Von ALEXEI MAKARTSEV, London
Das also hat David Cameron wirklich gemeint, als er vor dem G8-Gipfel Großbritannien als eine „kleine Insel mit einem großen Fußabdruck in der Welt“ gepriesen hat. Nach Informationen des Guardian, der sich auf geheime Dokumente im Besitz des US-Enthüllers Edward Snowden beruft, soll die britische Überwachungsbehörde GCHQ internationale Internet-Spionage im gigantischen Ausmaß betreiben, der selbst die Aktivitäten des US-Geheimdienstes NSA in den Schatten stellen würde.
Die High-Tech-Lauschzentrale im Osten Englands nutzt angeblich seit 2011 Schlupflöcher in der Gesetzgebung, um heimlich 200 transatlantische Glasfaserkabel anzuzapfen, durch die Europas Netzverkehr mit Amerika fließt. Das bedeutet: Um einigen wenigen Verbrechern und Terroristen das Handwerk zu legen, fangen die Briten theoretisch einen Großteil unserer E-Mails, Telefonate und Daten zu aufgerufenen Webseiten ab.
Wer auf eine solche Weise Millionen Menschen unter Generalverdacht stellt und gleichzeitig behauptet, die grenzenlose Spionage sei notwendig, verhältnismäßig und legitim weil „unabhängig überwacht“, der macht sich lächerlich. Wir können aus dem Skandal zwei Schlüsse ziehen. Erstens waren die Bürger und die Politiker zu lange zu naiv. Während wir noch geglaubt haben, eine Total-Kontrolle des weltweiten Netzes sei noch pure Science-Fiction, liefen in Cornwall bereits 2007 entsprechende Pilotversuche der digital versierten Schlapphüte. Die Briten knackten den Enigma-Kriegscode, stellten die Weichen für Künstliche Intelligenz und gaben dem von ihnen geprägten Begriff „Big Brother“ einen praktischen Sinn, indem sie im Königreich sechs Millionen Videoüberwachungskameras installiert haben, die neuerdings auch Geräusche aufzeichnen.
Was kann jetzt noch ausgeschlossen werden? Wahrscheinlich entwickelt der GCHQ gerade eine Maschine, die via Glasfaser aus dem Getrommel unserer Finger auf den PC-Tastaturen Schlüsse über unseren Gemütszustand und unsere Absichten ziehen wird.
Darum, und das ist der zweite Schluss, muss das Westminster-Parlament dringend handeln. Ein neues Gesetz über den Schutz der Privatsphäre der Bürger im Internet muss her. Außerdem muss in einem demokratischen Land wie Großbritannien die Kontrolle über die entfesselten, unersättlichen Lauscher wirklich unabhängig und transparent werden. Schließlich sollten die Briten eine umfassende Auskunft erteilen, wie viele privaten Daten gesammelt und analysiert wurden – auch aus Deutschland.
Viel Hoffnung in eine Klärung des Skandals sollten wir allerdings nicht haben. Dazu ist der Druck der britischen Öffentlichkeit zu schwach, die sich längst an das Leben unter den Augen des „großen Bruders“ gewöhnt hat.