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20 Jahre "Nevermind": Als Nirvana die Musikwelt veränderte
20 Jahre Nevermind

Legendäres Album, legendäre Plattenhülle: Laut Kurt Cobain soll die Idee zu dem Foto entstanden sein, als er und Schlagzeuger Dave Grohl im Fernsehen einen Bericht über Unterwassergeburten gesehen haben. Das Foto zeigt den drei Monate alten Spencer Elden. Die Plattenfirma Geffen ließ ein alternatives Cover anfertigen, weil sie wegen des deutlich zu erkennenden Penis Ärger befürchtete. Cobain weigerte sich aber.

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1989 reiste der britische Journalist Everett True für das Musikmagazin Melody Maker nach Seattle. Sein Auftrag: Er sollte die lokale Musikszene und das aufstrebende Plattenlabel Sub Pop unter die Lupe nehmen. Was er erlebte, beeindruckte ihn tief. In seinem Artikel feierte er die Stadt im amerikanischen Nordwesten wegen ihres großen Potenzials an talentierten Musikern bereits als "Seattle: Rock City". Eine Band hatte es True besonders angetan: Nirvana.

1989 reiste der britische Journalist Everett True für das Musikmagazin Melody Maker nach Seattle. Sein Auftrag: Er sollte die lokale Musikszene und das aufstrebende Plattenlabel Sub Pop unter die Lupe nehmen. Was er erlebte, beeindruckte ihn tief. In seinem Artikel feierte er die Stadt im amerikanischen Nordwesten wegen ihres großen Potenzials an talentierten Musikern bereits als „Seattle: Rock City“.

Eine Band hatte es True besonders angetan: „Im Grunde ist das das wahre Ding: kein Rockstargehabe, keine intellektuelle Perspektive, kein Plan zur Erringung der Weltherrschaft“, schrieb er im März 1989 über Nirvana. Paradoxerweise machten diese Anti-Rockstars Seattle zwei Jahre später zur weltweiten Hauptstadt der Rockmusik. Verantwortlich dafür war ein Album, das heute vor 20 Jahren veröffentlicht wurde: „Nevermind“.

„Das ist natürlich ein Meilenstein der Popgeschichte“, sagt Udo Dahmen, Professor an der Popakademie Baden-Württemberg. Und das liegt nicht nur daran, dass das Album bis heute rund 30 Millionen Mal verkauft wurde. Denn „Nevermind“ wurde durch seinen exorbitanten Erfolg zum Türöffner für all die Bands, die sich als Gegenentwurf zu den klassischen Rockstars wie Guns N’Roses sahen. Zunächst profitierten vor allem die Weggefährten aus Seattle: Pearl Jam, Soundgarden und Alice In Chains verkauften ihre damals aktuellen Alben ebenfalls millionenfach. Das lag zum einen natürlich an der hohen musikalischen Qualität der Bands, zum anderen aber auch daran, dass die großen Plattenfirmen die vielversprechendsten Formationen schon vor dem Durchbruch von Nirvana unter Vertrag genommen hatten und nun eine riesige Marketingmaschinerie in Gang setzen konnten. Der Begriff „Grunge“ wurde zum Qualitätssiegel für den Sound aus Seattle.

Dabei sagt das Wort Grunge, das so viel bedeutet wie Müll oder Schmuddel, weniger über die Art der Musik aus. „Grunge ist ein gemachter Stil. In Seattle gab es eine Vielzahl unterschiedlicher Bands unterschiedlichen Stils. Was alle vereinte, war, dass sie ein hohes Aggressionspotenzial hatten und post-punk waren“, sagt Dahmen. Darüber hinaus hatten die Bands etwas zu bieten, was Ende der 80er-, Anfang der 90er-Jahre in der Rockmusik fast ausgestorben schien: Glaubwürdigkeit. Showeffekte, Spandexhosen und große Posen wichen Intensität, Holzfällerhemden und halsbrecherischen Flugmanövern ins Publikum. Der Musiker auf der Bühne war nicht länger ein unerreichbarer Rockstar, sondern ein Mensch wie jeder andere auch – mit Problemen, die jeder hatte, und Kleidung, die sich jeder leisten konnte. Kein Zufall also, dass Jugendliche Anfang der 90er-Jahre vermehrt mit Holzfällerhemden und langen Haaren unterwegs waren.

Nirvana-Frontmann Kurt Cobain entwickelte sich in seiner Zerrissenheit zur Symbolgestalt dieser musikalischen Bewegung. Tragisch, dass sein Kampf gegen die kommerzielle Ausschlachtung seiner Musik zum kommerziellen Erfolgskonzept wurde. So sollen viele Ideen für das Low-Budget-Video zur ersten Single „Smells like teen spirit“ von ihm stammen – gegen den Willen der Plattenfirma. Dass das Video im damals deutlich einflussreicheren Musikfernsehen trotzdem oder gerade deshalb fast stündlich wiederholt wurde, zeigt, wie sehr er den Nerv der Jugend traf. „Dieses unfertige Abiball-Video war im Prinzip genau das, was die Kids damals in der Grunge-Szene gesehen haben“, sagt auch Dahmen. „Das war eine der letzten großen Bewegungen, die das Musikfernsehen ausgelöst hat.“

Mit dem Selbstmord Kurt Cobains am 5. April 1994 endete die Geschichte von Nirvana. Er wurde – wie viele andere bedeutende Musiker auch – nur 27 Jahre alt. Seine Bedeutung für die Rockmusik richtig einzuordnen, fällt in der Rückschau schwer. Seine Glorifizierung als alleiniger Heilsbringer hält Udo Dahmen zu einem Großteil für „posthume Verklärung“. „Es gab viele Musiker, die damals eine tragende Rolle gespielt haben.“ Pearl Jam und die Foo Fighters um den damaligen Nirvana-Schlagzeuger Dave Grohl gehören überdies hinaus noch immer zu den einflussreichsten Musikern unserer Zeit.

Trotzdem hat Cobain mit seiner Band den Weg geebnet, den später neben den Kollegen aus Seattle auch Bands wie die Stone Temple Pilots oder Rage Against The Machine beschreiten konnten. Sie alle setzten der puren Show Authentizität und Leidenschaft entgegen. Nirvana haben eine neue Tür für die Rockmusik geöffnet. „Nevermind“ war der Schlüssel dazu.

Von unserem Redakteur Volker Schmidt

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