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Einwurf zum Umgang mit der Corona-Krise: Miteinander gegen die Ohnmacht

Das erste Lebenszeichen, das ich von Heinke nach einer halben Ewigkeit erhielt, war ein Satz, der lange in mir nachhallte, mich auch rätseln ließ: „Was so großartig an Corona ist – es bringt die Menschen zusammen.“ Was meinte sie damit? Meine Cousine schrieb auf Englisch, was mich noch mehr verwirrte. Sie antwortete auf meine E-Mail, in der ich sie um ein Interview in ihrer Funktion als Lungenspezialistin in einem Londoner Krankenhaus bat.

Christian Kunst über seinen Umgang mit der Corona-Krise

Heinkes Vater ist der kleine Bruder meines Papas. Kriegskinder. Geboren 1934 und 1940. Corona-Risikopatienten. Der eine, mein Papa, herzkrank, der andere, mein Onkel, hat gerade eine schwere Erkrankung durchlebt. Meine Eltern befinden sich schweren Herzens in selbst gewählter Quarantäne – nur meine älteste Schwester kommt noch zu ihnen, versorgt sie mit Lebensmitteln, dem Nötigsten, Begegnung und viel Zuwendung. Die große Familie ist plötzlich fern, nur noch am Telefon nah. Die Flüchtlingskinder aus Syrien in der Nachbarschaft, um die sich meine Eltern seit Jahren aufopferungsvoll kümmern, sehen sie nur noch auf WhatsApp- Videos. Von einem Tag auf den anderen ist die Welt eine andere. Scheinbar auswegslos. Vielleicht hat es sich ein wenig wie jetzt angefühlt, als meine Eltern als Kinder erlebten, wie der Krieg ausbrach, der Vater wegging, der Onkel, der Cousin. Vielleicht hatten sie Angst wie einige von uns heute.

Heinke war selten da, wenn sich die Familie traf. Meine Tante berichtete stolz, ihre Tochter sei gerade in Pakistan, später Kenia, jetzt London. Immer hat sie sich um die Schwachen, die Verlorenen, die Vergessenen, die Schwerkranken in dieser Welt gekümmert. Jetzt um die Corona-Opfer. Sie hat ihren reichen Verstand, die Bildung, die ihre Eltern ihr geschenkt haben, genutzt, um anderen zu helfen. Wer mit ihr spricht, hört nichts von Angst. Und doch ist zu spüren, wie ihr Tun sie vor der Ohnmacht schützen kann. Eine Ohnmacht, die unsere Eltern als Kinder ungleich stärker erlebt haben und gegen die sie wenig ausrichten konnten. Erst heute fängt mein Vater an, über diese Zeit zu reden und zu schreiben. Seine Lebensgeschichte ist in Arbeit.

Als ich spürte, dass die Corona-Krise mich auch ohnmächtig zu machen drohte, schrieb ich an meine Familie und Freunde: „Ich schwanke zwischen einer großen Sorge und einem Optimismus, dass wir alle das Beste aus all dem machen. Unsere Gesellschaft ist kreativ, unglaublich anpassungsfähig, oftmals solidarisch, sozial und unglaublich empathisch im Umgang mit den Schwachen und Kranken. Um die müssen wir alle uns kümmern, für sie sorgen, und wir müssen immer darüber nachdenken, ob unser Verhalten sie gefährden könnte. Aus meiner Sicht ist diese Pandemie auch eine große Chance, sich auf das zu besinnen, was wirklich wichtig im Leben ist: das Miteinander.“ Vielleicht ist das meine Aufgabe in dieser Krise als Journalist mit einem Faible für Medizin und Gesundheit: gegen die Ohnmacht anschreiben, die Köpfe der Menschen mit vielen Informationen über den Kampf gegen das Virus versorgen und ab und an auch die Herzen erreichen. Ja, liebe Cousine, das Virus kann die Menschen zusammenbringen. Lass uns daran arbeiten, dass es so bleibt, wenn wir es hoffentlich bald niedergerungen haben.

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