. An die Adresse all derer, die sich in Berlin über ihren Wechsel nach Brüssel freuen würden, sagte sie: „Täuscht euch nicht.“ Sie werde auch von Brüssel aus weiter in Berlin präsent sein. „Ich bin froh, ich bin glücklich, ich bin erleichtert“, sagte Generalsekretär BIjan Djir-Sarai.
Dennoch bleibt die FDP nach der Europawahl und zuvor etlichen Wahlschlappen bei Landtagswahlen weiter unter Druck. Obwohl sie mit Strack-Zimmermann eine bundesweit bekannte und bei FDP-Anhängern sehr populäre Spitzenkandidatin ins Rennen schickte, schnitt sie nicht besser ab als vor fünf Jahren (5,4 Prozent). Die Ampel scheint der Partei weiterhin nicht gutzutun, nach wie vor fremdeln viele Anhänger mit dem Bündnis.
In der Koalition dürfte es wegen der Verluste aller drei Ampel-Parteien jetzt noch unbequemer werden. FDP-Chef und Bundesfinanzminister Christian Lindner drohte mit dem vorzeitigen Koalitionsbruch, sollten sich SPD und Grüne beim Haushalt nicht an die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag halten. Er wird diese Drohung nicht mehr oft wiederholen können – in den Wochen bis zum Kabinettsbeschluss am 3. Juli steht es in Berlin deshalb spitz auf Knopf.
3 Die Linke
Die Linke leidet stark unter der Spaltung durch Sahra Wagenknecht, deren „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) deutlich besser abschnitt und viele frühere Linken-Wähler abwerben konnte. Die Linken verloren gegenüber der letzten Wahl (5,5 Prozent) die Hälfte der Stimmen und erreichten laut Prognose nur noch 2,8 Prozent. Dabei hatte sich die Linke in einem Punkt von allen Wettbewerbern unterschieden: Als einzige Partei hatten sie die europäische Asylreform Geas abgelehnt. Deutlich machte sie diese Position auch mit Carola Rackete, die einst als Seenotretterin und Flüchtlingshelferin berühmt wurde und nun vor allem als Klimaaktivistin auftritt, auf Platz zwei der Wahl-Liste nach Parteichef Martin Schirdewan.