Brüssel

Zukunft der Gemeinschaft: Europa steht vor fünf wichtigen Jahren

Europa blickt nach vorn. In den kommenden fünf Jahren, so heißt es in Brüssel, wird es um mehr gehen, als nur ein paar Hindernisse für den Binnenmarkt zu beseitigen. Die Gemeinschaft stehe vor einer ganzen Reihe von existenziellen Zukunftsfragen, die man lösen müsse, um zu zeigen, dass die Union wirklich funktioniert.

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Von unserem Brüsseler EU-Korrespondenten Detlev Drewes

Diese Einschätzung dürfte sogar noch untertrieben sein. Die politische Krise rund um die Ukraine konfrontiert die 28 Mitgliedstaaten mit der Frage, wie sie ihre Energieversorgung künftig sichern wollen. Wie auch immer der nationale Mix an Energieträgern aussieht – für russisches Gas und sibirisches Öl soll kein Platz mehr sein.

„Wir machen uns große Sorgen“, heißt es vom zuständigen Kommissar Günther Oettinger, der angekündigt hat, die bereits tot geglaubte Nabucco-Pipeline mit einem neuen Vorschlag wiederzubeleben. Das Projekt sieht vor, Gas aus dem Kaspischen Meer an Russland vorbei direkt in den Westen zu schaffen und dort zu verteilen. Nicht nur die baltische Region, sondern auch Rumänien, Bulgarien, Polen, Tschechien und nicht zuletzt Deutschland könnten so ihre bisherige große, teilweise sogar völlige Abhängigkeit von Moskau drastisch reduzieren.

Nicht nur die Kosten für Strom werden steigen. Foto: dpa
Nicht nur die Kosten für Strom werden steigen.
Foto: dpa

Andere Staaten wie Großbritannien und Frankreich wollen ihre bestehenden Atomstrom-Kapazitäten ausweiten. Die USA, Partner Europas beim künftigen Freihandelsabkommen, wären wohl bereit, verflüssigtes Erdgas über den Atlantik zu schaffen, stellen aber auch offen die Frage, warum die EU-Staaten sich so sehr gegen Fracking wehren, wenn diese Technik doch helfen könnte. Der Ruf nach einer neuen Energie-Außenpolitik ist längst zu einem Kernauftrag für denjenigen geworden, der den Job als neuer EU-Außenbeauftragter einnehmen und damit Nachfolger der ausscheidenden Britin Catherine Ashton wird.

Energie muss auf Dauer günstiger werden

Die EU muss diese Frage lösen, weil sie auf Dauer nicht nur eine sichere Energieversorgung braucht, sondern diese auch zu günstigeren Preisen benötigt. Längst sind die Kosten für Strom und Gas derart explodiert, dass sie die Konjunktur bremsen und auf den Unternehmen lasten. Die aber müssen endlich wieder investieren, um den aufgestauten sozialen Zündstoff vor allem im Süden der Gemeinschaft zu entschärfen. Dort ist in einigen Regionen mehr als jeder vierte Erwerbsfähige ohne Arbeit. Bei den jungen Menschen unter 25 Jahren ist es sogar mehr als jeder zweite.

Selbst in der Kommission wird inzwischen von einem „Sprengsatz“ gesprochen, der die Staaten, aber auch die Gemeinschaft bedroht, wenn es nicht gelingt, endlich wieder mehr Menschen in Lohn und Brot zu bringen. Das wird nicht ganz einfach, muss die EU doch in den Jahren bis 2020 selbst rechnen. Erstmals gilt für die gerade angelaufene Finanzperiode ein Sparhaushalt von lediglich 902 Milliarden Euro an Zahlungen, der deutlich unter den erlaubten Zahlungszusagen (960 Milliarden Euro) liegt. Das heißt, Europa muss sparen und rutscht, selbst wenn es sich einschränkt, immer wieder in die roten Zahlen, sollten die Mitgliedstaaten nicht doch noch nachschießen.

Schon in den vergangenen Jahren stand die Gemeinschaft regelmäßig im Herbst vor dem Problem, Förderprogramme wie Erasmus zeitweise nicht mehr bezahlen zu können. Die daraus gezogenen Konsequenzen müssen sich erst noch bewähren: Bei den lukrativen Fonds zur regionalen Strukturhilfe sind Einschnitte unvermeidbar, lediglich die Spitzenforschung kann mit satten Zuwächsen rechnen.

Symbolbild
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In dieser Situation will die EU alles tun, um den Unternehmen und Betrieben das Investieren zu erleichtern. Dazu gehören Programme für die Geldinstitute, damit diese wieder vermehrt Kredite für die Wirtschaft bereitstellen. Zugleich sollen alle möglichen Stellschrauben genutzt werden, um die Firmen von Auflagen zu befreien und Hindernisse auf dem Binnenmarkt aus dem Weg zu räumen. Denn noch immer schrauben die Mitgliedstaaten Auflagen höher, um den eigenen Markt in Krisenzeiten vor ausländischen Mitbewerbern zu schützen.

„Ohne Abbau von Schranken wird es aber nicht zu einem Aufschwung für alle kommen“, wiederholt man in Brüssel und Straßburg regelmäßig. Ein oft genanntes Beispiel sind Genehmigungen, Bestätigungen und Zulassungspapiere für Dienstleister, die diese bei zig verschiedenen Stellen beantragen müssen. Zwar hatten Kommission und Parlament schon vor Jahren die Idee eines „One-Stop-Shops“ geboren, wo ein Investor aus einer Hand alle nötigen Bescheinigungen erhält. Die Realität sieht anders aus. Noch immer können Dienstleister beispielsweise nur unter großen Anstrengungen einen 24-Stunden-Notdienst für französische Auftraggeber übernehmen, wenn sie dafür ihr Firmenfahrzeug nutzen müssen. Denn die Behörden im Nachbarland verlangen für solche Fälle eine Anmeldung und Registrierung – sieben Tage vorher. Das soll spürbar besser werden.

Nächste Schritte im Klimaschutz sind noch sehr umstritten

Zu den großen Herausforderungen zählen auch die nächsten Schritte beim Klimaschutz. Bis heute ist umstritten, wie die für 2020 geltenden Ziele (20 Prozent Energie aus regenerativen Quellen, 20 Prozent effizientere Nutzung der Energie und 20 Prozent CO2-Einsparung) bis 2030 fortgeschrieben werden sollen. Im ersten Anlauf hatte Brüssel vorgeschlagen, 40 Prozent CO2 einzusparen statt 20 Prozent. Doch das ist vor allem bei jenen Mitgliedstaaten umstritten, die einen Großteil ihres Energiebedarfs mit Kohle decken. Zum Ausbau der erneuerbaren Energien konnte man sich bisher gar nicht verständigen und erwägt stattdessen eher eine Zersplitterung in unterschiedliche nationale Vorgaben. Aus den „ehrgeizigen Zielen“ des Klimaschutzgipfels 2007 drohen lästige Auflagen zu werden, denen man sich mit allen Tricks entzieht. Die kommenden fünf Jahre werden entscheidend für die künftige Klimaschutzstrategie Europas.

Schottland will sich von Großbritannien lossagen. Foto: dpa
Schottland will sich von Großbritannien lossagen.
Foto: dpa

Während also eine Vielzahl von Herausforderungen eher nach einem noch engeren Zusammenschluss der Gemeinschaft rufen, muss die EU gleichzeitig gegen die Absetzbewegungen in den eigenen Reihen kämpfen. Der Umgang mit dem Referendum über eine Unabhängigkeit Schottlands könnte zum Prüfstein für die Beziehungen zu London werden. 2017 dürfte auf der Insel über die Zukunft in der EU abgestimmt werden. Geht diese Volksbefragung tatsächlich zu Ungunsten der Union aus, müsste Brüssel nicht nur zum ersten Mal mit dem Wegbrechen eines Mitglieds klarkommen, sondern auch verhindern, dass aus dem Einzelfall ein Flächenbrand wird.