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CeBIT 2014: Die Würde des Menschen ist auch im Digitalen unantastbar

Mit dem Wissen von heute hätten wir vieles anders als gestern gemacht. Entscheidungen fallen gelegentlich aus merkwürdigen Gründen. Manch einer hätte ein anderes Auto gekauft, wenn er gewusst hätte, welche Kfz-Partnerschaften Apple mit seinem kurz vor der Computermesse Cebit angekündigten Auto-"Radio" plant.

Es kommentiert unser Digitalchef Marcus Schwarze

Ein anderer hätte die angebotene Stelle in der neuen Stadt ausgeschlagen, wenn er gewusst hätte, dass am neuen Wohnort eine gewisse Lebensqualität durch einen schnellen Internetzugang nicht sichergestellt ist. Und ein dritter hätte sein Kind lieber auf eine Schule geschickt, auf der der Klassenlehrer wie selbstverständlich per WhatsApp oder Facebook seine Schüler halbwegs im Zaum hält, an allen Richtlinien für Lehrer vorbei.

Mehr Wissen bedeutet in der Regel bessere Entscheidungen. Und wenn das Internet in den vergangenen 15 Jahren etwas erreicht hat, dann das: mehr Wissen, viel im positiven Sinne, manches aber auch im negativen Sinne.

Immer neue Entwicklungen

Die Komplexität der Systeme steigt. Wir halten nicht mehr Schritt. Das fängt bei den simplen Dingen an, die auch auf der Cebit zu sehen sein werden. Gerade hat man sich in Europa auf halbwegs einheitliche Ladekabel für Strom geeinigt, leider noch ohne sichtbare Verringerung des Kabelsalats. Da droht das nächste Systemchaos: mit Ladespulen, die in Ablagematten eingelassen sind. Nutzer werden künftig ihre Handys zum Neuaufladen bequem auf eine solche Matte legen können, im Restaurant wie zu Hause – vorausgesetzt die Ladestation ist kompatibel. Für diese Technik, Induktion genannt, ist allerdings noch lange kein Standard in Sicht.

Auch im schnellen Internetmarkt ist Regulierung praktisch unmöglich. Früher gab es das Telefonat oder die SMS, dann die Mail. Noch gar nicht so lange her ist, dass man von AOL keine Mail zu Compuserve senden konnte. Es wurde als großer Fortschritt gefeiert, dass eine Mail über System- und Unternehmensgrenzen hinweg zum weltweiten universellen Medium wurde.

Für die immer beliebter werdenden Statusmeldungen dagegen wird die Nutzungsmöglichkeit zurzeit immer gruseliger: Facebook, Whats-App, Threema, Telegram heißen die Transportwege, fast wöchentlich kommt ein neuer hinzu. Wen seiner Kontakte man wie am besten erreicht, ist unklar – und in der Folge gleicht so mancher sein komplettes Adressbuch, dienstlich wie privat, mit allen Diensten ab. Übergänge zwischen den Anbietern sind in weiter Ferne, Datenschutzvereinbarungen das Herunterscrollen nicht wert.

Onliner und Nonliner

Hinzu kommt ein immer tiefer werdender Graben zwischen Nutzern des Netzes und den sogenannten Nonlinern. Während in den Großstädten der Republik dank zuverlässig flächendeckendem Internet neue interessante Dienste beispielsweise zum Teilen von Autoflotten immer beliebter werden, ist auf dem weiten Land kaum einmal ein Taxidienst per App erreichbar. In manchen Tälern unweit von Koblenz bekommt man gerade so eben Deutschlandfunk und Handyempfang, aber mit UMTS-Geschwindigkeit für die Daten darf man da nicht rechnen.

Beim stationären Internet ist es noch schlimmer. Ein Landstrich bleibt vielleicht nicht unbedingt zurück, wenn Bewohner auf das neue „Supergeil“-Video verzichten müssen, von dem viele reden. Aber für das jüngste 150-Megabyte-Sicherheitsupdate für Windows oder das iPad sollte niemand in die Firma fahren müssen. So es denn dort schnelles Netz gibt.

„Schnell“ definierte die Bundesregierung bis vor drei Monaten noch mit 1 Megabit pro Sekunde Übertragungsgeschwindigkeit. Ein Witz. Damit dauerte und dauert in manchen Gegenden immer noch so ein Sicherheitsupdate 20 Minuten. Pro Gerät.

Flächendeckend schnelles Internet?

50 Mbit/s sind nun „flächendeckend“ bis 2018 geplant. Man darf gespannt sein: Welche Flächen sind damit gemeint? Wer kommt zuerst in den Genuss familienverträglicher Hausarbeitsmodelle, die erst durch schnelles Internet möglich werden? Welcher Bürgermeister kann die damit einhergehenden Standortvorteile für Firmen ausnutzen? Und welcher Kultusminister realisiert die neuen Formen des Lernens in der Schule und im Studium über Kinderkrams wie Facebook hinaus?

Experten gehen davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren deutlich mehr als 100 Megabit pro Sekunde „flächendeckend“ nötig werden. Schöne Grüße von dieser Stelle an Idar-Oberstein und Altenkirchen, wo manch einer schon für 16 Megabit/Sekunde jeden Abend eine Kerze ins Fenster stellen würde.

Das ganze Beiwerk einer durchgreifend digitalisierten Gesellschaft haben wir noch nicht einmal im Ansatz als Aufgaben erfasst. Es geht um Verbraucherschutz, Arbeitnehmerschutz, Kinder- und Jugendschutz, Datenschutz, Urheberrecht und die Cyberkriminalität. Das ist eine Phalanx von Themen. Für die könnte eine zweite Bundesregierung neben der richtigen immensen Arbeitsaufwand investieren – und das nicht für Deutschland, sondern im Einklang mit internationalen Akteuren.

Das Internet ist kaputt

Auf internationaler Ebene bleibt ein noch gravierenderes Problem ungelöst. Weiterhin hat die Weltgemeinschaft kein klares „Nein“ gegen die fortgesetzte Missachtung des durchaus exportwürdigen Artikel 1 des deutschen Grundgesetzes entgegensetzt. Amerikanische und britische Geheimdienste drangen massenhaft in Computer unbescholtener Bürger ein, und es gibt keine Anzeichen dafür, dass sie davon lassen.

Doch die Würde des Menschen ist auch im Digitalen unantastbar. Mit Stand heute im Jahre 2014 der Cebit muss man leider festhalten: Das Internet ist unterreguliert und unter vielen Gesichtspunkten kaputt.

E-Mail: marcus.schwarze@rhein-zeitung.net

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