Deutschland & Welt
Kommentar zur Debatte über weitere Lockerungen: In der zweiten Welle braucht es mehr Freiheiten

Wenn der teils unsägliche Streit zwischen dem Virologen Christian Drosten und der „Bild“-Zeitung eines gezeigt hat, dann dies: Wissenschaft und Forschung müssen nicht nur mit Hochdruck an wirksamen Medikamenten und einem Impfstoff im Kampf gegen das Coronavirus arbeiten – ebenso wichtig ist es, mehr gesicherte Erkenntnisse darüber zu gewinnen, welche der umfangreichen Maßnahmen während der ersten Infektionswelle wirksam, also nötig waren, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen. Denn es dürfte klar sein, dass sich Deutschland während einer möglichen zweiten Welle im Herbst keinen zweiten Lockdown wie im Frühjahr leisten kann. Das ist dem Land wirtschaftlich, finanziell, aber auch gesellschaftlich und seelisch nicht zuzumuten.

Daraus lassen sich zwei Schlussfolgerungen ziehen: Erstens gilt es, die Grundregeln zur Eindämmung des Coronavirus, also vor allem die Einhaltung von Abstands- und Hygieneregeln, auch in der warmen Jahreszeit mit geringen Infektionszahlen aufrechtzuerhalten. Dazu gehört ein Mund-Nasen-Schutz. Dass die Deutsche Bahn dies in ihren Zügen nur empfiehlt und der rheinland-pfälzische Dehoga-Chef Gereon Haumann die Pflicht in Restaurants infrage stellt, ist unverantwortlich. Die Maskenpflicht wurde gerade erst vom Mainzer Verwaltungsgericht als verhältnismäßig bezeichnet – sie steigere den Infektionsschutz in einem nicht unerheblichen Maße. Man kann hinzufügen: Sie ist ein wichtiges Zeichen von Solidarität und Vernunft in der Krise.

Zweitens sollten Wissenschaftler dazu beitragen, dass die Politik Widersprüche und sinnlose Einschränkungen für die Bürger beseitigen kann. Dafür braucht es belastbare Studien. Daraus sollte die Politik einheitliche Regeln formulieren und Raum für differenzierte, teilweise auch regional unterschiedliche Lösungen schaffen. Es braucht eine ehrliche Debatte über eine immer nötige Güterabwägung. Es darf sich nicht wiederholen, dass die bloße Angst vor einer Ausbreitung zu Einschränkungen führt. Sollte etwa nicht klar belegt sein, dass Kinder das Infektionsgeschehen maßgeblich beeinflussen, gibt es keine Rechtfertigung mehr dafür, die Kitas während einer zweiten Welle zu schließen. Und es muss alten Menschen erlaubt sein, am Ende ihres Lebens eigenverantwortlich zu entscheiden, ob sie sich dem Risiko einer Ansteckung aussetzen wollen. Nur wenn sich die Bürger freier fühlen als in diesem Frühjahr, wird das Land auch eine zweite Welle glimpflich überstehen.

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