Koblenz
Mediator-Test: Wenn Nachbarn wie Kesselflicker streiten

Koblenz - Wenn sich Nachbarn wie die Kesselflicker streiten, hilft oft nur der Gang zum Streitschlichter – wenn der ganze Zoff nicht vor Gericht enden soll. Franz Obst ist Anwalt in Koblenz und der neue Star der RTL-Fernsehserie „Nachbarschaftsstreit“. Unsere Interviewer haben ihn getestet...

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Koblenz – Wenn sich Nachbarn wie die Kesselflicker streiten, hilft oft nur der Gang zum Streitschlichter – wenn der ganze Zoff nicht vor Gericht enden soll. Franz Obst ist Anwalt in Koblenz und der neue Star der RTL-Fernsehserie „Nachbarschaftsstreit“, in der er als Mediator auftritt. Grund genug für unsere beiden Interviewer, den Streitschlichter einmal auf die Probe zu stellen. Und wie geht das besser, als wenn man sich während des Interviews zünftig in die Haare bekommt?

Defrancesco: Warum wird man heute noch Jurist? Gibt es so etwas wie den Traum von Gerechtigkeit?

Obst: Den gibt es, aber nur ganz am Anfang. Wenn man dann mal ein paar Jahre lang Praxis hat, ist man ernüchtert. Gerechtigkeit gibt es vielleicht im Himmel, aber auf Erden ist sie schwierig zu bekommen.

Defrancesco: Aber das ist Ihr Job, Herr Obst! Sind Sie ein bisschen schwärmerisch zugange gewesen, als Sie beschlossen haben, Jurist zu werden?

Kauer: Oder war's das Geld?

Obst: (lacht) Am Anfang dachte ich: Ich möchte etwas bewegen und deshalb Jurist werden. Das Jurastudium war ehrlich gesagt eine Katastrophe. Das war dermaßen trocken ... Ich habe das große Latinum und das große Graecum, und deshalb habe ich mich damals entschieden, erst mal Archäologie zu studieren. Da habe ich das Grundstudium abgeschlossen, und dann habe ich erneut überlegt: Was kann ich nun tun? Gut, mit diesem Studium kann man Museumsdirektor werden oder an Ausgrabungen teilnehmen – und irgendwie habe ich dann beschlossen, doch das Jurastudium zu beenden. Als ich in die Referendarzeit kam, fing es an, richtig Spaß zu machen.

Kauer: Haben Sie einen Lieblingsparagrafen?

Obst: Ich arbeite ganz intensiv im Bereich Mietrecht, und deshalb mag ich den 535 BGB ganz besonders.

Kauer: ... weil?

Obst: Dieser Paragraf regelt das Mietverhältnis! Später kam dann bei mir noch das Strafrecht dazu; das macht mir fast noch mehr Spaß als das Zivilrecht, weil da noch mehr Salz in der Suppe ist.

Defrancesco: Werden Paragrafen für Sie oder für uns geschrieben?

Obst: Eigentlich für den Bürger; der soll damit umgehen können! Deshalb kann man die Ursprungsfassung des Bürgerlichen Gesetzbuchs auch wunderbar verstehen. Aber dann wurde immer wieder etwas Neues aufgenommen ...

Kauer: Wenn Sie Nachbarschaftsstreits klären – mit welchem Gesetz haben Sie dann zu tun?

Obst: Als Streitschlichter interessiert mich das Gesetz eher weniger; da geht es darum, die Parteien wieder an einen Tisch zu bekommen. Es gibt natürlich ein paar Vorschriften, die ich im Hinterkopf habe. Aber ich achte besonders darauf, bei den Leuten die sozialen Umgangsformen wiederherzustellen.

Defrancesco: Führt man diese Leute vor, wenn die Fälle im Fernsehen gezeigt werden?

Obst: Die Leute haben einen hohen Leidensdruck. Und sie sehen: Da ist jemand im Fernsehen, der uns helfen kann. Und deshalb entscheiden sie sich, bei der Sendung mitzumachen.

Defrancesco: Wie sind Ihre Nachbarn?

Obst: Sehr nett.

Defrancesco: Welchen Streit hatten Sie schon?

Kauer: Obstbaum, der über den Zaun wächst ...

Obst: Mit den Nachbarn hatte ich noch nie Stress, zum Glück!

Defrancesco: Sie behandeln im Fernsehen ja die unterschiedlichsten Themen, zum Beispiel Kinderlärm. Gut, da will es mir jetzt nicht in den Kopf, wie man sich da aufregen kann; ich habe drei entzückende Kinder, die lieben es, draußen zu spielen ...

Kauer: Ach ja, drei entzückende Kinder? Herr Obst, ich wohne neben dem Kollegen, und seine Kinder gehen mir gehörig auf den Keks. Die kreischen immer dann draußen herum, wenn ich meine Ruhe haben will.

Defrancesco: Was soll denn das heißen? Wenn das Wetter schön ist, sind wir im Garten! Sollen wir nach Uhrzeiten draußen spielen?

Kauer: Das wäre doch mal 'ne Idee.

Defrancesco: Kinder sind keine Hunde!

Kauer: Ich arbeite den ganzen Tag, und wenn ich am Wochenende dann endlich mal zu Hause bin und ein gutes Buch lesen will, machen deine Kinder im Garten Lärm.

Defrancesco: Kinder machen keinen Lärm. Du tust so, als würdest du neben einer Großbaustelle leben!

Kauer: Hallo? Natürlich ist das Lärm! Hast du deine Kinder mal streiten gehört? Deine Frau hat die überhaupt nicht im Griff.

Defrancesco: Doch – und was heißt überhaupt „im Griff“? Wir dressieren unsere Kinder nicht! Wenn Kinder draußen spielen, ist es völlig normal, dass sie toben, rufen, streiten, laut sind. Zieh doch woanders hin, wenn dich das stört!

(Obst macht sich emsig Notizen.)

Kauer: Wer war denn zuerst da? Bevor ihr überhaupt an Kinder gedacht habt, bevor ihr die Schaukel und den Sandkasten im Garten aufgebaut habt, hab ich schon da gewohnt!

Defrancesco: Typisch Karrierefrau, nicht wahr, Herr Obst? Kinderfeindliches Deutschland! Da spielen Kinder harmlos und schön im Garten, und irgendwo gibt es immer eine Singlefrau, die sich gestört fühlt ...

Kauer: Auf dem Niveau diskutiere ich gar nicht mit dir.

Defrancesco: Soll ich die Kinder einsperren?

Kauer: Erziehen reicht völlig. Das kann ja wohl nicht so schwer sein.

Defrancesco: Es kann auch nicht so schwer sein, am Samstagabend, wenn unsere Kinder schlafen, mal keine Party und keinen Lärm zu machen. Da drehst nämlich du auf! Wenn bei uns Ruhe einkehrt, dann hast du deine Singlepartys oder was auch immer. Diesen Krach finde ich wesentlich störender, als wenn meine Kinder im Garten spielen.

Kauer: Herr Obst, helfen Sie mir!

Obst: Ihnen allein helfe ich nicht!

Defrancesco: Der kann gar nicht geholfen werden!

Kauer: So geht das die ganze Zeit!

Obst: Das ist der typische Streit zwischen Nachbarn, wundervoll. Haben Sie beide mal versucht, in Ruhe über das Thema zu reden?

Defrancesco: Keine Chance; Sie haben die Frau ja gerade selbst gehört.

Obst: Was stört Sie, Frau Kauer, denn ganz besonders?

Kauer: Als die Kinder klein waren, war es ja noch okay. Aber seitdem die Schaukel bei ihm im Garten steht, ist da ein regelrechter Spielplatz entstanden.

Obst: Aha! Haben Sie das mal bei Herrn Defrancesco angesprochen?

Kauer: Bei seiner Frau. Ich glaube, dass ich da auch sehr sachlich geblieben bin. Wenn ihr wenigstens die Mittagsruhe einhalten würdet!

Defrancesco: Wenn die Kinder mit den Hausaufgaben fertig sind, müssen sie doch nicht noch in der Wohnung sitzen.

Obst: Haben Sie mal mit den Kindern gesprochen?

Defrancesco: Nein.

Obst: Treffen Sie sich mit der Nachbarschaft? Gemeinsame Grillpartys?

Defrancesco: Nein, wir haben nichts miteinander zu tun.

Kauer: Wir leben sehr unterschiedliche Lebensentwürfe.

Obst: Spielen Sie mit den Kindern gemeinsam, Herr Defrancesco?

Defrancesco: Natürlich.

Obst: Und Sie empfinden den Lärm nicht auch manchmal als störend?

Defrancesco: Wir sind nicht übertrieben laut, würde ich mal sagen.

Kauer: Na, na ...

Obst: Frau Kauer, irgendwann sind die Kinder alle aus dem Haus. Sie müssen lediglich noch eine gewisse Zeitspanne überbrücken; wenn die erst mal älter werden, interessiert sie keine Schaukel mehr. (lacht)

Kauer: Na toll. Und wie machen wir das?

Obst: Sagen Sie es mir!

Kauer: Geh doch mal mit den Kindern ins Schwimmbad oder so. Dann kann ich meinen Mittagsschlaf halten.

Defrancesco: Einverstanden. Aber dann musst du auch mal bei uns auf die Kinder aufpassen, damit ich mit meiner Frau etwas unternehmen kann.

Obst: Das ist ein sehr guter Vorschlag. Wenn Sie mit den Kindern auch ab und zu spielen, dann merken die, dass die Tante Angela eigentlich eine ganz Liebe ist. Und wenn Sie dann mal rüberrufen „Seid bitte ein bisschen leiser!“, dann nehmen die Kinder das viel ernster.

Kauer: Auch einverstanden.

(Handschlag zwischen Defrancesco und Kauer; Obst lacht und applaudiert.)

Defrancesco: Wie haben Sie das hingekriegt, uns zu versöhnen?

Obst: Ich habe versucht, bei Ihnen beiden Verständnis füreinander zu wecken.

Kauer: Haben wir's Ihnen leicht gemacht?

Obst: Sie waren richtig gut, Kompliment! Aber Sie waren nichts gegen Nachbarn, die sich jahrelang nicht gegrüßt haben und schon ewig in hartem Streit miteinander leben.

Defrancesco: Was haben Sie gedacht, während wir uns gezofft haben?

Obst: Natürlich denke ich manchmal: „Die machen es sich aber schwer.“ Aber grundsätzlich versuche ich zu verstehen, warum das Verhältnis so zerrüttet ist. Irgendwann kommen die Nachbarn an einem Punkt an, wo schon Kleinigkeiten schlimme Folgen haben können, und da wird es dann höchste Zeit, etwas zu unternehmen. Da muss ich versuchen, von der Streitebene auf die Gefühlsebene zu kommen. Man muss Verständnis für die Gefühle des anderen wecken! Wenn man sich da erst einmal drauf einlässt, dann geschieht unheimlich viel Positives.

Kauer: Gibt es hoffnungslose Fälle?

Obst: Ja, so einen Fall hatte ich gerade. Da hat sich eine Partei einfach nicht auf eine Schlichtung eingelassen.

Kauer: Was machen Sie da?

Obst: Dann kann ich der unterlegenen Partei nur Tipps geben, wie man sich besser arrangieren kann. Mehr kann ich dann nicht tun. Aber so etwas ist absolut die Ausnahme. Ich bin da schon beharrlich und kann die Leute ganz gut bearbeiten! Und: Irgendwo tief drin ist jeder Mensch harmoniebedürftig.

Defrancesco: Frau Kauer nicht.

Kauer: Hey!

Obst: (lacht schallend) Der fängt schon wieder an ...

Defrancesco: Geben Sie uns mal ein paar Nachbarschaftstipps. Ist es gut, wenn man als Nachbarn „ganz eng“ miteinander ist? Oder ist eine gewisse Distanz gar nicht so übel?

Obst: Ständig aufeinander zu hocken, ist nicht gut. Wenn man sich dann auf den Wecker geht, gibt es kaum die Möglichkeit, dem anderen zu entkommen. Und oft bemerkt man auch gar nicht, dass man den anderen nervt, weil man die übliche soziale Distanz nicht mehr hat.

Defrancesco: Wie gehe ich richtig auf Nachbarn zu, wenn ich neu in eine Gegend ziehe?

Obst: Für mich ist die alte Regel sehr wichtig, dass man sich bei den Nachbarn vorstellt. Sonst werden Sie immer als Fremdkörper behandelt. „Guten Tag, ich bin der Neue, kommen Sie doch mal auf eine Tasse Kaffee vorbei und gucken Sie, wie es bei mir aussieht“ – so ist's richtig.

Kauer: Was ist das Verrückteste, das Ihnen in Sachen Nachbarschaftsstreit untergekommen ist?

Obst: „Er hat nicht gegrüßt.“ Da ist ein Nachbar immer grußlos am anderen Nachbar vorbeigegangen. Anfangs hat ihn das nur verwundert und dann immer mehr verärgert, weil er gedacht hat, der Nachbar hätte etwas gegen ihn. Und irgendwann hat er angefangen, alles auf die Goldwaage zu legen, was der andere getan hat. Alles war ein persönlicher Affront; und dann ging die Post ab. Da geraten Sie in eine Spirale, aus der Sie ohne fremde Hilfe nicht herauskommen.

Defrancesco: Wo endet so eine Spirale?

Obst: Es gibt Leute, die vergiften den Hund ihres Nachbarn. Die legen ein Stück Wurst am Gartenzaun aus, das vorher eine Spritze bekommen hat – nur weil der Hund ab und zu bellt. Oder sie wissen, dass der Nachbar einen absoluten Lieblingsbaum hat, und dann schlagen sie einen Nagel in den Baumstamm, weil der Baum ihnen das Licht wegnimmt. Da sind Nachbarn leider sehr kreativ. Aber das ist alles die Folge fehlender verbaler Kommunikation.

Kauer: Nimmt das zu, dass Nachbarn vor Gericht gehen?

Obst: Ja. Früher war es ein anderes Klima, man hat mehr miteinander geredet. Und: Früher war es für Leute ganz schlimm, vor Gericht zu gehen. Heute ist das Normalität geworden. Man hat eine gute Rechtschutzversicherung, und dann wird munter geklagt. Ich hatte kürzlich eine 70-jährige Mandantin, die vor Gericht erscheinen musste, und das war ganz schrecklich für sie. Aber junge Leute sehen das ganz locker. Ich will nicht auf die heutige Zeit schimpfen, aber E-Mails und Chatrooms sind Kommunikationskiller. Die Leute können Konflikte nicht mehr verbal ausdiskutieren, weil sie das Miteinanderreden verlernt haben.

Defrancesco: Was können Sie als Mediator da tun?

Obst: Ich kann den Leuten nur den Spiegel vorhalten. „Schaut mal, was ihr da wirklich tut. Findet ihr das echt in Ordnung?“ Und da gerät bei vielen einiges in Bewegung.

VON MICHAEL DEFRANCESCO UND ANGELA KAUER

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Natürlich handelt es sich beim dem Streit um ein Theaterstück. Die beiden Autoren sind in Wirklichkeit keine Nachbarn, Herr Defrancesco hat nicht drei laute Kinder, sondern ein entzückendes Kind, und Frau Kauer liebt Kinder über alles.

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